Lampenfieber

Frankfurt am Main: Bühne

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, das im hohen Alter (… no comment) abzulegen, aber leider geht es mir heute immer noch wie zu Schulzeiten: Jeden Morgen habe ich Bauchgrimmen, bevor ich zur Arbeit gehe. Ob das der normale Schulbesuch war, von Klassenarbeiten ganz zu schweigen, im Studium vor Seminaren oder Prüfungen (weniger in den Vorlesungen) oder jetzt – morgens schlägt mein Magen Kapriolen. Er sagt Hallo, er drückt, er meldet sich wie ein Stein im Schuh, ignorierbar, aber nervig.

Das fängt an, wenn ich mich ins Auto setze oder aufs Fahrrad, nimmt zu, wenn ich zu den letzten Kreuzungen, der letzten Ampel komme, das Auto parke, dann ist der Gipfel erreicht. Keine Sorge, erbrochen habe ich mich noch nie.
Die Krönung war früherTM die Sieben-Nächte-Schicht auf der Neugeborenen-Intensiv. Das gab es das Bauchgrummeln vor der Schicht – logisch, aber dann noch einmal in der letzten Stunde von fünf bis sechs in der früh, kurz vor der Ablösung. Die Stunde der Bewährung – wenn jetzt ein Kreißsaaleinsatz anstand (und das kam oft genug vor), konntest Du sicher sein, dass irgendwas schief läuft. Du bist müde, die Kreißsaalschwester ebenso, der Oberarzt hatte kein erweitertes Interesse, um diese Uhrzeit anzurücken. Trotzdem ging es meist glimpflich aus.

Mit dem ersten Patienten am Morgen ist es dann vorbei. Vermutlich erreicht mein Adrenalinspiegel dann das nötige Maß, um meine Magensäure wieder runter zu regulieren (Physiologie war schon immer meine Stärke). Ich denke an etwas anderes, bin eingebunden in den Tagesablauf. So hat das früher mit Klassenarbeiten genauso funktioniert. Ein echtes Blackout kenne ich nicht. Es nervt.

Habe ich Angst vor der Arbeit? Respekt vor dem, was da auf mich zukommt? Hallo, das kenne ich aber schon seit Jahren, große Überraschungen gibt es nicht. Oder sind es die Hormone, die meinen Verstand und Körper auf die nötige Betriebstemperatur bringen? Immerhin sorgt das Bauchgrummeln für einen gewissen „Hallo-wach“-Zustand, völlig verpennt zur Arbeit zu erscheinen ist sicher nicht sinnvoll. Zeitdruck verschlimmert den Zustand übrigens: Verschlafen ist der Horror, außerdem, wenn der normale Tagesablauf am Morgen gestört ist (Kinder krank, fMFA krankgemeldet, Auto kaputt), dann kommt zum Grimmen noch das Flirren und das Heppeln dazu (kann sich jeder mit Sinn füllen, was dann nun bedeutet).

Alles probiert: Gut frühstücken, nichts frühstücken, Kaffee, Schwarzen Tee, warme Milch, Holunderschnaps, das Bauchgrummeln kam, blieb und ging, wie jeden Tag aufs Neue. Nach all den Jahren habe ich mich nun damit arrangiert und akzeptiert als mein Vegetativum, meinen persönlichen Zwang, meine unangenehme Routine. Da würde mir bestimmt etwas fehlen. Ob ich das mal erlebe?

(c) Bild bei Flickr/Kevin Hackert

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