Alkoholsucht…(Teil 1)

…ist eine Krankheit, deren vorderstes Problem darin besteht, als professionell therapiebedürftige Krankheit erkannt zu werden. Diese Einsicht betrifft vor allem den Patienten selbst, darüber hinaus aber auch seine nähere Umgebung wie Familie, Freunde, Arbeitskollegen und manchmal sogar den betreuenden Hausarzt.
Hilfe kann schaden
Während bei fast allen anderen Erkrankungen selbst vordergründige Hilfe häufig eine Stütze für den Erkrankten und seine nähere Umgebung sein kann, bewirkt die Hilfsbereitschaft von Verwandten und Bekannten im Falle der Alkoholkrankheit sehr häufig das Gegenteil. Das Erkennen und Benennen der Krankheit, sowie die notwendige medizinische Therapie werden hinausgezögert.
Die wesentlichen Vokabeln in diesem Zusammenhang sind: abwarten, verharmlosen, verdrängen, wegsehen, Fehleinschätzung, Scham, Mitleid, Angst, Wut, Ekel und Selbstekel.
Stufen des Niedergangs
Als Hausarzt “behandele” ich zunächst meistens die Familienangehörigen eines Alkoholkranken. Sie sind verzweifelt, fragen, was man machen kann und wie man dem Problem endlich Herr werden kann. Dabei scheint mir über die Jahre die einzig sinnvolle Hilfe, die einem Alkoholkranken bis zur offiziellen Diagnosestellung und zur Therapiebereitschaft gewährt werden sollte, die unterlassene unprofessionelle Hilfe zu sein. Ganz selbstverständlich gilt das nicht für die professionell gewährte Hilfe, aber bis dahin ist es ein weiter Weg. Wäre der Kranke erst auf diesem Weg, wäre meines Erachtens bereits mehr als die Hälfte der Strecke zum Ziel geschafft. 
Beinahe eine immer gleiche “Karriere”
Ob Ehefrau, Kinder, Mütter, Väter oder Freunde in der vormedizinischen Phase versuchen zu helfen oder nicht, der Weg des uneinsichtigen Alkoholkranken ist fast immer der gleiche: Er muss erst im Sumpf seiner Sucht verkommen. Dies bedeutet in der Regel der Verlust des Führerscheins, des Arbeitsplatzes, der Freunde, des Ehepartners und der Menschenwürde, meist in dieser Reihenfolge. Danach folgen die Notaufnahme im Krankenhaus im Zustand der Volltrunkenheit oder des Deliriums. Hierin liegt endlich die Chance zur professionellen Therapie.
Je schneller diese „Karriere“ von einem Alkoholkranken (wohlgemerkt: diese Zeilen gelten ausschließlich dem Krankheits- und damit auch Therapieverweigerer) beschritten wird, umso schneller ist man beim letzten Schritt angekommen – Entgiftung und Entzug. Erst dann besteht eine Heilungschance von etwa zehn Prozent, optimistisch geschätzt.
Der zweite Artikel zu diesem Thema folgt in der nächsten Woche und handelt vom Weg zur Therapie

Lesen Sie zu den dramatischen Auswirkungen einer nicht oder nur unzulänglich therapierten Alkoholkrankheit den Familienroman Der Verlust.
 

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