“Nein, Frau Meier, ich kann ihn leider nicht einfach so Rect.o.delt Zäpfchen aufschreiben, auch wenn Sie privat versichert sind. Dieses Medikament ist rezeptpflichtig. Das wissen Sie, gut, und deshalb wollen Sie auch ein Rezept, klar. Ihr Kind hat keinen Pseudo-Krupp, keine akute Bronchitis, kein Asthma, keine Allergieveranlagung, die das Rezeptieren eines Cortison-Präparates rechtfertigen würde. Ich kann verstehen, dass Sie für alle Eventualitäten bereit sein und dieses Medikament gerne in der Hausapotheke vorrätig haben wollen. Trotzdem kann man nicht jedes Medikament zur Verfügung haben, das auf dem Markt ist. Sie würden für sich ja auch kein Nitrospray in den Schrank legen, nur weil Sie eventuell in zwanzig Jahren einen Herzinfarkt bekommen könnten. Das sei ein Unterschied? Schließlich, sei Pseudo-Krupp bei Kindern deutlich häufiger als ein Herzinfarkt bei Erwachsenen? Ja, das ist richtig. Aber er ist auch deutlich harmloser. Sie müssten bei einem Pseudo-Krupp Anfall dann in die Kinderklinik fahren, da Sie ja nun kein Zäpfchen zu Hause haben? Ja, auch das ist richtig. Warum dann alle Eltern, deren Kinder bereits einen Pseudo-Krupp Anfall hatten, diese Zäpfchen zu Hause haben? Nun, weil ihre Kinder mal einen Pseudo-Krupp Anfall hatten. Sie wollen die Praxis wechseln, weil diese Banalität für Sie ein Bruch des Vertrauensverhältnisses darstellt? Das ist schade, aber jeder muß wissen, welche Prioritäten zu setzen sind. Schade auch, daß ich Ihnen keine frohen friedvollen Weihnachtstage mehr wünschen kann, weil Sie sich nun wortlos umdrehen und das Zimmer verlassen. Trotzdem: Frohes Fest.”
Related Posts
Suicide
Eigentlich ist es dem Arzt stets unverständlich geblieben, warum Menschen freiwillig ihr Leben beenden. Woher kommt so viel Verzweiflung und Perspektivlosigkeit? Wohin ist der Mut verschwunden, das Steuer herumzureissen und das eigene Leben zu verändern?
In der Schule, in der fünften Klasse: Ein Familienvater erschoss sich, die Frau, die Kinder und damit die Klassenkamaradin. Achte Klasse: Die Mutter einer Freundin erhängte sich. Später im Krankenhaus: Ein Polizist, der über seine Krebserkrankung aufgeklärt worden war, bat sein Ehefrau, die Dienstwaffe mitzubringen. Sie lehnte ab. Kurz darauf war der Mann vom Dach des Krankenhauses gesprungen.
Später, im Notarztdienst: Sprung vom Kirchturm, Erhängen im Keller und auf dem Dachboden und unzählige Tabletten- und Alkoholvergiftungen, von denen man nie recht wußte ob es um Selbstbetäubung oder Suizid gehen sollte. Einige solcher Vergiftungen führten zum Tod, die meisten nicht, wenige bewirkten lebenslange Behinderung. Unerklärliche Verkehrsunfälle: Warum ist der Fahrer ohne Bremsversuch gegen den Baum gesaust? Die Gleis-Suicide nahmen auffällig zu, seidem der ICE durch den Ort rauschte.
Der Notarzt stellt den Tod fest. Auf dem Totenschein kreuzt er “nicht-natürliche Todesursache” an, immer bei Suizid. Früher oder später kommt die Kripo an den Ort des Geschehens. Sie muss ein “Fremdverschulden” ausschliessen. Manchmal sind Hausarzt oder Angehörige erreichbar. Meist wird über Depressionen oder frühere Suizidversuche berichtet. Selten ist man überrascht. Irgendwann hören Notärzte auf, nach den Hintergründen zu fragen. Nach der Vorgeschichte, den Begleitumständen, den Ursachen für Trauer, Verzweiflung, Perspektivlosigkeit. Den Auslösern.
Irgendwann wird die wesentliche Frage nicht mehr gestellt: “Wäre diese Selbsttötung nicht zu verhindern gewesen?” Notärzte werden zynisch, abgestumpft, desinteressiert.
Zum nächsten Einsatz gerufen.
Heiligabend mit Dr. Kunze
Zum 4. Advent-Wochenende wird am Freitag, dem 18. Dezember nach längerer Zeit eine neue Kolumne um Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze veröffentlicht.
Diesmal wird die Geschichte keinen Einblick in die Praxisarbeit bieten. Am Heiligen Abend schließt der Hausarzt mittags die Praxis und erwartet seine erwachsenen Kinder zum Familienfest. Bevor der Besuch eintrifft, geht das Ehepaar Kunze […]
Citybike: ein Erfahrungsbericht (off topic)
Es ist Wochenende, langes Wochenende genau gesagt, Feiertag, Frühling mit sommerlichen Temperaturen und Medizynicus nutzt die Gelegenheit um ein wenig hinauszuziehen in die große Weite Welt… hier also ein Live-Bericht aus einer großen europäischen Metropole Samstag Abend, kurz vor Mitternacht. Samstagabend um halb Zwölf im Szene- und Ausgehviertel dieser Metropole. Hab genug erlebt für heute […]