regenmänner

ich kenne sie schon reichlich lange, das erste mal kam sie, glaube ich, mit den zwillingen zur u4 bei mir vorbei. damals erzählte sie bereits, das sie allein erziehend sei. der vater habe sich kurz nach der geburt aus dem staub gemacht. sprach sie mit dem gebrochenen russischem akzent. wenigstens hatte sie hilfe von ihrer mutter, die auch hier in der nähe wohnte. alleinerziehend ist immer schwierig. mit zwillingen hoch drei. als vor einem jahr nach deutschland gekommen, frisch verliebt und dann geschwängert noch erst recht.

die kinder haben sich ganz gut gemacht. im ersten jahr die normalen fortschritte, sitzen, laufen, essen. gestört hat die mutter immer nur, dass nach den ersten brabbelversuchen und mamama und dadada mit einem jahr die sprache ins stocken geriet. wir haben uns beide mit der zweisprachigkeit beruhigt. oma kann nur russisch, spricht das mit den kleinen und die mama – auch wenn ihr deutsch besser wurde – wollte ihnen nicht ihr gebrochen deutsch antun. also russisch.

bei der zwei-jahres-untersuchung waren die entschuldigungen dann vorbei. die zwillinge sprachen kaum ein echtes wort. in der summe kam der eine auf vielleicht zehn worte, der andere auf ein oder zwei mehr. jungs eben. wir konnten sicher sein, dass beide hören. das war nicht das problem. die mutter hatte auch gute ideen, die kinder in ihrer sprache zu fördern. und trotzdem passierte nicht viel. dazu kam, dass der eine den anderen immer in seiner zickigkeit ansteckte. brüllte der eine, tobte der andere. wenn sie mich sahen, war der ofen meist sofort aus. aber nicht nur bei mir. auch bei anderen fremden neben der mutter.

dann kam der kinderhort. mama musste wieder arbeiten. zwei kinder, oma selbst am arbeiten. und die mutter auch. und die kinder den halben tag in die betreuung. sehr schnell kam die negative rückmeldung: die zwillinge würden nur zusammenhängen, wer den einen anfasst, bekommt von dem anderen eine gehauen. freunde bekamen sie so zusammen keine. aber auch nicht alleine. war die mutter mit einem von beiden alleine auf dem spielplatz,  gelang es diesem, für kurze minuten ein normales spiel zu beginnen, aber meist endete es in hauen, beißen, kneifen. die mama gab sich die schuld. erziehungsfehler meinten die anderen. also meinte sie das auch.

die sprache wurde nicht besser. aber sonst war die körperliche und motorische entwicklung der zwei recht gut. zügiges trockenwerden – klassisch slawisch – auch selber essen, sogar anziehen habe funktioniert. also mussten wir einen weiteren schritt tun. da die sprachentwicklung so gehemmt war, die mutter aber vor allem russisch spricht, mussten andere konzepte her. ich schickte die kinder ins sozialpädiatische zentrum (spz) der nächsten großstadt.

und dann habe ich lange nichts mehr gehört.

die vorsorge zum dritten lebensjahr hat die mutter nicht wahrgenommen – vergessen? – sich geschämt? – zu sehr eingespannt mit kindern und beruf? – erst letzte woche kam sie wieder mit beiden zur u8 — zur untersuchung mit vier. inzwischen hatte ich aber auch schon die briefe aus dem spz erhalten. meine helferinnen verzweifelten an den beiden jungs. kein hörtest war möglich, kein sehtest, keine einfachen motorischen aufgaben. die sprache sei besser – aber bei mir echolalierten sie nur meine fragen: „schau mal, was ist das da?“ – zeigte ich auf ein haus. „das da!“ sagte der zwilling. nächster versuch von mir „kletter mal da die leiter hoch.“ – „leiter hoch!“ vom zwilling. ohne bewegung. und dergleichen mehr.

zwei nette burschen. sehr ängstlich. sehr abwehrig. man darf sich ihnen nur ganz vorsichtig nähern. schnell gehen die hände wie in abwehr gegen das harmlose stethoskop nach oben. oder gegen den weichen ball oder die bunten klötzchen bei der vorsorge. sie besuchen aber inzwischen den regelkindergarten mit integrationshilfe.

die mutter war mit der diagnose nicht zufrieden, die das spz gestellt hat. sie möchte noch eine zweite meinung. wird sie jetzt auch noch woanders und bestimmt gesichert bekommen. aber es wird sich nichts daran ändern – laut den kollegen im sozialpädiatrischen zentrums haben die zwillinge mit der alleinerziehenden mama „eine tiefgreifende entwicklungsstörung unklarer genese mit deutlichen hinweisen auf autismus.“ die mutter ist vierundzwanzig. und eben alleine.

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