Bauchschmerzen – „Sind die echt, oder ist das nur die Psyche?“

– „Ich hab solche Bauchschmerzen!“

– „Wo denn?“

– „Hier, am Arm!“

Diesen Wortwechsel hatte ich ausnahmsweise nicht mit meinen Kindern, sondern vor über 25 Jahren mit meiner jüngsten Schwester.

Die Aussage meiner Schwester fand ich damals natürlich sehr lustig und niedlich. Sie hat sie mir aber auch gezeigt, dass es erstens immer gut ist, noch einmal genau nachzufragen. Und zweitens, dass hinter dem Wort „Bauchschmerzen“ eine ganze Menge anderer Dinge stecken kann…

Wenn meine Kinder Bauchschmerzen hatten, hat bisher fast immer geholfen, wenn ich ihnen ein warmes Kirschkernkissen auf den Bauch gelegt und den Bauch massiert habe (im Uhrzeigersinn).

Glücklicherweise war der Grund für die Bauchschmerzen aber auch noch nie etwas Ernsteres als ein Magen-Darm-Infekt.

Aber wann könnte doch „mehr“ dahinter stecken?

Was sind Anzeichen dafür, dass Bauchschmerzen genauer untersucht werden sollten?

Es gibt einige Anzeichen, die in Leitlinien als „red flags“ bezeichnet werden.

Um diese Anzeichen herauszufinden, kann man folgende Fragen stellen:

-Wacht dein Kind nachts von den Schmerzen auf?

-Dauern die Schmerzen viele Stunden lang?

-Kann dein Kind eine ganz bestimmte Stelle zeigen, an der es wehtut? Um den Nabel herum bedeutet eher Entwarnung. Liegen die Schmerzen woanders, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass mehr dahinter steckt.

-Hat dein Kind anhaltendes Erbrechen oder ständige Durchfälle?

-Ist beim Erbrechen oder Durchfall Blut zu sehen?

-Gibt es einen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme, evtl. Probleme beim Schlucken?

-Hat dein Kind oft Fieber, Gelenkbeschwerden oder Auffälligkeiten an der Haut oder Schleimhäuten?

-Verliert dein Kind an Gewicht, hat es Wachstums- oder Entwicklungsrückstand (Pubertät)?

-Gibt es in der Familie chronische Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes?

 

Außerdem: wenn es sich nicht gerade um akute Schmerzen handelt (wie zum Beispiel bei einer Blinddarmentzündung), sondern

wenn Schmerzen immer wieder auftreten, ist folgendes hilfreich:

Schreibe über einen Zeitraum von 3-4 Wochen ein Tagebuch über die Beschwerden.

Dort kannst du notieren

-wann Schmerzen auftreten (Tageszeit, vor oder nach dem Essen,…)

-wo sie sich befinden und wie sie sich anfühlen

-ob andere Beschwerden dabei sind (Durchfall, Erbrechen,…)

-ob dein Kind gerade Stress hat (Schule, Freunde,…)

-was es gegessen hat

-ob Medikamente gegeben wurden

-was gegen die Schmerzen geholfen hat

-wann dein Kind Stuhlgang hat

usw….

So ein Tagebuch kann helfen, um die Schmerzen besser einzugrenzen und einen möglichen Auslöser zu finden.

Außerdem hilft es, mehr Klarheit in das Gespräch mit dem Kinderarzt zu bringen.

Denn es ist so:

Man kann nicht einfach so „alles abklären“.

Was hinter Bauchschmerzen stecken kann, ist unglaublich vielfältig:

Magengeschwüre, Schwangerschaft, Diabetes, Nierensteine, Gallensteine, Entzündungen der Bauchspeicheldrüse, Krebserkrankungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Lungenentzündung, Chronisch entzündliche Darmerkrankung, Stress in der Schule, angeborene Fehlbildungen, und und und,…

Jedes Kind hat seine eigenen Bauchschmerzen. Und nur weil das Nachbarkind eine chronisch entzündliche Darmerkrankung hat, muss mein Kind das noch lange nicht haben und braucht nicht sofort eine Darmspiegelung.

Daher gilt:

Um bestimmte Untersuchungen durchzuführen, sollte zumindest eine Idee da sein, was man in diesen Untersuchungen finden könnte.

Wir sollten uns immer überlegen, welche Untersuchungen bei welchem Kind sinnvoll sind. Das ist ganz individuell!

Nicht zu vergessen, dass die meisten Untersuchungen ganz einfach belastend für ein Kind sind.

Nicht nur körperlich belastend und/oder schmerzhaft, sondern auch im Kopf: Jede Untersuchung kann den Gedanken verstärken, dass da etwas Schlimmes ist. Und das kann dem Kind Angst machen.

Also noch einmal schrittweise:

Überlege, welche der Warnzeichen auf dein Kind zutreffen. Wenn dein Kind immer wiederkehrende Schmerzen hat: Schreib ein Tagebuch über die Beschwerden.

Dein Kinderarzt wird erst mit dir über die Beschwerden sprechen, dann ohne Geräte den Körper deines Kindes untersuchen und dann entscheiden, welche weiteren Untersuchungen im nächsten Schritt sinnvoll sind.

Werden Hinweise auf eine bestimmte Krankheit gefunden, kann man gezielt in dieser Richtung weiter schauen.

Als Beispiel: Wenn sich Hinweise dafür ergeben, dass dein Kind eine Entzündung im Magen haben könnte, ist es nicht sinnvoll, dein Kind direkt mit Darmspiegelung, MRT oder zahllosen sinnlosen Blutentnahmen zu belasten.

Manchmal hilft es schon alleine, wenn man überlegt und ein Protokoll führt. Bei vielen Kindern ist es dann zum Beispiel eine große Menge Obst oder Apfelsaft, die zu Bauchschmerzen führt (siehe den Artikel „F wie Fruktose (-Unverträglichkeit)“).

Oder es ist die Milch. Lies hierzu einmal den Artikel „L wie Laktose“.

Vielleicht fällt durch das Tagebuch auch auf, dass dein Kind unter einer Verstopfung leidet. Was paradox erscheint: ein Kind, das immer wieder kleine Mengen an flüssigem Stuhlgang in der Unterhose hat, kann eigentlich unter Verstopfung leiden. Wie es dazu kommt, wird dir im Artikel „O wie Obstipation“ bzw. in dem dort verlinkten Video erklärt.

Und wenn dann nach allen Überlegungen und sinnvollen Untersuchungen keine körperliche Ursache für die Bauchschmerzen gefunden wird? Dann sprechen wir von „funktionellen Bauchschmerzen“. Statt „funktionell“ kann man auch „psychosomatisch“ sagen.

Und jetzt komme ich noch einmal auf die Überschrift zurück. Die Frage „psychosomatisch oder echt“ stellt sich natürlich in Wirklichkeit gar nicht. Denn alle Bauchschmerzen sind echt. Wenn ein Kind Schmerzen hat, müssen wir sie ernst nehmen, egal woher sie kommen.

In diesem Artikel wollte ich dir ein wenig darüber zeigen, wie wir unterscheiden, ob hinter Bauchschmerzen eine Erkrankung steckt, bei der wir mehr tun müssen, als den Bauch unseres Kindes streicheln, einen schönen Tee machen oder ein warmes Kirschkernkissen auflegen. Und ob es eine Erkrankung ist, die nicht einfach so wieder verschwindet wie ein Magen-Darm-Infekt.

Wenn dann klar ist, dass weiter abgeklärt werden sollte, findet sich möglicherweise eine Erkrankung, die man mit einer Diät, mit Medikamenten oder sogar einer Operation behandeln kann.

Und wie gesagt: Wenn sich so eine Erkrankung nicht findet und die Diagnose „funktionelle oder auch psychosomatische Bauchschmerzen“ gestellt wird, ist das auch eine Diagnose und nicht „nichts“. Diese Diagnose ist mir sogar einen eigenen Artikel wert, der nächste Woche erscheinen wird.

Bis dahin schreib mir gerne, welche Erfahrung du mit Bauchschmerzen bei deinem Kind gemacht hast. Ich bin gespannt auf deine Rückmeldungen!

 

 

 

 

 

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