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Tabu-Zone Empfang: Warum Ärzte ihre Rezeptionen meiden sollten
“Arzt-Patienten-Besprechungen sollten nicht an der Anmeldung stattfinden, das stört erheblich die Konzentration und erschwert fehlerfreies Arbeiten, auch das Telefonieren ist in dieser Situation sehr schwierig!” Viele niedergelassenen Ärzte sind Theken-Touristen. Sie verlassen durchschnittlich 46 Mal pro Tag ihr Konsultationszimmer und gehen an den Empfang, um dort Anweisungen zu übermitteln, Organisatorisches zu erledigen, Unterlagen abzugeben oder […]
Frage (Update 8)
Bin ich der einzige, der die gestrige ARD-Dokumentation über die von der bösen Pharmaindustrie seit 20 Jahren verhinderte rosafarbene Vitamin-B12-Salbe namens “Regividerm”, die Neurodermitis zu “heilen” in der Lage ist, spontan für einen aberwitzigen PR-Stunt erster Güte hält?
Hier der Link zur Sendung.
Die Süddeutsche Zeitung glaubt die Geschichte.
Fefe, unumstrittener Experte für Verschwörungen jeglicher Art, glaubt sie auch.
Die Home-Page des Herstellers: www.regividerm.de
Wir haben uns deshalb gegen alle Widerstände entschlossen, Regividerm® Salbe selbst zu produzieren und hoffen, damit schon bald den Betroffenen der großen Zivilisationskrankheiten Neurodermitis und Psoriasis (Schuppenflechte) wirksam und nebenwirkungsarm helfen zu können!
Update: Mehr über die Hintergründe gibt es in einem gut 5 Jahre alten Artikel der Boocompany.
Update 2: Vielleicht fehlt ja dem Autor auch ein wenig Abstand zu seiner Geschichte:
Update 3: Martens’ Rezeptbuch zur Doku erreicht Platz 5 der Amazon-Bestsellerliste.
Update 4, 14:30: Platz 3. Herta Müller ist gepackt. Da geht noch was.
Update 5, 17:45: Wer das Rezeptbuch noch nicht bestellt hat, kann sich auch gleich die fertig zusammengerührte Wundersalbe holen. Das ging ja dann doch erstaunlich fix, wenn man das resignierte Gejammer im Film noch vor Augen hat.
Update 6. 18:05: Die Süddeutsche Zeitung bringt einen weiteren Artikel und hat noch nicht Lunte gerochen:
So lange wird er jedenfalls nicht mehr auf Regividerm warten müssen, dem Mann kann geholfen werden. Siehe Update 5.
Update 7: Ich habe ja schon so manche Markteinführung von fragwürdigen Medikamenten und Medizinprodukten verfolgt. Aber diese Geschichte hier hätte man nicht besser inszenieren können. Allein das Timing ist schon ein Meisterstück.
Update 8: Meine absolute Lieblingsstelle im Film ist übrigens ein Zitat von Professor Peter Altmeyer, einem der verantwortlichen Wissenschaftler der beiden bislang bekanntgewordenen Regividerm-Studien (bei ca. 11:25):
+/- Gesundheitsfonds
Gestern brachte das TV-Magazin Plusminus einen Beitrag über einen abtrusen Kodier- bzw. Software-Fehler. Patienten, bei denen eine Makuladegeneration beim Augenarzt diagnostiziert worden war, sind zu HIV-Patienten gemacht worden.
Über die Folgen wird nun gestritten. Auch ein Beispiel für die mangelnde Qualität des Medizinjournalismus in Deutschland. Der MDR, der als ARD-Anstalt den Beitrag verantwortete, fand einen Professor, der von 10 Milliarden Schaden zu Lasten der Versicherten sprach, weil die künstlich erzeugten teureren Patienten den Kassen mehr Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds brächten. Der Professor wird als “Gesundheitsexperte” vorgestellt, auf der Internetseite als “Gesundheitsökonom”. Bei genaueren Hinsehen, ist der FH-Professor eigentlich Experte für Sozialpolitik und beschäftigt sich mit Themen wie Zivildienst, freie Wohlfahrtspflege oder Kindertageseinrichtungen.
Ungewohnt scharf reagiert das Bundesversicherungsamt, dem der MDR Untätigkeit vorgeworfen hatte.
Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich beziehungsweise die jeweilige Diagnose entscheide nur darüber, wie hoch der Anteil einer Kasse an der Gesamtsumme ist.
Wenigstens hat der Chef der Aufsichtsbehörde den Gesundheitsfonds verstanden. Wie wäre es, Herr Hecken, Journalisten Fortbildungsveranstaltungen zum Gesundheitsfonds und zum deutschen Gesundheitssystem anzubieten?
Der Diagnosefehler bleibt dennoch ein tolles Stück aus dem deutschen Gesundheitswesen und lässt auf weitere Höhepunkte nach der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte hoffen. Oder auch nicht, wenn die Journalisten weiterhin die Komplexität nur ansatzweise erfassen.