Das ist mein Papa. Oder besser: das war er. So wie ich ihn in Erinnerung behalten möchte. Er starb am 15. Oktober. 9 Monate, nachdem Mama gestorben ist. Damit habe ich in einem Jahr jetzt beide Eltern verloren. Mich belastet vor allem die Art, wie. Ich setze sonst keine Triggerwarnungen. Hier aber doch: Tod und Trauer.
Mein Papa war immer ein sehr ruhiger Mensch. Er redete nicht viel (Mama musste alles aus ihm herauskitzeln) und er war auch überhaupt nicht emotional ausdrucksvoll, aber man wusste trotzdem immer, er nimmt teil. Gelegentlich kamen treffende Anmerkungen oder er hat Zeitungsausschnitte zum aktuellen Thema gebracht, oder erzählt, was er auf google „recherchiert“ hat – denn selbst mit 84 Jahren war er immer noch ausgesprochen Technikaffin. Egal um was es ging: wenn es Maschine oder Technik war (oder auch andere Themen), dann informierte er sich darüber und bereitete sich vor. Mama war häufig die Ideengeberin und Organisatorin – aber ausgeführt, gemacht hat es dann Papa. Mama war die Kartenleserin, Papa der Fahrer, Mechaniker, Problemlöser. Sie haben 1966 geheiratet – ich kam 7 Jahre später, als sie schon dachten, dass sie keine Kinder mehr bekommen würden, mein Bruder folgte kurz danach 1975. Sie hatten es nicht einfach mit seiner Familie (Eltern und zwei Geschwister, beide geschieden), diese haben sie dermassen gemobbt, bis sie weiter weg gezogen sind. Beide haben gearbeitet, Papa musste zudem jahrelang pendeln und war dann nur am Wochenende und natürlich in den Ferien da. Trotzdem haben sie es geschafft eine harmonische Ehe zu erhalten, ihre Kinder aufzuziehen und einen Freundeskreis zu pflegen. Papa hat mir (mindestens) zwei Mal das Leben gerettet. Einmal vor dem ertrinken und einmal vor dem ersticken unter Schnee. Von ihm habe ich das Interesse für Technik und am malen …. und wohl auch die Introvertiertheit. Meine Worte werden ihm hier nicht gerecht. Er war einfach ein guter Mensch.
Mama starb nach einer Woche im Krankenhaus am 9. Januar 2023, weil ihr Herz (mit künstlichen Herzklappen) durch eine Sepsis wegen Gallenblasenentzündung geschädigt war. Ich bin jetzt noch nicht wirklich darüber weg – und Papa, der von da an alleine in er Wohnung war (mit 84 Jahren) hat sie ebenfalls sehr vermisst. Sie hatten zum Glück einen guten und ziemlich grossen Freundeskreis, der ihn etwas aufgefangen hat, indem er regelmässig eingeladen wurde. Wir selber haben ihn alle eine bis zwei Wochen zum Abendessen und reden bei uns. Er war trotzdem einsam in der Wohnung und immer dankbar, wenn wir etwas zusammen unternahmen, auch wenn es nur ein einfaches Essen war. Wir haben ihn dann eingeladen, mit uns in die Ferien zu kommen – die beiden sind immer sehr gerne gereist (das habe ich von ihnen). Im Sommer hat es nicht geklappt, aber für die Herbstferien habe ich Island organisiert. Da waren wir schon einmal alle zusammen (vor 2 Jahren), die letzte grosse Reise, die sie gemacht haben, Mama hatte damals ziemlich Mühe mit dem laufen, auch wenn es sie sehr gefreut hat, dabei zu sein.
Vom 2. Oktober bis 14. Oktober 23 waren wir zusammen in Island. Eine kleine Rundreise im Süden und Westen mit dem Mietauto und jeweils Übernachtungen in verschiedenen Hotels. Kuschelbär und ich in einem Zimmer, Junior und Opa im anderen. Das ging gut, auch wenn Opa (Papa) wie immer geschnarcht hat. Die Reise war toll – etwas aufregend wieder, weil wie dank Schneesturm etwas umjonglieren mussten – und das Nordlicht haben wir auch dieses Mal nicht gesehen. Dafür aber viel Schönes: Island hat eine phantastische Landschaft und das Essen war auch ganz okay (auch wenn Papa sich etwas darüber beklagte, dass sie das Lammfleisch so in Sauce ertränken). Wir waren an Wasserfällen, die auch er bemerkenswert fand. Er scherzte: „das ist kein R(h)einfall!“ Und wir waren in heissen Quellen baden. Das Bild oben stammt von so einem Besuch. Gesundheitlich ging es ihm gut. Etwas Knieprobleme, weshalb wir nicht so viel gelaufen sind und er nahm seine Tabletten gegen hohes Cholesterin (dieselben wie ich) und Marcoumar, das er seit einem kleineren Herzproblem vor etwa 10 Jahren hat.
Am Samstag 14. Oktober kamen wir zurück in die Schweiz, wir haben Papa zu seiner Wohnung gebracht, ich habe ihn zum Abschied umarmt und er meinte, das waren sehr schöne Ferien und hat sich bedankt. Ich hab ihm gesagt, ich melde mich noch, weil ich gerne auch seine Fotos haben möchte fürs Fotoalbum und dass er sein Natel (das offenbar im Dampf der letzten heissen Quelle feucht geworden ist) in Reis legen solle.
Am Sonntag schreibe ich ihm ein mail, wegen den Fotos.
Am Montag 16. Oktober war ich etwas irritiert, weil ich noch nichts gehört habe. Nachmittags versucht, ihn anzurufen (nicht aufs ev. kaputte Natel, sondern die Festnetznummer) und er hat nicht abgenommen. Gut – ev. ist er grad unterwegs, aber als ich es nach dem Nachtessen noch einmal versuche und niemand abnimmt, war ich doch sehr beuunruhigt und habe meinen Mann gebeten, dass wir rasch vorbeifahren. Ich habe einen Schlüssel für die Wohnung.
Angekommen, sehen wir, dass Licht brennt. Auf die Klingel keine Reaktion. Das Licht im Badezimmer ist an. Ich rufe und gehe rein. Papa liegt nackt in der trockenen Dusche (auf der Seite) unter ihm ein komplett zerlegter Plastikschemel. Mir entfährt nur ein „Oh, Nein!“ Es ist mir schon klar, dass er nicht mehr lebt, trotzdem knie ich mich daneben und lege die Hand auf das Bein – das ist eiskalt. Er liegt da schon eine Zeitlang. Jetzt sehe ich auch die Verfärbungen an der Haut. Aus der Nase ist etwas Blut gelaufen und unter dem Kopf geliert. Er hatte Blutverdünner. Ich sitze am Boden und sage: „Wir müssen jemanden anrufen, Papa ist tot.“
Mein Mann übernimmt das – und setzt damit die ganze Kette nach so einem Fund in Gang. Es kommt die Rettungssanität (obwohl er gesagt hat, dass die Person tot ist), der Notarzt, die Polizei, der Gerichtsmediziner und schliesslich noch das Bestattungsinstitut, nachdem klar ist, dass es sich um einen natürlichen Tod handelt.
Ich informiere unter Tränen meinen Bruder, der ebenfalls vorbei kommt mit seiner Frau. Ich rate ihm dringend, nicht ins Badezimmer zu gehen. Es ist wirklich kein schöner Anblick – und ich weiss da schon, dass ich Mühe haben werde, das aus dem Kopf zu bekommen.
Wir geben uns etwas Trost, während wir uns in der Wohnung umschauen. Papa hat schon alles von der Reise ausgepackt und verräumt: Wäsche im Wäschekorb, Koffer leer im Gang zum in den Keller nehmen, die Reisepapiere, Portmonnaie und Ausweise auf dem Couchtisch. Das Natel finde ich erst nicht, aber meine Schwägerin entdeckt es – in Reis eingelegt in einer Tüte auch beim Couchtisch. Vor dem Computer steht eine leere Tasse Kaffee. Auf dem Esstisch ein Teller und die Butter. So wie’s aussieht, hat er etwas essen wollen und zuvor noch kurz duschen. Er ist dann im Badezimmer vor dem Spiegel einfach umgekippt und seitlich in die Dusche auf den Schemel gefallen. Der Gerichtsmediziner meinte es war das Herz – und es sei schnell gegangen.
Oh Gott, ich hoffe das. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass er da länger gelegen hat, Alleine. Und ich vielleicht noch etwas hätte tun können, wenn nur … Nein.
Junior meldet sich in der Zwischenzeit, den haben wir zu Hause gelassen. Wir sagen ihm es persönlich, als wir nach 5 Stunden wieder zu Hause sind. Es trifft ihn (erwarteterweise) auch hart. Am nächsten Morgen gehen weder er noch ich arbeiten, respektive zur Lehre.
Es folgt eine Menge Organisation. Nach Mamas Beerdigung im Januar wissen wir schon, wie das geht. Papa kommt in dasselbe Grab. Der Grabstein, der erst einen Monat vorher gemacht wurde, bekommt eine Erweiterung. Den Platz dafür hat er extra schon gelassen. Überhaupt war Papa enorm organisiert. Die Wohnung ist nicht nur sauber, es gibt Ordner für alles, was wir brauchen. Mietkündigung, Bankkonten, Adresslisten … alles da. Ich mache wieder die Trauerkarten – und verschicke sie diesmal ohne seine Hilfe. Da sowohl mein Bruder, als auch ich auf das Erbe von Mama verzichtet haben und sich nicht viel geändert hat seitdem, machen wir es auch dem Erbschaftsamt einfach.
Die Beerdigung war am 2. November 23. Sie war sehr schön. Es kommen wieder alle Freunde und was noch an Verwandten da ist. Ausserdem noch ein paar Freunde und Arbeitskollegen von meinem Bruder und mir. Die Kapelle ist voll, das Essen danach stimmig – aber ich bin mir sehr bewusst, dass ich einige von den Leuten wohl nie mehr sehen werde: es waren die Freunde unserer Eltern, nicht so sehr von uns.
Ich vermisse Papa. Ich vermisse Mama. Ich bedauere nicht, was vorher geschehen ist, ich denke, wir haben nichts verpasst. Aber ich würde so gerne weiter mit ihnen reden. So richtig. Ich komme mir jetzt so alleine vor ohne sie. Meinen 50. Geburtstag ohne sie zu feiern … vor einem Jahr noch undenkbar und jetzt ist es einfach so.
Ruhet in Frieden. Ich hoffe, ihr seid wieder zusammen.