Jedes Klischee erfüllt

Gestern Abend habe ich an einer Fortbildungsveranstaltung für Ärzte teilgenommen, die jedes Vorurteil bedient hat, angefangen beim Thema:
Wie vermeide ich einen Arzneimittelregress?
Selbsverständlich eingeladen von einem Pharmaunternehmen. Der Medikamentenhersteller, der zu einer solchen Veranstaltung einlädt, kann sich eines vollen Hauses sicher sein, und so war es auch. Das Geschäft mit der Angst funktioniert auch bei Ärzten.
Ich fuhr also auf den Parkplatz des Super-Golfhotels mit vier oder fünf Sternen. Bis zum Haupteingang hatte ich ein Stück zu gehen und passierte zwei Q7 von Audi, einen M-Klasse Mercedes, zwei 5er Limousinen von BMW, einen Jaguar, einen X5 von BMW, einen unvermeidlichen Porsche (dem vorzugsweise ein auf jung getrimmter älterer Kollege entsteigt) und so weiter und so fort. 
An der Rezeption wurde ich in die Kaminstube verwiesen, zu der ein kleines Foyer gehörte, in dem ein kleines, neckisches Buffet auf die Damen und Herren Ärzte wartete. Nichts Besonderes: mit Käse überbackene Auberginen-Scheibchen, mit Gorgonzola-Spinat gefüllte Tomatenscheiben, die unverzichtbaren Morzarella-Sticks, Croissants, Baguette, verschiedene Salate mit verschieden Dressings, Schinkenscheibchen, ein Süppchen unklarer Geschmacksrichtung (ich habe es nicht probiert) und vieles andere mehr. Es war lecker und ziemlich viel Andrang.
Der Vortragssaal füllte sich dann nur schleppend. Das Buffet war bei weitem noch nicht geplündert. Da saßen sie nun die Damen und Herren in ihren Markenklamotten, erkennen konnte ich Joop-Jackets, selbstverständlich Lacoste-Hemden, Calvin-Klein-Hosen, noch etwas zerknittert vom Ledersitz des Phaeton. Alle von der Sorge umgetrieben, dass ihnen ihr Honorar gekürzt werden könnte, weil sie vielleicht zu viel und zu teuere Medikamente verschrieben haben.
Irgendwie ein skurriles Bild, das nun wirklich jedes Klischee erfüllte.
Der Vortrag begann. Ich zückte mein iphone, machte mir eifrig Notizen, glitt mit meinen Gedanken ab, sah auf meine Camel-Schuhe, mein Blick wanderte höher Richtung Hilfiger-Jeans, hin zum Timberland-Shirt. Am Ende war ich irgendwie froh, dass ich in meinem Golf plus nach Hause fuhr.

Wer fängt an? Teil 1

Gedanken eines Hausarztes zum deutschen Gesundheitswesen in drei Teilen
Neben der Tatsache, dass das deutsche Gesundheitswesen noch immer Beachtliches leistet, gibt einiges am System zu beklagen. selbst wenn ganz und gar neutral argumentiert würde:
Explodierende Kosten, Ungerechtigkeiten, Habgier auf allen Seiten, politische Unfähigkeit, effektheischendes Sendungsbedürfnis, ausufernde Anspruchshaltung, mangelhaftes Management und dekadente Verschwendungssucht sind Schlagworte, die jeder unterschreiben würde. Allerdings nicht jeder alle, sondern jeder die, die jeweils den anderen betreffen.
Es sind immer die Anderen
Ein Manager aus der Pharmaindustrie würde sich gegen den Vorwurf der Habgier verwahren, aber vielleicht den Tadel Richtung unfähiger Politik mittragen, oder das ständige Lamento der Krankenkassen über überhöhte Medikamentenpreise beschimpfen.
Ein Patient würde allem beipflichten, außer der ausufernden Anspruchshaltung. Damit kann er keinesfalls gemeint sein, weil er nur nimmt, was ihm zusteht und nicht einmal das bekommt er. Sicherheitshalber würde er nachfragen, wer mit dekadenter Verschwendungssucht angesprochen ist, ein unhaltbarer Vorwurf, was die Patienten betrifft.
Ein Arzt würde spüren, dass es dabei vielleicht um ihn ginge und sich sofort auf den Schlips getreten fühlen. In einer Art natürlichem Beißreflex würde er umso lauter über die Medien, Krankenkassen und Politiker schimpfen, vielleicht sogar die eigene Standesvertretung angreifen.
Die Krankenkassen würden ihr eigenes Management loben, aber zusammen mit den Politikern die Ärzte laut attackieren. Leise, quasi im Stillen, damit es niemand hört, würden sie über die Patienten lästern, die zu viel haben wollen und ihnen klammheimlich Leistungen streichen. Leise deswegen, weil Patienten ja immer auch Versicherte sind, die das Recht haben, die Krankenkassen zu wechseln.
Die Führung einer Krankenhausgruppe würde den Vorwurf der Gewinnmaximierung weit von sich weisen, auf die Kräfte der Marktwirtschaft verweisen und Krankenkassen sollten sich an die eigenen Nasen fassen.
Die Medien sind hier und da für oder gegen alles, schüren gern Ängste, alles im Sinne der umfassenden Information oder der Einschaltquoten und Auflagen. Die verwahren sich aber gegen jegliche Einschränkung ihres Mitteilungsbedürfnisses. Meinungsfreiheit ist das höchste Gut, das es mit aller Entschiedenheit zu verteidigen gilt, es sei denn, jemand ist der Meinung, die Medien sollten sich zurückhalten.
Und die Politik? Fragen wir nicht weiter, wir wissen, wie es ausgeht: Die Anderen sind Schuld. In diesem Fall sogar Mitglieder der eigenen Kaste, aber die von der anderen Partei.
Die These, die anderen sind Schuld, ist die einfachste und die gängigste, vor allem ist es die These, die sich am längsten hält und von allen Gruppen genutzt wird. Im Grunde ist diese Behauptung unverwüstlich und gilt seit dem Beginn der Zeit.
Die Sechsfaltigkeit
Auf das deutsche Gesundheitswesen wirken sechs Kräfte ein, Gruppierungen, die es tragen, bestimmen und nutzen. Erweisen wir der Politik den Gefallen und nennen sie zuerst. Gefolgt von den Verkäufern (Medikamente, Hilfsmittel, private Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen u. a.), den Versicherern (Krankenkassen, Lebenversicherungen, usw.), den Medien, den Therapeuten (KG, Ergo, Ärzte usw.) und schließlich den Patienten. Die Reihenfolge ist willkürlich und zufällig, nur eine Position ist in diesem Zusammenhang unumstößlich zutreffend, die des Patienten. Dieser Teil des Gesundheitswesens ist immer das letzte Glied der Kette. Einerlei wer die Kette aufzieht, der Patient ist nicht beteiligt und kommt nach hinten.
Allen sechs wirkenden Kräften in der Medizinwirtschaft ist eines gleich: Sie brauchen und gebrauchen das Gesundheitswesen, nutzen es oder bedienen sich an ihm, an seinen Milliarden. Mal steht der eine Nutznießer im Mittelpunkt der Kritik, mal der andere. Nie sind es alle bei allen zu gleich und niemand fasst sich an die eigene Nase. So wird es immer weiter gehen.
Im nächsten Teil wird die Titelfrage beantwortet. Wer sollte beginnen und sich an die eigene Nase fassen, sollte mit eigener Zurückhaltung eine Wende im Gesundheitssystem einleiten?

3. Platz für “Der andere Hausarzt”

Beim Gesundheitblog-Award 2009 von imedo.de hat
www.der-andere-hausarzt.de
den 3. Platz erreicht.

Ein erstaunliches Ergebnis, wie ich finde, besteht doch mein Blog nahezu ausschließlich aus Text, wenig Bilder, keine Podcasts, keine Videos. Ich finde, das macht das Ergebnis dieser Abstimmung erstaunlich. Der 3. Platz ist für mich aber auch Antrieb diesen Blog fortzuführen und ihn demnächst zu modernisieren. Vorgesehen sind vor allem Audio-Podcasts, also gesprochene oder gelesene Artikel.
Ich danke meinen Lesern (in 15 Monaten über 23.000 Besuche) und meinen Wählern für ihre Stimme. Nicht zuletzt gratuliere ich http://www.wunschkinder.net/aktuell/ zum Sieg und http://kinderdoc.wordpress.com/ zum 2. Platz.
Hier geht’s zur Ergebnisbekanntgabe auf blog.imedo.de

Korruption ganz unverblümt

Die elektronische Gesundheitskarte und kein Ende
Folgende Meldung erreicht mich gerade über den News-Ticker von www.hausarzt.de, einer Nachrichtenseite für Hausärzte:
    „Die Krankenkassen in NRW locken Ärzte mit Prämien, wenn sie sich bestimmte Lesegeräte für die elektronische Gesundheitskarte anschaffen. Das ist ein klarer Versuch, Ärzte zu korrumpieren“, warnt Wieland Dietrich für die Organisation „AG Ärzte für Datenschutz in NRW“. Die Organisation erstattet jetzt Anzeige wegen versuchter Bestechung und Untreue durch illegale Verwendung von Kassenbeiträgen.
     
Wenn gar nichts mehr geht, Korruption geht immer. Nach diesem Motto wird nach Kräften geschmiert. Im Zweifel haben genau die Krankenkassen-Manager den obengenannten Deal in die Wege geleitet, die bei der unerlaubten Ärzte-Prämie für Krankenhauseinweisungen am lautesten geschrien haben.
Übrigens, nur ganz nebenbei, fällt mir das Thema Rabattverträge dabei ein. Da sitzen Pharmaindustrie und Vertreter einzelner Krankenkassen beisammen und handeln Verträge über Medikamentenpreise aus. AOK mit Hexal, BEK mit ratio, DAK mit Bayer usw. (jegliche Ähnlichkeit mit realen Rabattverträgen wäre rein zufällig).
Kennen Sie die Devise des Hosenbandordens? Ja? Die fällt mir irgendwie dabei ein. Ich weiß auch nicht, wie das kommt.
Honi soit qui mal y pense!

 

Gesundheitsblog-Award 2009

Das Gesundheitsportal Imedo.de hat wieder zur Wahl des Gesundheitsblogs des Jahres 2009 aufgerufen. Insgesamt 10 Blogs haben die Vorauswahl überstanden, www.der-andere-hausarzt.de kann stolz verkünden, unter den Nominierten zu sein.
Wer also Lust hat und diesen Blog unterstützen möchte, kann hier zur Wahl schreiten und für die Seite Der andere Hausarzt stimmen. Der “Wahlzettel” erscheint, wenn man die aufgerufene Seite etwas herunterscrollt.
Die Wahl läuft noch bis zum 24. September 2009.

Harmlose Naturheilmittel?

Heute in der Sprechstunde habe ich wieder einmal zu hören bekommen, womit sich ein Hausarzt beinahe täglich auseinandersetzen muss.
„Schreiben Sie mir bitte nur ein harmloses Naturheilmittel auf. Ich möchte für mein Kind lieber ein paar Globuli statt der Chemie aus der Pharmaindustrie.“
Diese Aussage birgt gleich drei Trugschlüsse:
1. sind nicht alle Naturheilmittel harmlos
. Im Gegenteil, aus Fingerhut oder Tollkirsche gewonnene Medikamente können ausgesprochen giftig sein und tödliche Herz-Kreislaufreaktionen hervorrufen. Johanniskrautpräparate machen lichtempfindlich, efeuhaltige Hustensäfte können Allergien auslösen und, und, und…
2. sind Globuli keine naturheilkundlichen Arzneien sondern homöopathische. Der Unterschied ist ungefähr so groß, wie der Unterschied zwischen einer Operation und einer Akupunktur. Über die Wirksamkeit homöopathischer Substanzen wollen wir an dieser Stelle nicht streiten. Mein Grundsatz dazu heißt: Wer heilt, hat Recht!
3. ein weiterer Irrglaube ist die Annahme, Naturheilmittel seien nichts Chemisches. Natürliche Substanzen sind reine Chemie – Biochemie. Überdies kann man davon ausgehen, dass naturheilkundliche Arzneimittel in nichts anderem als in Fabriken unter Zuhilfenahme von chemischen Prozessen hergestellt werden, wenn sie in solchen Mengen gebraucht und verbraucht werden, wie beispielsweise Hustensaft auf Efeubasis oder Johanniskrautpräparate.
Ergänzend halte ich eine Einsicht für erwähnenswert, die mir als Hausarzt immer wichtiger wird, je länger ich Hausarzt bin:
Jedes Arzneimittel kann Schaden anrichten. Ob es sich um „reine Chemie“, naturheilkundliche Mittel, homöopathische Substanzen oder Zuckertabletten handelt. In einem wesentlichen Punkt sind sie alle gefährlich: All diese Mittel können den Eindruck erzeugen, es reiche, eine Pille oder ein paar Tropfen einzunehmen und man wird wieder gesund. Diesen Leitgedanken beispielsweise bereits Kindern vorzuleben, halte ich für gefährlich. Kindlichen Kopf- oder Bauchschmerz behandele ich deswegen nicht mit „harmlosen“ Mitteln. Entweder steckt dahinter eine Erkrankung, die erkannt und korrekt behandelt werden muss oder, wie in den allermeisten Fällen, es verbergen sich Kummer und Sorgen dahinter. Diese sollten mit Zuwendung behandelt werden, nicht mit Tabletten, Saft oder Kügelchen. Selbstverständlich kann die Zuwendung unterstützt werden mit einem kühlen Lappen für die Stirn oder einem warmen Umschlag für den Bauch. 

“Muskelrheuma” vs. Medikamenten-Nebenwirkung

Längst nicht immer haben rheuma-ähnliche Muskelschmerzen wirklich mit Rheuma zu tun. Weichteilrheuma ist in diesem Zusammenhang eine moderne Diagnose, die meiner Meinung nach recht flott gestellt wird. Wenn dabei die entsprechenden Blutwerte nicht passen oder ganz fehlen, heißt es eben, es handelt sich um das sogenannte sero-negative Rheuma.
Eventuell auf Medikamente verzichten
In solchen Fällen lohnt es sich, die Medikation der Patienten zu durchforsten (oder eben die eigene Medikation zu überprüfen, wenn man selbst der Patient ist). Steht ein Cholesterinsenker vom Statin-Typ (Simvastatin, Pravastatin) auf der Liste der täglich einzunehmenden Mittel, haben wir möglicherweise einen Übeltäter gefunden. Nebenwirkungen der Statine sind nicht selten Ursache für Muskelschmerzen unklarer Herkunft. Hier lohnt sich ein Absetzversuch, zumal das Medikament nicht akut lebenswichtig ist. Als Hausarzt erlebe ich es immer wieder, dass lang anhaltende Muskelbeschwerden nach so einer Maßnahme innerhalb von Tagen wie weggeblasen sind.
Nebenwirkungen sind doppelt schlecht
Derlei durch Medikamente hervorgerufene Beschwerden sind besonders kontraproduktiv, weil sich die betroffenen Patienten auf Grund ihrer Muskelschmerzen nicht mehr bewegen mögen. Dabei ist doch die Bewegungstherpie gegenüber der Medikamenteneinnahme die wichtigere Therapie im Kampf gegen erhöhte Blutfette.
Statt also möglicherweise die Tagesration an Tabletten (Antirheumatika) zu erhöhen, kann es durchaus notwendig sein, mal auf ein Medikament zu verzichten. Denn der Grundsatz in der Therapie gilt:
Der Nutzen muss über dem Schaden stehen.

Schweinegrippe: Sinneswandel als Kehrtwende?!

Die Bundesärztekammer hat eine Massenimpfung gegen die Schweinegrippe indirekt als Ergebnis von Pharma-Lobbyismus kritisiert. Es entstehe “der Verdacht, dass die Interessen der Pharmaindustrie durch ihre Lobbyisten wieder einmal gut bedient werden”, sagte die Vizepräsidentin der Kammer, Dr. Cornelia Goesmann, nach einem Bericht der „taz“.

Diese Meldung aus der taz wird so auf der website www.hausarzt.de verbreitet, eine homepage für den interessierten Hausarzt. Hat da etwa jemand jemandem auf die Füße getreten, dass es zu so vernünftigen Ansichten kommt, ohne Rücksicht auf Bundesregierung und Pharmaindustrie?
Einerlei wie und warum - Hauptsache ist, wir Ärzte kommen in diesem Punkt langsam zur Vernunft.
Ganz im Gegensatz zur BILD-Zeitung, deren BALKENÜBERSCHRIFT wiedermal vor der tödlichen Gefahr der Schweinegrippe warnt.

Dr. Kunze hört (nicht) auf 15

Der Leser der letzten Kolumne „Dr. Kunze ganz privat“ wird sich erinnern, dass der Hausarzt für einen kleinen Einkaufsauftrag seiner am Fuß verletzten Ehefrau über zwei Stunden benötigte. In der heutigen Geschichte wird – wie angekündigt – der Grund für dieses Schneckentempo nachgereicht.
September 2009
Dr. Kunze kauft ein
Als Dr. Kunze den Käseladen betrat, wäre er am liebsten sofort auf dem Absatz umgekehrt. Ausgerechnet Frau Pfaff. Erst vor wenigen Tagen war die letzte Gewichtskontrolle wiedermal desaströs ausgefallen. Was würde er sich in den nächsten Minuten alles anhören müssen – wenn es Minuten blieben. Der Doktor ahnte es: Der sechzig-prozentige Brie, der für sie abgewogen wurde, war ausschließlich für den Besuch gedacht, den Vollfett-Camembert und den Streichkäse auf Mascarpone-Basis sollte Frau Pfaff gewiss der Nachbarin mitbringen und die anderen fetten Kleinigkeiten waren nicht der Rede wert. Aber bei derlei Kommentaren zum eigenen Einkauf würde es nicht bleiben. Sicher würde Frau Pfaff, nach abgeschlossenem Einkauf, noch dieses und jenes in den Auslagen des Spezialitätenladens zu betrachten haben. Das Warenangebot des kleinen Ladens würde sie in diesem Falle weniger interessieren, eher die Besorgungen des Hausarztes. So ein hausärztlicher Einkauf war doch zu spannend und bot eine wunderbare Neuigkeit für das nächste Kaffeekränzchen! Und ganz bestimmt, da war sich Anselm Kunze sicher, würde Frau Pfaff die Chance nutzen, um die eine oder andere Befindlichkeitsstörung anzusprechen. In so einem heimeligen Geschäft ging das ja ganz ohne Wartezeit.
Nein, Hausarzt Kunze ging nicht gern einkaufen. Und dies war erst der Anfang. Die Metzgerei wartete noch auf ihn, dazu der Supermarkt am Ortsrand.
Die Türglocke läutete. Der Hausarzt sah sich um und hinter ihm betrat Patient Hermann Walter den Laden. Dieser schlug sich seit einigen Monaten mit einem hartnäckigen Husten herum. Genau genommen, so wurde Herr Walter nicht müde zu betonen, hustete er, seit er in der Kunzeschen Praxis über eine halbe Stunde halbnackt auf dem Fahrrad-Ergometer auf den Arzt hatte warten müssen. Der Husten war nicht nur für Herrn Walter lästig. Der Neuankömmling grüßte in die Runde und hüstelte verhalten.
„Nehmen Sie den Herrn Doktor ruhig vor, der hat’s bestimmt eilig. Nicht wahr, Herr Doktor?“
Das war also Frau Pfaffs Taktik, sie ließ ihren Hausarzt einfach vor, obwohl ihr Einkauf so gut wie erledigt sein musste, jedenfalls wenn er die Käsemassen auf der Arbeitsplatte der Verkäuferin richtig deutete. Apropos Verkäuferin: Er war sich sicher, dass er die junge Frau kannte, aber ein Name und eine Geschichte wollte ihm zu dem Gesicht nicht einfallen.
„Also, schön!“ Die Verkäuferin schien wenig begeistert. Sie wusste genau, worum es Frau Pfaff mit ihrer zuvorkommenden Aktion ging. „Herr Doktor, was darf’s sein?“
„Haben Sie noch von diesem würzigen Ziegenkäse, den meine Frau letztens gekauft hat?“
„Aber, Herr Doktor, seit wann siezen Sie mich denn? Ich habe doch schon auf Ihrem Schoß gesessen und Ihnen in die Ohren geschaut, als ich selbst eine Mittelohrentzündung hatte und mich nicht untersuchen lassen wollte. Sie kennen mich von klein auf. Nein, so weit kommt das noch. Ich möchte zeitlebens für Sie die Anni bleiben.“
Dr. Kunze lächelte verlegen und nickte. Wenn er sich erinnert hätte, dass diese junge Dame, die kleine, freche Anni von damals war, hätte er sie bestimmt nicht gesiezt. Duzen-Siezen-Gedächtnis – sein altes Problem. Doch Frau Pfaff ließ ihn nicht weiter seinen Gedanken nachhängen.
„Dieser Ziegenkäse aus Griechenland ist wirklich ein Gedicht. Leider gönne ich ihn mir viel zu selten. Sie wissen ja…“ Sie verstummte vielsagend und legte beide Hände auf ihren Bauch. Sie wirkten verloren auf der enormen Vorwölbung ihrer Strickjacke.
Anselm Kunze nickte beiläufig in die Richtung seiner übergewichtigen Patientin und bestellte vom Kräuterstreichkäse mit Schnittlauch und Zwiebeln, ein vom Inhaber des Käseladens selbst komponiertes Rezept.
„Ein herrlich würziger Käse,“ Frau Pfaff reckte sich verschwörerisch in Richtung Hausarzt-Ohr und flüsterte vernehmlich, „aber leider hat man hinterher immer etwas mit Blähungen zu tun.“
Herr Walter hustete und Anni mahnte die Kundin milde, den Doktor doch in Ruhe seine Einkäufe erledigen zu lassen. Anselm Kunze wünschte noch zehn Scheiben Tilsiter, aber vom pikanten.
„Och, den mochte mein verstorbener Mann auch immer so gern. Und was habe ich immer gesagt? Schatz, iss nicht immer so viel fetten Käse, das schlägt dir aufs Herz. Und was ist passiert? Na, ja, Sie wissen es ja am besten. Der liebe Gott hat ihn viel zu früh zu sich geholt. Herzinfarkt – bums – aus die Maus! Sieben Jahre werden das jetzt schon. Apropos Herz, Herr Doktor, hier habe ich neuerdings immer so ein Stechen.“
Frau Pfaff hob ungeniert ihren gewaltigen linken Busen an und strich über die darunterliegenden Rippen mit der flachen Hand. Die Massen kamen in Schwung. Herr Walter hustete anfallartig und studierte mit plötzlichem Interesse das Gewürzregal.
„Hat das vielleicht mit meinen Krampfadern zu tun? Die ärgern mich in letzter Zeit auch. Sind aber auch schlimm geworden.“
Frau Pfaff hob ihren Rock und wies auf ihre linke Kniekehle. Die dünnen Nylonstrümpfe verdeckten die wulstigen Venen kaum. Angesichts dieses Anblicks erwachte Dr. Kunze zum Leben.
„Warum verschreibe ich Ihnen eigentlich zwei Paar Kompressionsstrumpfhosen pro Jahr, Frau Pfaff, wenn Sie doch in diesen dünnen Dingern rumlaufen? So geht das aber nicht. – Das wär’s.“
„Wie, das wär’s? Wollen Sie mir jetzt keine Strumpfhosen mehr aufschreiben? Ich bin doch nur kurz…“
Frau Pfaff kam nicht weiter.
„Das wär’s heißt, ich möchte keinen weiteren Käse mehr.“ Was mit Käse gemeint war, blieb eine Sekunde lang unklar, dann sagte Dr. Kunze: „Danke Anni, stimmt so. Der Rest ist für die Kaffeekasse.“
Anni hob den Daumen zum Abschied, ob der pfiffigen Doppeldeutigkeit des Doktors, die Frau Pfaff verstummen ließ und Herr Walter lächelte – ohne zu husten.
Bis zum Metzger waren es nur wenige Schritte, vielleicht fünfzig, sechzig Meter durch die kleine Fußgängerzone. Der Hausarzt grüßte in Richtung einer Gruppe Bauarbeiter, die an einem Stehtisch Kaffee tranken.
„Morgen, Herr Doktor! Heute mal höchstpersönlich unterwegs? Ist Ihnen die Frau weggelaufen?“
Fröhliches Gelächter begleitete den Arzt, der mit winkender Hand anzeigte, dass er den Witz keineswegs übelnahm. Die Männer ahnten ja nicht, wie sehr sie danebenlagen. Von weglaufen konnte bei seiner Frau im Moment nicht die Rede sein.
Hechelnder Atem im Nacken riss Dr. Kunze wieder aus seinen Gedanken.
„Ach, Herr Doktor, gut, dass ich Sie treffe! Ich bin so in Not! Die Krankenkasse will mir mein Krankengeld nicht zahlen. Die sagen, der Gutachter hätte gesagt, ich hätte arbeiten können, aber ich konnte doch letzte Woche wirklich noch nicht. Sie haben mich doch auch weiter krankgeschrieben. Erst diese Woche geht es wieder so langsam, aber die ersten Tage haben mich ganz schön erschöpft. Aber keine Angst, ich will lieber durchhalten, als noch mehr Ärger haben mit der Krankenkasse.“
Während die Frau mittleren Alters nach Luft japste, ging sie von drei Voraussetzungen aus:
1. Der Hausarzt wusste, wer sie war.
2. Der Hausarzt hatte ihren persönlichen Fall im Gedächtnis.
3. Der Hausarzt kannte ihre finanziellen Verhältnisse und ahnte, wie sehr sie ohne das ausstehende Krankengeld in Not war.
Dr. Anselm Kunze hörte der Frau im hellblauen Kittel einer Verkäuferin ruhig zu. Aus ihr sprudelten die Sorgen nur so heraus. So viel Zeit musste sein und lange dauerte so ein Sprudeln meist nicht, allenfalls zwei oder drei Minuten. Die wirkten lang und sie ließen einer Menge Sorgen freien Lauf. So ein Redefluss schaffte Erleichterung, und auf diese Weise ging es viel schneller, als wenn man als Arzt versuchte, ihn zu unterbrechen.
Nur was, wenn er am Ende dieses Schwalls fragen müsste: Wie ist ihr Name? Worum geht es? Welche Ernüchterung. Welche Enttäuschung. Wie viel verlorene Hoffnung auf Hilfe! Aber wie sollte er all die Krankengeschichten behalten? Alles in allem genommen hatte er zwischen achtzig bis hundert Patientenkontakte pro Tag. Die Leute machten sich ja keine Vorstellung davon, wie ein Praxisalltag ablief:
Sprechzimmer 1: Kleinkind mit Fieber; danach Sprechzimmer 2: alte Dame mit Knochenschmerzen; Sprechzimmer 3: junge Frau mit Krebs, wieder Sprechzimmer 1: Handwerker mit vereiterter Schnittwunde; Sprechzimmer 2: Schüler mit akuter Unlust; dann drei Telefonate wegen Blutergebnissen, Krankenhauseinweisung und Problemen mit der Apotheke; Sprechzimmer 3: eine alte Frau möchte sterben; wieder Sprechzimmer 1: Ehesorgen einer guten Bekannten verbunden mit Magenschmerzen … und, und, und.
Das war eine Stunde Praxisleben – mehr nicht. So ging es tagein, tagaus. Aber das war kein Problem, Anselm Kunze arbeitete gern. Er mochte seine Patienten und seine Patienten mochten ihn. Er hätte sich, genauso wie sie, hie und da mehr Zeit gewünscht. Er konnte nur lachen über Artikel in der Presse oder Kommentare im Fernsehen, wenn es hieß, Patienten verlieren Vertrauen zu ihren Ärzten. Er hatte eher das Gefühl, Patienten und Hausarzt waren oft eine verschworene Gemeinschaft, und damit war er sicher keine Ausnahme.
Die Frau auf der Straße und ihr Hausarzt hatten Glück. Den eingestickten Namen auf dem Kittel der Frau konnte er ohne Brille nicht lesen und auch sonst hatte er keine Ahnung, um welchen Fall es ging, aber Anselm Kunze konnte ohne großes Risiko so tun, als ob ihm alles klar war.
„Machen Sie sich keine Sorgen, ich kümmere mich gleich morgen darum. Ich rufe den Filialleiter der Krankenkasse höchstpersönlich an und lasse nicht locker, bis ich die Kopie Ihrer Geldanweisung per Fax erhalten habe. Vertrauen Sie mir! Seien Sie ganz beruhigt.“
Das war kein leeres Versprechen. Die Frau kannte ihren Arzt und war erleichtert. Sie dankte, entschuldigte sich für den „Überfall“, grüßte zum Abschied, drehte sich noch einmal, winkte lächelnd und verschwand im Bäckerladen. Sie war ganz sicher, dass die Angelegenheit damit geregelt war. Sie vertraute ihrem Hausarzt. Und sie konnte ganz sicher sein.
Dr. Kunze zog sein Handy aus dem Jackett, trat etwas beiseite in einen Hauseingang und aktivierte die Diktierfunktion:
„Notiz: Frau, etwa vierzig Jahre alt, Verkäuferin bei Bäcker Martens, bis letzte Woche für längere Zeit krankgeschrieben, Problem mit dem Krankengeld.“
Das waren mehr als genug Informationen für Christine, seine beste Kraft, um die entsprechende Karteikarte zu ziehen. Seine Helferin war schon mit wesentlich weniger Information ausgekommen, um komplexere Zusammenhänge aufzudecken. Das war eine leichte Aufgabe. Auf dem Display seines Handys verfolgte der Arzt, wie das kurze Diktat in Bruchteilen einer Sekunde gespeichert wurde. Erst sein Sohn hatte ihn auf diese Funktion hingewiesen, als er den Vater wieder einmal in einem Wust von Zetteln und Schnipseln nach einer wichtigen Telefonnummer suchen sah.
„Tach, Herr Doktor, immer im Einsatz, was? Unglück schläft nie. Gut, dass es Handys gibt. Einen schönen Tag noch.“
Das war Herr Lamprecht, pensionierter Briefträger, immer freundlich, immer eine fröhliche Plattitüde auf den Lippen, immer mit dem Rad unterwegs. Ganz so, als stünde er noch in Lohn und Brot. Das Wissen um den Namen dieses Mannes reichte für eine freundliche Replik, die Anselm Kunze bereits hinterher rufen musste.
„Na, Herr Lamprecht, immer noch wie ein geölter Blitz unterwegs. Gleichfalls, gleichfalls.“
Anselm Kunze hatte den Metzgerladen fast erreicht, als ein Elternpaar mit einem kleinen Jungen an ihm vorbeistürmte. Das Kind schrie auf dem Arm des Vaters. Noch bevor der Hausarzt reagieren konnte, rief eine ältere Frau den dreien hinterher:
„Jens, Ute, bleibt stehen. Hier ist Dr. Kunze, der kann vielleicht helfen.“

Was ist mit dem Kind? Wie geht es weiter beim Metzger? Der geneigte Leser muss sich ein wenig gedulden. Die Einkaufstour eines Hausarztes in einer Kleinstadt kann sich in die Länge ziehen. Das ist wie im richtigen Leben. Da bedarf es schon mal eines zweiten Anlaufs, um die Geschichte zu Ende zu erzählen. Ein paar überraschende Wendungen wird es geben, so viel kann ich sagen.

Keine Entwarnung für Impfstoff gegen Schweinegrippe

So leicht, wie Bundesgesundheitsministerin Schmidt das Thema Impfung gegen Schweinegrippe nimmt, so leicht sollten sich das die Menschen in Deutschland nicht machen.
Der Impfstoff ist in dieser Form vollkommen unzureichend getestet. Hierbei geht es vor allem um den enthaltenen Zusatzstoff – einen Immunmodulator. Dabei handelt es sich um eine Substanz, die das Immunsystem des jeweils Geimpften stimulieren soll. Dieser Zusatz hat vor allem die Aufgabe, die Menge des eigentlichen Impfstoffs geringer halten zu können. Obwohl die Impfstoff-Herstellungsmaschinerie auf Hochtouren läuft, scheint hier Mangel zu herrschen oder es soll, was wahrscheinlicher ist, Geld gespart werden. Die ultrakurze Testphase dieses Adjuvans macht erfahrene Mediziner stutzig.
Apropos: Herstellung des Impfstoffes. Zu diesem Punkt werden die Informationen äußerst vage gehalten. Es heißt, der Impfstoff wird nicht, wie sonst üblich, aus bebrüteten Hühnerei-Kulturen gewonnen, weil dort das Wachstum der Viren sehr langsam geschieht (im Unterschied zum „normalen“ Grippevirus).  Stattdessen wird verlautbart, dass die Viren auf Zellkulturen gezüchtet werden. Das klingt klinisch rein, ist es vielleicht auch. Aber auch die Zellkulturen müssen von irgendwoher kommen. In diesem Fall wohl aus Affenlebern und Hundenieren (kein Scherz!). Als Hausarzt bin ich zwar von Haus aus Naturwissenschaftler, aber noch immer soviel Mensch, dass ich nicht weiß, ob ich diese Variante appetitlicher finden soll.
Zu allem Übel ist die Notwendigkeit der Impfung gegen das Virus H1N1 äußerst zweifelhaft. Von gefährlichen Mutationen des Virus kann bislang keine Rede sein. Das ganze Szenario wirkt immermehr wie ein riesiges Geschäft mit der Angst, bei der die Bundesregierung entweder auf Druck einer starken Lobby mitmacht oder aus Ahnungslosigkeit. Beides wäre wenig beruhigend.
Mein Fazit bislang: Lieber Milliarden zum Fenster herauswerfen als mit ihnen Schaden anrichten.

„Mein Hausarzt kommt ja nicht mehr raus…“ – Teil 2


„Warum haben Sie denn nicht den hausärztlichen Notdienst gerufen?“
„Mein Hausarzt macht da nicht mit. Er sagt, er macht das lieber selbst!“
„Dann muss er sich abends auch um Sie kümmern…“
„Tut er aber nicht! Probieren Sie doch selbst! Rufen Sie einfach seine Praxis an!“
Als der Patient gegangen ist, probiere ich es wirklich aus.
„…guten Tag. Dies ist der Anschluss der Hausarztpraxis Dr. X. Sie rufen ausserhalb unserer Sprechzeiten an. Unsere Sprechzeiten sind Montags bis Freitags von acht Uhr bis elf Uhr dreissig und Montags, Dienstags und Donnerstag von vierzehn bis siebzehn Uhr. Ausserhalb dieser Zeiten steht Ihnen für Notfälle aller Art rund um die Uhr die Notaufnahme des Kreiskrankenhauses Bad Dingenskirchen zur Verfügung. Sollten Sie im Falle eines dringenden medizinischen Notfalles nicht in der Lage sein, das Krankenhaus aufzusuchen, rufen Sie bitte den Notarzt. Selbständlich stehen auch wir Ihnen ausserhalb der Sprechzeiten in dringenden Fällen für Rückfragen zur Verfügung. In diesem Falle hinterlassen Sie bitte nach dem Ende der Ansage eine Nachricht, Sie werden dann umgehend innerhalb der nächsten Stunde zurückgerufen. Beachten Sie jedoch, dass ärztliche Konsultationen in der Praxis sowie Hausbesuche von seltenen Ausnahmen abgesehen grundsätzlich während der oben genannten Sprechzeiten stattfinden sollten.“

Dr. med. Kunze geht einkaufen

In der nächsten Kolumne “Dr. Kunze hört (nicht) auf”, geht der Hausarzt einkaufen. Seine Frau liegt mit verletztem Fuß zu Hause auf dem Sofa und kann nicht laufen. Also muss der Ehemann in die Stadt, um ein paar Besorgungen zu erledigen. Am 7. September 2009 erfährt der Leser, dass Einkaufen nicht gerade Hausarzt Dr. Kunzes Lieblingsaufgabe ist. Die 15. Ausgabe der monatlichen Kolumne “Dr. Kunze hört nicht auf” erzählt, warum das so ist.

Sinn und Unsinn der Impfung gegen Schweinegrippe

Über den Sinn einer Impfung gegen die Schweinegrippe lässt sich trefflich streiten. Zu allererst ist diese riesige Aktion ein Geschäft, aber Geschäfte sind längst nicht immer von moralisch hohem Standard. Geschäfte sind zu allererst dazu da, Geld zu verdienen.
Als langjähriger Hausarzt sehe ich zu diesem Zeitpunkt absolut keinen Grund für eine Massenimpfung. Darüber hinaus ist der Impfstoff möglicherweise nicht ungefährlich. Die Spritzen, die ab Oktober verabreicht werden sollen, enthalten nämlich nicht nur den Impfstoff gegen das Schweinegrippen-Virus, sondern zusätzlich noch ein Adjuvans, welches die Immunabwehr stimulieren soll. Diese mit heißer Nadel gestrickte Kombination ist keineswegs ausreichend getestet. In der Kürze der Zeit ginge das auch gar nicht.
Was macht dieser Impfstoff also mit besonders empfindlichen Organismen, wie zum Beispiel Embryonen? Oder mit Schwerkranken? Mit geschwächten Greisen? Bevölkerungsgruppen, die von Impfungen ja gerade profitieren sollen.
Lassen wir uns in einer Art Massenhysterie auf ein zweites Contergan ein?

Das öffentliche Abspecken des Reiner Calmund

Jeder kann über das medienbegleitete Abspecken des Reiner Calmund denken, was er will. Aber für mich als leidgeprüften Hausarzt, was dieses Thema betrifft, laufen zumindest zwei Dinge richtig:

1. setzt sich Herr Calmund mit der ausufernden Öffentlichkeit im Zusammenhang mit seiner Gewichtsabnahme so unter Druck, dass er praktisch nicht mehr anders kann, als eine bestimmte Anzahl an Kilos zu verlieren und
2. (dieser Punkt ist besonders erfrischend) gibt Herr Calmund frank und frei zu, dass seine Pfunde von zuviel Essen und zu wenig Bewegung kommen. Ein nicht allzu beliebter Denkansatz in der täglichen Praxis eines Hausarztes

Zu 1.) Diesen Punkt sollte jeder, der entschlossen ist, Gewicht abzunehmen, ebenso handhaben. Zwar interessiert es das Fernsehen und die Zeitungen nicht die Bohne, wenn Otto Normalverbraucher abnehmen will. Aber einiges ist auch schon mit nachdrücklichen Ankündigungen in der Verwandtschaft oder mit Wetten zwischen Freunden getan.

zu 2.) Hier sollte jeder sein Essverhalten und Bewegungsverhalten kritisch überprüfen. In den aller-allermeisten Fällen sind es eben nicht die Drüsen, die zur Fettleibigkeit führen, auch Gene spielen nur eine zweitrangige Rolle. Und das beliebte: “Herr Doktor, ich esse wie ein Spatz”, bedeutete jeden Tag eine Nahrungsmenge von etwa der Hälfte des eigenen Körpergewichts zu verkonsumieren. 

“aut idem” und kein Ende

Es gibt Themen, die sind zwar aus der täglichen Diskussion verschwunden, in der Praxis eines Hausarztes aber noch immer vorhanden. Deswegen an dieser Stelle noch einmal ein Artikel zur aut-idem-Regelung.
Eine Krankheitsgeschichte
In den letzten Wochen habe ich mir mein hausärztliches Hirn zermartert um herauszubekommen, warum es einer meiner Patientínnen so schlecht geht. Sie leidet unter anderem unter Bluthochdruck, leichter Herzschwäche und zu hohem Cholesterin (wenn das tatsächlich ein Leiden ist). Sie hat eine Krebserkrankung überstanden und steckt mitten in der Behandlung der zweiten. Aber ihre Lage war stabil.
Die unterschiedlichen Erkrankungen der Patientin bringen es mit sich, dass sie von verschiedenen Ärzten behandelt wird. Sie selbst war in der Vergangenheit häufig überfordert von ihren Krankheiten, von reichlich Diagnostik und noch mehr Therapie. Alles war nötig und hat, wie gesagt, auch geholfen. Ihr Zustand war stabil bis zufriedenstellend.


Aber in den letzten Wochen wurde sie schwächer, sie verlor an Gewicht, kam morgens kaum aus dem Bett, und wenn sie es schaffte, die Lage zu wechseln, konnte es ihr passieren, dass sie vor Schwäche und Schwindel stürzte. Darüberhinaus erschien sie mir blass und nicht immer schaffte sie den Weg in die Praxis, Hausbesuche waren erforderlich.
Etliche Untersuchungen wurden von mir veranlasst: Eisenkonzentration im Blut, Tumormarkerkontrolle, Blutzuckerspiegel überprüft, ebenso die Schilddrüsenwerte, EKG geschrieben, Kreislauf gemessen und, und, und. Bis auf eine Tendenz zum zu niedrigen Blutdruck fiel nichts weiter auf. Dies war allerdings ungewöhnlich bei einer Patientin, die bisher unter Bluthochdruck litt.
Des Rätsels Lösung
brachte schließlich der letzte Hausbesuch. Ich sah eine bunte Mischung von Tablettenpackungen verteilt auf dem Wohnzimmertisch liegen.
“Was genau nehmen Sie davon ein?” fragte ich und die Patientin antwortete mit einem Handstreich: “Alles!”
Danach war alles klar.
Auf dem Tisch lagen die Verpackungen eines Antihormons zur Krebsbehandlung, eines Cholesterinsenkers, eines blutdrucksenkenden Mittels mit gleichzeitig herzunterstützender Wirkung, eines blutdrucksenkenden Mittels in Kombination mit einem wasseraustreibenden Wirkstoff. Alles richtig! Nur die Blutdruckmittel lagen dort jeweils in dreifacher Ausfertigung.
Meine Patientin gehört zu der Sorte der Eichhörnchen, sprich frühzeitig für schlechte Zeiten sorgen ist wichtig. Obwohl sie also noch reichlich Blutdruckmittel hatte, holte sie sich Nachschub beim mitbehandelnden Internisten. In der Apotheke bekam sie nicht die übliche dunkelblaue und rote Packung, sondern diesmal eine blassgelbe und eine orangefarbene mit anderen Namen. Das waren nicht die richtigen (obwohl die Wirkstoffe exakt stimmten). Sie holte sich in unserer Praxis also die richtigen, wollte es jedenfalls, und bekam diesmal eine grüne Schachtel und eine rosafarbene, wieder mit einem anderen Namen. Die Patientin war verwirrt und nahm schließlich von jeder dieser Packungen die verordnete Dosis ein, nicht durchschauend, dass sie ihre gesamte Blutdruckmedikation in dreifacher Dosierung schluckte. Danach begann es, ihr schlecht zu gehen, was nicht weiter wundert.

Dieses Beispiel ist längst kein Einzelfall. Mich (und andere Hausärzte mit mir) würde es sicher grausen, wenn ich genau wüsste, wie viele Fehldosierungen von Medikamenten durch die aut-idem-Regelung zustande kommen. Und nebenbei wird auf diese Weise eine Menge Geld zum Fenster rausgeworfen.

Von unseren Funktionären verarscht (wieder mal)


Irgendwann stellt sich für jeden Arzt die Frage, wo er denn nun seine langfristige berufliche Zukunft sieht.
Manche Kollegen und Kolleginnen wissen das schon im Studium ganz genau: Avialle, die kleine Aufschneiderin will Chirurgin werden. Sternenmond will Kinderärztin werden.
Andere Leute lassen sich mit der Entscheidung etwas mehr Zeit.
Wenn man sich so die verschiedenen Karrierepläne seiner Kollegen anhört, fällt eines auf: Die meisten sehen ihre Zukunft – in der einen oder anderen Form – im Krankenhaus. Natürlich würde man gerne irgendwann einmal Chefarzt werden. Oder zumindest Oberarzt. Wenn nicht in Deutschland, dann im Ausland.
An eine Niederlassung in eigener Praxis, womöglich noch als Hausarzt, denken hingegen die Wenigsten.
Dabei wird allmählich immer deutlicher, dass zumindest langfristig in Deutschland Hausärzte gebraucht werden. Und zwar vor allem in ländlichen Regionen.
Unsere Funktionäre und Politiker wissen das.
Aus diesem Grunde gab es finanzielle Förderungen: Wer als Teil seiner Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin in einer Hausarztpraxis arbeitet, bekommt von den Kassenärztlichen Vereinigungen einen Zuschuss zu seinem Gehalt. Oder anders ausgedrückt: Einen erheblichen Teil seines Gehaltes zahlt nicht der Arbeitgeber (die Praxis, in der er arbeitet), sondern die Institution, welche dafür verantwortlich ist, dass flächendeckend eine hausärztliche Versorgung gewährleistet ist.
Dieser Verein ist allerdings für so manche Überraschung gut – wie nicht nur die leidgeprüften niedergelassenen Kollegen wissen.
Die Neueste Schnapsidee (übrigens ein herrlicher Beitrag für den Kafka-Award):
Ärzte, welche nicht so spuren wie politisch gewollt sollen ihr Gehalt wieder zurückzahlen.
Das ist kein Aprilscherz, das ist ernst gemeint: Wer seine Facharztprüfung bestanden hat, soll sich anschliessend schleunigst in eigener Praxis niederlassen, nach Möglichkeit irgendwo in der Zone…. Äh, in den östlichen Bundesländern auf dem platten Land.
Wer sich nach einer bestimmten Zeit immer noch nicht niedergelassen hat, soll gefälligst das, was er im Laufe seiner Weiterbildung an Förderung von der KV erhalten hat, zurückzahlen.
Wie bitte?
Reden wir Klartext: Für viele jüngere Kollegen ist es schlicht und einfach nicht attraktiv, sich als Hausarzt niederzulassen. Die Arbeitszeiten sind lang und oft nicht mit einem geregelten Familienleben zu vereinbaren, die Vergütung wird jährlich schlechter und die Bürokratie immer schlimmer.
Es gibt inzwischen bessere Alternativen: Jobs als Angestellter Facharzt in Akut- und Rehakliniken, oder auch in MVZs oder in großen Praxen.
Wäre es nicht vielleicht angebracht, den Beruf des Hausarztes wieder attraktiver zu machen anstatt hier mit der Peitsche auch noch die Letzten zu vergraulen, die sich vielleicht dafür interessieren?
Ob das kleine Häuflein der Aufrechten es noch schaffen wird, diese Entwicklung zu verhindern bzw. rückgängig zu machen?
Man darf gespannt sein!

Überflüssige Facharzttermine

Die letzte Kolumne Dr. Kunze hört (nicht) auf 14 wurde unter anderem mit folgenden Worten kommentiert:
…Ärzte (hier waren wohl Hausärzte gemeint), die alles an sich reißen, sind mir suspekt. Ein Schilddrüsenproblem sollte sehr wohl zum Spezialisten gehören…

Diese Einstellung legt einen Missstand in der heutigen Medizin offen und ist einer von mehreren Gründen, warum wir heutzutage so lange auf Facharzttermine warten müssen, wenn wir sie wirklich brauchen.
Eine einfache Hyper- oder Hypothyreose (Über-oder Unterfunktion) bedarf keineswegs der Dauerbehandlung eines Endokrinologen (Facharzt für hormonelle Störungen). Ein geprelltes oder verdrehtes Knie muss keineswegs in jedem Fall von einem Chirurgen oder Orthopäden behandelt werden, muss auch nicht sofort zum Kernspintomogramm, muss vor allem angefasst und untersucht werden.
Ebensowenig bedarf eine Migräne nicht in jedem Fall eines Neurologen oder ein Herzstolpern eines Kardiologen und nicht jeder Leberfleck muss von einem Hautarzt begutachtet werden.
Allgemeinärzte heißen auch deswegen Allgemeinärzte, weil sie einen allgemeinen Überblick über die Medizin besitzen. Tiefergehende Kenntnisse in bestimmten Fachgebieten hängen von der Ausbildung und vom Eigeninteresse des Hausarztes ab. Und sicher wird ein verantwortungsvoller Hausarzt einen speziellen Sachverhalt vom fachlich ausgebildeten Kollegen behandeln lassen.

Aber Wege, die direkt zum Facharzt führen, sind oft überflüssig und immer teuer. Dies ist nur ein Aspekt. Richtig ärgerlich wird es, wenn keiner der behandelnden Ärzte unterschiedlicher Fachrichtung mehr einen Überblick über den Patienten behält. Der Gynäkologe verordnet Hormone, der Orthopäde eine Operation, der Kardiologe etwas zur besseren Herzdurchblutung und zur Senkung des Blutdrucks, der Neurologe ein Antidepressivum, der Urologe ein Antibiotikum, der Zahnarzt auch, der Augenarzt leitet die nächste Operation in die Wege und der Radiologe eine CT-gesteuerte Spritzentherapie der Halswirbelsäule - und niemand weiß vom anderen etwas.
Die Wechselwirkungen der Medikamente (inklusive Betäubungsmittel) treiben bunte Spielchen und verursachen neue Symptome, die einer weiteren ärztlichen Behandlung bedürfen und vielleicht eine weitere Medikation veranlassen. Hier ist eine hohe Dunkelziffer von Beschwerden anzunehmen, die von Medikamenten ausgelöst werden. Auf diese Weise kann der Weg zum Facharzt sogar zur Gefahr werden.

Ein von mir sehr geschätzter Kollege hat einmal gesagt: “Wenn ein Patient mehr als vier Medikamente gleichzeitig einnimmt, weiß kein Mensch mehr, was in seinem Körper passiert.”
Von vier Medikamenten sind wir heutzutage oft weit entfernt. Multimorbide (mehrfach kranke) Patienten schlucken nicht selten mehr als zehn verschiedene Wirkstoffe, bekommen dazu Spritzen und Schmerzpflaster. In so einer Situation ist es wichtig, dass jemand mit Sachverstand Bescheid weiß und den Überblick darüber behält, was mit dem Patienten geschieht. Dies sollte der Hausarzt sein - der Gesundheitsmanager des Patienten. Und der sollte auch mal sagen dürfen, dass diese oder jene Überweisung zum Facharzt einfach nicht nötig ist.

In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, dass die Kolumne Dr. Kunze hört (nicht) auf Fiktion ist. Sie spiegelt die Wirklichkeit.

Dieser Artikel, der Leser mag es glauben oder nicht, entspringt der Sorge um den Patienten und um das deutsche Gesundheitswesen, nicht der Sorge um mein Honorar oder meine Arbeit. Ich bin mit meinem Einkommen zufrieden und Arbeit habe ich mehr als genug.

Unzufriedene Hausärzte: Warum tut Ihr denn nichts?


“Jeder dritte Hausarzt ist unzufrieden!”, meldet die Ärztezeitung (Mittlerweile ist der Artikel allerdings wieder verschwunden.).
An solche Nachrichten sind wir ja gewohnt, fast täglich tönen sie uns aus der ärztlichen Standespresse entgegen und in den Blogs, zum Beispiel beim Landarsch klingt es ja nicht anders.
Die Kollegen sind überlastet, weil die Arbeit immer mehr und das Geld immer weniger wird (von den Kollegen, die sich durch Igel-Quacksalberei eine goldene Nase verdienen, will ich hier nicht reden). Das glaube ich den Kollegen gerne. Und was tun sie?
Sie jammern.
Und beißen die Zähne zusammen und geben weiter fleißig Spritzen und Infusionen, von denen sie wissen, dass sie medizinisch überflüssig sind und noch nicht einmal Geld bringen. Sie machen weiter nächtliche Hausbesuche obwohl auch die nicht mehr bezahlt werden und es dem Patienten nicht schlechter ginge, wenn er für seine Rückenschmerzen nachts erst einmal eine Tablette einwerfen und dann nächsten Morgen in die Praxis kommen würden.
Aber der Herr Doktor ist ja in den letzten zwanzig Jahren immer brav nachts rausgekommen. Und so ist es halt bequemer. Zumindest für den Patienten. Für den Arzt weniger. Aber der beißt die Zähne zusammen und kommt trotzdem. Warum?
Aus Angst vor dem Kadi? Erzählt mir nix, Kollegen! Mit der – gut dokumentierten – Aufforderung: “…und wenn es nicht besser wird, gehen Sie bitte sofort ins Krankenhaus oder rufen den Notarzt!” seid Ihr immer aus dem Schneider.
Also ist es echte, ernst gemeinte Sorge um den Patienten, Gutmenschentum, Helfersyndrom, oder wie auch immer man es nennen darf?
Das spricht für Euch, Kollegen, Ihr seid super, toll, Spitze! Aber dann jammert gefälligst nicht!
Denn merke: Ihr seid nur dann gut, wenn es Euch selbst auch gut geht.

Dr. Kunze hört (nicht) auf 14

August 2009
Hausarzt Dr. Kunze ganz privat
Mitleidend betrachtete Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze seine Frau. Versonnen streichelte er ihr über die blau verfärbten Zehen. Dann, als wollte er sich selbst aus einer Trance wecken, klopfte er ihr vorsichtig auf den Gipsverband und sagte:
„Das wird schon wieder. Sei froh, dass es der vierte Mittelfußknochen ist und nicht der fünfte. Das wäre schlimmer, und es würde länger dauern, bis du den Fuß wieder belasten könntest.“
„Tröstest du so deine Patienten auch? – ‚Das wird schon wieder!’ Oder hast du noch eine andere Empfehlung? Vielleicht etwas Medizinisches? Vielleicht etwas gegen die Schmerzen?“
Frau Kunze war zuletzt etwas ungnädig. Sie war vier Tage zuvor die Kellertreppe hinuntergestürzt. Der Unfall war erstaunlich glimpflich verlaufen, bis eben auf den vierten Mittelfußknochen links, der war gebrochen. Der Bruch stand gut, trotzdem brauchte der Fuß Schonung. Ruhe und Geduld waren aber nicht gerade die Stärken seiner Gattin.
Anselm  Kunze brach eine Fertigspritze aus der Verpackung, zog den Gummipfropfen von der Kanüle und hielt die Spritze gegen das Licht.
„Doch, doch. Ich empfehle meinen Patienten eine Vorsorge gegen Thrombose. Schieb‘ bitte mal deinen Pullover und dein Unterhemd hoch.“
Die Frau des Hausarztes tat dies widerwillig und stöhnte kurz auf, als ihr Mann routiniert die Injektion in die Bauchhaut setzte.
„So, das hätten wir. Siehst du, war doch gar nicht schlimm.“
„Für dich nicht.“
Anselm Kunze widersprach nicht und erwähnte auch nicht, dass er jetzt gern an der Stelle seiner Frau sein würde. Liegen müssen, nichts tun dürfen, ein gutes Buch zur Hand nehmen, umsorgt werden, das würde er sich wünschen. Aber so etwas durfte er nicht einmal im Scherz erwähnen. Seine Frau war ein Unruhegeist, der erzwungene Untätigkeit hasste. Also betupfte er die Einstichstelle, verzichtete auf ein Pflaster und brachte die leere Spritze in die Küche.
„Der Müll muss unbedingt noch in die Tonne. Morgen kommt die Müllabfuhr.“
Freitags? Seit wann kam die Müllabfuhr freitags? Kam die nicht immer dienstags? Noch bevor er sich selbst Einhalt gebieten konnte, war die Frage gestellt. Ein Fehler.
„Da kannst du mal sehen, wie wenig du dich um solche Sachen kümmerst. Dienstags, dass ich nicht lache! Das ist Jahre her! Außerdem haben wir einen Abfuhrkalender. Aber der Herr weiß das natürlich nicht! Woher auch? Bringt ja auch nie die Tonne an die Straße. Apropos: Es reicht natürlich nicht, den Abfall aus der Küche in die Tonne zu stecken, die Tonne gehört auch an die Straße. Außerdem würde ich dir raten, heute schon für das Wochenende einzukaufen, morgen und samstags ist es immer so voll.“
Ans Einkaufen hatte er noch gar nicht gedacht. Aber Recht hatte sie. Er konnte ja wohl schlecht seine Frau loshumpeln lassen. Seinen pünktlichen Feierabend hatte er sich anders vorgestellt. Einkaufen war nicht gerade seine Lieblingsbeschäftigung und das wusste seine Frau. Außerdem konnte sie seine Gedanken lesen.
„Nächste Woche erledigt das Frau Suhrmann. Aber diese Woche hat sie noch keine Zeit. Einmal wirst du das doch wohl überstehen.“
Anselm Kunze holte sich einen Zettel. Nicht, dass das unbedingt notwendig war, die meisten Dinge hätte er auch so nicht vergessen, seit er mittels Gedächtnistraining ein paar Tricks gelernt hatte. Aber hier und heute kam es nicht auf die meisten Dinge an, sondern auf alle. Ihm stand nicht der Sinn nach einem Streit um vergessene Butter oder vergessenen Senf.
„Was brauchen wir denn?“
Wieder war die Frage schneller draußen, als ihm lieb war. Aber es war zu spät.
„Vielleicht hilft ein Blick in die Küche, insbesondere in den Kühlschrank. Um alles muss man sich alleine kümmern.“
Der gescholtene Hausarzt und Ehemann sparte sich den Kommentar, dass er sich um die ärztliche Führung seiner Patienten auch alleine kümmerte, in der Praxis gab es ja keine Alternative. Außerdem war es müßig, in diesem Augenblick über Aufgabenverteilung zu diskutieren.
„Und denk‘ dran, dass nachher dein Sohn kommt und übers Wochenende bleibt. Da brauchen wir entsprechend mehr.“
Dein Sohn. Wenn seine Frau so redete, war sie wirklich übler Laune. Schade, dass nicht Karin, ihre Tochter, zu Besuch kam. Die hätte ihm den Einkauf bestimmt abgenommen. Aber Karin war in England und würde sie frühestens in zwei Wochen besuchen.
Dr. Kunze öffnete den Kühlschrank und blickte auf eine Weise hinein, als müsste er ein Rätsel lösen, um an die entscheidende Information zu kommen. Er riss sich zusammen. Butter war da, Milch war da, Käse auch, vielleicht fehlten ein paar Joghurts und ein bisschen Wurst. Er würde einfach losfahren und sich im Supermarkt inspirieren lassen.
Aber da hatte er sich getäuscht. Als er ins Wohnzimmer zurückkam, reichte ihm seine Frau einen Zettel.
„Wir brauchen Brot, Joghurt und Wurst. Butter, Milch und Käse reichen auch nicht.“
Er kam sich vor wie ein Kind. Aber er wusste sich zu wehren.
„Du sollst den Fuß hochlegen. Wenn er so hängt, schwillt er noch mehr an. Und nicht auftreten, hörst du?“
„Ja, ja, schon gut. Ich bin nicht deine Patientin.“
„So? Wessen denn?“
„In allererster Linie bin ich deine Frau. Und jetzt beeil dich, der Metzger macht um sechs zu, die Bäckerei um sieben. Der Supermarkt  hat länger auf.“
Ach, herrje. Nicht ein Geschäft, sondern drei sollte er aufsuchen. Das wurde ja lustig. Dr. med. Anselm Kunze fragte sich langsam, ob es eine gute Idee war, für den nächsten Tag aus Rücksichtnahme auf seine Frau die Nachmittagssprechstunde zu streichen. Sein Leben war in der Praxis im Moment sicher einfacher als zu Hause. Die Arzthelferinnen hörten auf seine Anweisungen, meistens jedenfalls. Die Patienten waren ihm ergeben, die meisten jedenfalls. Und was er sagte, wurde gemacht, so nahm er zumindest an.

Als Dr. Kunze nach knapp zwei Stunden erschöpft vom Einkauf zurückkehrte, war sein Sohn bereits eingetroffen. Der Vater freute sich, gerade weil er wusste, wie schwer es für Michael war, sich in der Firma loszueisen. Anselm Kunze hatte zwar nicht ganz verstanden, was sein Sohn genau tat, aber es war irgendein verantwortungsvoller Job im Softwarebereich der Firma.
Sie unterhielten sich eine Weile zu dritt, und Michael erzählte, dass es Corinna zurzeit nicht besonders gut gehe. Die Schwiegertochter hatte ein Schilddrüsenproblem und der Vater bot dem Sohn an, sich darum zu kümmern.
„Danke, Papa. Aber Corinna ist bei einem Spezialisten.“
Michael meinte es sicher nicht böse und war sich dessen nicht bewusst, was er gesagt hatte. Er plauderte auch schon weiter ungezwungen mit seiner Mutter, aber Anselm Kunze hatte einen kleinen Stich verspürt. Lag es an seinem Alter, dass sein Rat nicht erwünscht war, dass er jetzt erst von vollendeten Tatsachen hörte? Seine Schwiegertochter war krank, und er, der Schwiegervater, wusste nichts davon. Sie war zu einem Spezialisten gegangen und der behandelte sie jetzt. Der Arzt „im eigenen Hause“ war nicht mehr gefragt.
Das Telefon riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Karin war am Apparat. Sie wollte hören, wie es ihrer Mutter ging. Außerdem hatte sie eine Überraschung auf Lager.
„Mutti, stell‘ den Apparat mal auf laut, dass alle mithören können.“
Nach einer Kunstpause fuhr Karin fort.
„Ich wollte es euch eigentlich persönlich sagen, aber meine Zeit hier in England verlängert sich noch um ein paar Wochen.“
Anselm Kunze spürte einen Stich in der Magengrube. Jetzt kommt’s, dachte er. Apropos Alter, dachte er.
„Ihr werdet Großeltern! In einem halben Jahr ist es soweit.“
Die Freude war groß. Alle redeten durcheinander. Auch Anselm Kunze freute sich – aufrichtig. Aber das Ganze hatte auch etwas von Abschied. Er unterdrückte die Idee, Karin eine Sonder-Ultraschalluntersuchung in seiner Praxis anzubieten. Er fürchtete die Abfuhr, weil der „Spezialist“ sie schon untersucht hatte. So war das Leben.
Das Telefonat wurde beendet und Michael trug sein Gepäck in sein altes Zimmer.
„Anselm, wärst du so lieb und holst mir ein Kissen für mein Bein?“
Seine Frau sah ihn liebevoll an, strich ihm über die Wange, zog ihn zu sich hinab und küsste ihn auf den Mund.
„Du Armer.“
Er sah sie überrascht an und wollte eben fragen, was sie meinte. Aber dann verstand er auch so, dass sie die ganze Zeit über in seinen Gedanken las wie in einem offenen Buch.

In der nächsten Ausgabe von Dr. Kunze hört (nicht) auf  erfährt der Leser, warum der Einkauf den Hausarzt so erschöpft hat.

Hausarzt Dr. Kunze ist der Prophet im eigenen Land

Am 6. August erscheint eine neue Kolumne aus der Reihe Dr. Kunze hört (nicht) auf. Diesmal erlebt der Leser den Hausarzt ganz privat, lernt Ehefrau und Kinder kennen. Frau Kunze hat sich verletzt. Die August-Geschichte zeigt, dass die hausärztliche Versorgung der eigenen Familie für einen Arzt nicht immer ganz einfach ist.
Mit dem Weg ins Privathaus erfährt der Leser wieder ein Stück mehr von Dr. med. Anselm Kunze, dem Hausarzt mit Leib und Seele, der noch nicht sicher ist, ob er in den Ruhestand gehen soll oder nicht.

Normalgewicht schont auch den Rücken anderer!

Normale Hausarzt-Woche geht zu Ende
Der Zufall (oder ist es kein Zufall?) wollte es, dass ich diese Woche allein vier Patienten der helfenden Zunft arbeitsunfähig schreiben musste. Alle vier klagten über Beschwerden in der Wirbelsäule. Das wäre an sich nichts Besonderes, denn viele Deutsche leiden an Schmerzen im Bereich ihrer Wirbelsäule. Besonders war in diesem Fall, dass diese vier speziellen Patienten sich jeweils akute Schmerzen zuzogen, weil sie selbst Patienten geholfen hatten.
Eine Intensivschwester hatte sich beim Umlagern (Rücken waschen, Bett neu beziehen) eines stark übergewichtigen Patienten den Rücken “verknackst” und konnte kaum noch Luft holen (BWS-Blockade).
Ein Krankenpfleger wollte einen adipösen Schlaganfallpatienten aus dem Rollstuhl heben - Hexenschuss!
Ein Krankenwagenfahrer Sanitäter verhob sich unglücklich, als er mit einem Kollegen eine massiv übergewichtige Frau aus deren Wohnung in den Krankenwagen tragen wollte.
Eine Krankenschwester auf einer bauchchirurgischen Station wollte helfen, einen extrem adipösen Patienten durch die OP-Schleuse zu hieven - Hexenschuss!

Diese Bespiele aus einer normalen Woche Hausarzt-Leben zeigen, dass Übergewicht nicht nur einem selbst schaden kann, sondern auch denjenigen, die sich im Krankheitsfall um einen kümmern (müssen).

Jetzt an Schweinegrippe erkranken – besser geht’s nicht?!

Gedanken gegen die Angst
Wer zwar noch keine Schweinegrippe hat, sich aber von der Panikmache der Medien und Impfindustrie anstecken lässt, den könnten folgende Zeilen eines einfachen Hausarztes vielleicht beruhigen.
Bauen wir eine Gedankenkette gegen die Panik auf:
1. Die Menschheit wartet auf den nächsten Grippeimpfstoff. Dieser soll auch vor dem Schweinegrippen-Virus schützen.
2. Das Schweinegrippen-Virus ist bislang ein recht harmloser Vertreter seiner Zunft, erkennbar an den leichten Symptomen, die durch eine Infektion ausgelöst werden. Die Haupt-Panikmache gilt seinen zukünftigen Mutationen, deren Gefährlichkeit reine Spekulation sind.
3. Die zukünftigen Mutationen sollen endlich das in Erfüllung gehen lassen, was der Epidemiloge Tom Jefferson im SPIEGEL-Interview von letzter Woche (Nr. 30/20.07.09) “Die Sehnsucht nach der Pandemie” nennt. Denn eigentlich ist eine Pandemie nicht das, als was sie in Bezug auf den derzeitigen Schweinegrippen-Virus bezeichnet wird. Zum Begriff der Pandemie gehörte bislang auch die Schneise der Verwüstung, sprich Massensterben, die eine Mikrobe hinter sich ließ. Hier hat offenbar die WHO ihre eigenen Vorgaben extra für das Schweinegrippen-Virus geändert! Es reicht die Ausbreitung, das Lebensgefährliche tritt in den Hintergrund!
4. Zukünftige Impfungen beruhen auf dem derzeitigen Stand der Virusforschung, also auf dem Zellaufbau des Erregers von vor einigen Wochen. Wie immer wird auch dieses Jahr die Grippeimpfung den aktuellen Mutationen hinterherhinken, weil der Erreger der Grippe sich wie üblich ständig verändert. Diese Veränderungen sind es ja, die aus dem harmlosen Schweinegrippen-Virus erst eine Bestie machen sollen.

Aus dieser bisherigen Gedankenkette folgt logischerweise:
5. Das Beste, was einem in Vorbereitung auf eine zukünftige wirkliche Pandemie passieren kann, ist eine Ansteckung jetzt - heute. Denn:
Die Virusgeneration, mit der wir uns jetzt anstecken, ist harmlos und auf jeden Fall jünger, als diejenige, die in den Labors zur Entwicklung des Impfstoffs benutzt werden. Darüber hinaus ist eine durchgemachte Infektion im Schnitt effektiver als eine Impfung, was die Immunität angeht.

Quarantäne wird durch Händewaschen abgelöst

Die neueste Nachricht von der “Schweinegrippen-Front” lautet:
Plan A ist nicht durchführbar, Plan B soll jetzt greifen.
Auf Deutsch: Alle Kranken zu isolieren, ist auf Grund der Zahl der Neuinfektionen in Deutschland nicht mehr möglich. Es sind zu viele. Die Quarantäne-Anweisungen werden aufgegeben und durch allgemeine Maßnahmen ersetzt.
Man soll nicht unter die Leute gehen, wenn man die Schweinegrippe hat und man soll möglichst Menschenansammlungen meiden, um sie nicht zu bekommen. Darüberhinaus wird Händewaschen alle drei Stunden empfohlen. Von Empfehlungen in Richtung Tamiflu ist nichts mehr zu hören und zu lesen. Sie ist ja auch Unsinn, da die Schweingrippe lediglich eine leichte Form der Erkältung darstellt. Was soll man dann mit so einem Hammer. Aber der Verkauf lief und läuft gut.
Die Lage entspannt sich also, weil sie nicht mehr beherrschbar ist. Welche Logik! Wunderbar! Aber ein gefährlicher Keim wurde längst im Volk gesetzt - der Keim der Angst.
Schon heute rennen mir Patienten die Türen ein, weil sie gegen Schweinegrippe geimpft werden wollen. Manche wollen in Unkenntnis der Tatsachen sofort geimpft werden, andere weisen explizit daraufhin, dass ich ja schon lange ihr Hausarzt sei, und ich ja wüsste, dass sie chronisch krank seien, sie also zur bevorzugten Impfgruppe gehören. Ich freue mich schon auf den Kampf am Empfangstresen und in meinen Sprechzimmern, wenn denn im Herbst der Impfstoff geliefert wird. Ich bin sicher, er wird für alle reichen, aber ich bin auch sicher, dass die Darstellung einer Verknappung den Umsatz anheizt.

Norman Stadler im Gespräch mit Dopingsündern

Norman Stadler war am Montag, dem 13. 7. 2009 Gast in der Sendung Blickpunkt Sport auf Bayern 3. Zunächst war er allein im Gespräch mit Moderator Wolfgang Nadvornik. Auf diesen Teil der Sendung bin ich in meinem Artikel vom 17. Juli 2009 eingegangen. (Link zur Sendung hier)
Teil II
Richtig zur Sache ging es in der oben genannten Sendung als zwei weitere Gäste Platz nahmen: die ehemalige Triathletin Lisa Hütthaler aus Österreich und der deutsche Radrennfahrer Jörg Jaksche, ebenfalls im „Ruhestand“. Beide, Hütthaler wie Jaksche sind in ihrem Sport des Dopings überführt worden. Beide haben daraufhin mehr oder weniger bereitwillig gestanden, umfassend und vergleichsweise schonungslos. Jaksche, weil er in die Kronzeugenregelung wollte und Hütthaler, weil sie einfach nicht mehr lügen konnte.
Ich will hier nicht den gesamten Wortlaut des Vierergeprächs wiedergeben, den kann sich jeder selbst auf br-online anhören und ansehen. Und ansehenswert ist der Clip allemal.
Minenspiele zeigen Einblick in die Gefühlswelt
Sehenswert einerseits wegen Norman Stadlers mühsam beherrschter Contenance. Welchen inneren Kampf er mit seiner Beherrschung focht, war immer dann gut sichtbar, wenn er gar nicht an der Reihe war. Wie er aber an sich gehalten hat, obwohl er innerlich zu platzen drohte und wie klar und sachlich, wenn auch hart, seine Äußerungen dabei blieben war bemerkenswert.
Andererseits sah man das Leid der Lisa Hütthaler, die tapfer versuchte sich zu verteidigen und sich mit einigen Aussagen selbst Fallen stellte. Und man sah die Überraschung Jörg Jaksches, der es wohl nicht gewohnt war, solch konsequenten, unnachgiebigen Gegenwind zu spüren. Das gesamte mimische Gebaren der drei Gäste verriet mehr als tausend Worte.
Für den Gegenwind ist Stadler verantwortlich.
Für Norman Stadler waren und sind Hütthaler und Jaksche Doper, die auch noch Kapital (in Form von Interviews, Fernsehauftritten, Schülererziehung usw.) aus ihrem Vergehen schlagen. Kapital wohl nicht immer in Form von Geld, aber doch immerhin in Form von Ansehen. Doper sind Betrüger, also Verbrecher und sie haben gefälligst, was die Öffentlichkeit betrifft, in einem Mauseloch zu verschwinden, damit man nie wieder etwas von ihnen sieht oder hört. So sieht Stadler das.
Kommentar
Ich glaube, Norman Stadler hat Recht. Mit Betrug Geld zu verdienen und danach Geld zu verdienen mit der Betrugsvergangenheit, ist unfair denjenigen gegenüber, die alles daransetzen, sauber zu bleiben. (Wie viele sind das überhaupt noch?) Für mich haben Hütthaler und Jaksche etwas von Arno Funke, alias Dagobert: Erst Kaufhäuser erpressen, dann ins Gefängnis, dort ein Buch schreiben – „Mein Leben als Dagobert“ und damit Geld verdienen. Sicher, die beiden von Norman Stadler immer wieder attackierten Gäste haben wenigstens den Mund aufgemacht, gestanden und ausgepackt, anders als Ullrich, Pechstein, Baumann und wie sie alle heißen. Aber ihre Offenbarung kam erst, als sie erwischt wurden und es nicht mehr anders ging.
Eine Schlussbemerkung noch, bevor ich in einem meiner nächsten Artikel noch einmal auf das Thema Doping zurückkomme:
Der Moderator Wolfgang Nadvornik hielt sich in dieser Sendung für weitgehend unwichtig, bohrte kurz nach, wo es sein musste, ansonsten ließ er seine Gäste reden. Sehr wohltuend.

Norman Stadler – neue Strategien im Kampf gegen Doping

Die Sendung Blickpunkt Sport am Montag, dem 13. 7. 2009 auf Bayern 3 hat gezeigt, wie informativ und interessant Talkshows auch heutzutage noch sein können, wenn sich Sender und Gastgeber darum bemühen. Der Blickpunkt Sport vom Montag jedenfalls, war spannend wie ein Krimi und ging wohltuend ernsthaft zur Sache.
Teil I
Der Moderator Wolfgang Nadvornik hatte Deutschlands Top-Triathleten Norman Stadler eingeladen. Der 2-fache Ironman-Sieger von Hawaii kämpft für einen sauberen Sport. Das tun viele, könnte man sagen, aber Norman Stadler ist einer der wenigen, die auch Taten folgen lassen. Ein nicht unerheblicher Teil der Sponsorengelder seines Teams fließt in zusätzliche, freiwillige Dopingkontrollen. Er und seine Mannschaftskameraden verdoppeln die Zahl der Kontrollen auf eigene Initiative. Die offiziellen Kontrollen reichen nicht, sagt Stadler und beinahe täglich kann man lesen und sehen, wie Recht er hat.
Aber das ist noch nicht alles.
Stadler fordert den gläsernen Athleten
Ironman Stadler sagt, wer einen sauberen Sport will, muss zu einem gläsernen Athleten werden, darf sich nicht scheuen, sich einem System der kompletten Überwachung zu unterziehen. Er und sein Team machen es vor. Jeder Wechsel des Aufenthaltsortes wird via Telefonnetz und Internet registriert. Jederzeit sind die Athleten erreichbar und kontrollierbar. Nur so geht es, sagt Stadler, und wer auf Intimsphäre pocht, hat im Hochleistungssport nichts zu suchen.
Das Team um Stadler ist äußerst konsequent, beinahe erschreckend, dass es heutzutage so sein muss, aber nur so geht es. Die Mannschaft um Norman Stadler geht noch einen Schritt weiter:
Auch zukünftige Dopingmittel werden berücksichtigt
Alle Urin- und Blutproben werden für drei Jahre eingefroren, so können auch zukünftige wissenschaftliche Erkenntnisse noch rückwirkend die Sauberkeit der Sportler bestätigen oder eben nicht. Und nur derjenige Sportskamerad erhält seinen Anteil aus dem Gewinnfond von Stadlers Mannschaft, der auch die Tests der Zukunft übersteht. Sie werden also erst nach drei Jahren ausgezahlt.
Wer bei diesem gesamten Anti-Doping-Paket nicht mitmachen will, muss sich halt eine andere Mannschaft suchen. Vorbildlich kann man da nur sagen.
Birgt das Stadlersche Konzept möglicherweise die Lösung der gesamten Dopingfrage?
Könnte man nicht grundsätzlich die Sportler entscheiden lassen, „in welcher Liga sie spielen“ wollen? Ob in der gläsernen oder in der mit erhaltener (sogenannter) Intimsphäre. Könnte es nicht grundsätzlich sozusagen zwei Verbände geben, die nach diesen beiden Vorgaben ihren Sport organisieren?
Das hieße: Zwei Medaillensätze bei den Olympischen Spielen, zwei Tour-Wertungen in Frankreich, zwei Rekordlisten usw.
Die Entscheidungen lägen dann endlich da, wo sie hingehören, beim Sportler selbst und bei den Zuschauern. So käme eine Abstimmung über Einschaltquoten zustande, welcher Sport wirklich gewünscht wird – der saubere oder der mit den schnellsten Zeiten oder den höchsten Höhen.
Kommentar
Dass gerade eine Sportart, die ich selbst so liebe und die, wie wohl kaum eine zweite anfällig ist für Manipulationen (3x Ausdauer schreit geradezu nach Epo), stimmt mich hoffnungsfroh.
Aber die Sendung ging noch weiter, es kamen noch andere Gäste und es ging hart zur Sache. Dazu mehr im nächsten Artikel zu diesem Thema.
Zu diesem Artikel wünschte ich mir viele Kommentare, um so ein Meinungsbild meiner Leser zu erfahren.

Der Videoclip zum Thema ist hier auf br-online zu sehen

Ein paar Gedanken zu Zeckenimpfung und Statistik


Es ist allgemein bekannt, daß man sich gegen FSME impfen lassen kann.
Wie zuvor erwähnt, ist die FSME die seltenere der beiden durch Zecken übertragenen Erkrankungen, jährlich erkranken in Deutschland etwa zwischen zwei- und fünfhundert Menschen. Für ein bis zwei Prozent davon endet die Erkrankung tödlich – das sind hochgerechnet zwischen einem und zehn Toten pro Jahr.
Diese Todesfälle hätten durch eine Impfung möglicherweise verhindert werden können.
Nun haben die Unglücklichen, welche an FSME verstorben sind ja leider nicht in die Zukunft blicken können. Hätten sie gewusst, dass ausgerechnet sie sterben würden, hätten sie sich mit Sicherheit impfen lassen oder hätten um jede Zecke einen großen Bogen gemacht (das kann man).
Allerdings haben diese Menschen vielleicht gewusst, dass sie sich einem mehr oder weniger hohem Risiko aussetzen – durch Camping-Urlaub oder Wanderungen in sogenannten Hochrisikogebieten zum Beispiel. Mit den Risiken ist das aber eine Sache: Ein bis zehn Tote im Jahr, das ist um mehrere Größenordnungen weniger als im Straßenverkehr.
Das Risiko erscheint also erst einmal gering.
Wie viele Menschen muss ich also impfen, um einen Todesfall zu verhindern?
Für diese Frage gibt es einen wissenschaftlichen Ausdruck: die “Number Needed to Treat”. Diese “Anzahl der zu Behandelnden Menschen” dürfte im Falle von FSME sehr hoch sein – inzwischen gelten die größten Teile Bayerns, Baden-Württembergs und Österreichs als Risikogebiet, man müsste also nicht nur die gesamte Bevölkerung dort, sondern auch noch alle Leute, die dort Uraub machen impfen.
Die Impfstoff-Hersteller schlagen genau dies vor und sie haben eine mächtige Lobby.
Auch für uns Ärzte ist es oft nicht immer leicht, eine richtige Entscheidung zu treffen, denn es ist oft sehr schwer zu unterscheiden, ob angeblich “wissenschaftliches” Informationsmaterial von irgendwelchen Interessengruppen lanciert worden ist.
Ein Kollege aus Baden-Württemberg wies mich letztens auf einen Artikel im Ba-Wü-Landesärzteblatt (auf Seite 12ff) hin, der in Wirklichkeit eine bezahlte Anzeige ist – aber optisch wie eine Fortbildung daherkommt.
Nein, ich möchte und darf hier an dieser Stelle niemandem eine Emfpehlung für oder gegen die Impfung geben. Das ist Sache des Hausarztes. Das Internet ist schön und gut – aber alle Informationen, die man dort finden können den Arztbesuch niemals ersetzen!
Und noch etwas: Auch wenn das jetzt sehr kritisch klingt – grundsätzlich sind die meisten Impfungen sinnvoll und schützen. Wer Bedenken oder Ängste hat, sollte sich an seinen Haus- oder Kinderarzt wenden.

Was heißt eigentlich…Glykämische Last?

Die Glykämische Last (GL) ist ein Wert, der dem bereits beschriebenen Glykämischen Index (GI, Glyx) eine praktische Bedeutung gibt. Dieser Beitrag baut auf dem vom 23. Juni 2009 auf Der andere Hausarzt auf.
Qualität und Quantität von Kohlenhydraten
Im Alltagsleben hilft es nicht viel weiter, wenn man weiß, dass eine bestimmte Sorte Kohlenhydrate (Einfach-Zucker, Doppel-Zucker, Stärke) eine bestimmte Blutzuckerreaktion auslöst. Sich nur darum zu kümmern, hieße nur die Qualität der Kohlenhydrate zu berücksichtigen. Mindestens ebenso wichtig ist im Zusammenhang mit der täglichen Nahrungsaufnahme, wie einem der normale Menschenverstand bereits sagen kann, die Menge der Kohlenhydrate. Es zählen also Qualität die Quantität.
Kohlenhydrate sind es nicht allein
Darüber hinaus ist ein weiterer Gesichtspunkt von Bedeutung: Unsere Ernährung besteht nicht ausschließlich aus Kohlenhydraten (KH), hinzu kommen Fette, Proteine und Ballaststoffe. Somit geht es weder ausschließlich um Quantität und Qualität der Kohlenhydrate (KH), sondern darüber hinaus um deren Anteil in einem Nahrungsmittel. Der Wert der Glykämischen Last berücksichtigt all das und hat deswegen eine wesentlich höhere praktische Bedeutung als der Glykämischen Index.
Dazu ein Beispiel:
Sie essen eine Portion Spaghetti und ihr Tischnachbar ein Schälchen Kiwi. Der Glykämische Index (GI) von Spaghetti schwankt zwischen Werten um 40 – 60, je nach dem, ob sie al dente oder weich gekocht sind. Nehmen wir an, die Nudeln seien weder hart noch ganz weich, besäßen also einen Glykämischen Index von etwa 50. Das entspricht exakt dem GI der Kiwis. Setzen wir überdies voraus, dass beide Esser am Tisch 100 g verspeisen. Zwei wichtige Nahrungswerte dieser Mahlzeiten wären also gleich: der Glykämische Index und die Menge. Trotzdem beeinflussen die Kiwis unseren Blutzucker weitaus weniger als die Spaghetti. Warum?
Wichtig ist der Kohlenhydratanteil
Weil nicht nur der Glykämische Index und die Nahrungsmenge entscheidend ist, sondern auch ihr Kohlenhydratanteil. Die Spaghetti enthalten 75g KH pro 100g. In unserem Fall nimmt der Spaghetti-Esser also 75g Kohlenhydrate auf, während er seinen Teller leert. Die Kiwis enthalten 10g KH pro 100g. Der Kiwi-Esser nimmt also nur 10g Kohlenhydrate auf. Es sind ausschließlich die Kohlenhydrate, die unseren Blutzuckerspiegel direkt beeinflussen, nicht die Ballaststoffe der Kiwis, nicht der geringe Eiweiß- oder Fettanteil in den Spaghetti.
Der Rechenweg
Die Glykämische Last errechnet sich nun wie folgt: Der Wert für den GI wird durch 100 geteilt (auf 100g Nahrungsmittel bezogen) und mit dem Kohlenhydratanteil pro 100g Nahrungsmittel multipliziert.
Berechnung Glykämische Last der Spaghetti:
GI=50 geteilt durch 100 = 0.5 x 75 (KH-Anteil)  ergibt ungefähr 40 GL
Der Kiwis
GI=50 geteilt durch 100 = 0,5 x 10 (KH-Anteil) ~ 5 GL
Die Spaghetti besitzen also einen etwa 8-fach höheren Einfluss auf unseren Blutzucker als die Kiwis, bei gleichem Glykämischen Index und gleicher Menge. Diese Rechnerei muss man sich nicht merken. Wissen muss man nur, dass, je höher die Glykämische Last ist, umso höher ist die Last für unseren Zuckerhaushalt.
Kohlenhydrate sind nicht alles
Leider ist das noch immer nicht alles, was beim Essen berücksichtigt werden muss, wenn man sich so ausführlich darüber Gedanken macht. Denn Nahrung ist mehr als nur Kohlenhydrataufnahme. Speisen wie Butter, Soja oder Fleisch besitzen so gut wie keine Glykämische Last, weil sie einen sehr geringen bis fehlenden Kohlenhydratanteil haben. Sie beeinflussen unseren Blutzucker allenfalls indirekt. Das heißt aber nicht, dass man sie bedenkenlos in jeder Menge essen kann. Das wird jedem klar sein. Denn Nahrungsmittel haben nicht nur eine mehr oder weniger hohe Glykämische Last, sondern sie haben auch Kalorien. Eine Diät nach den Gesichtspunkten der Glykämischen Last reicht also nicht zum Gewichtsabbau. Sie kann die Gewichtsabnahme nur unterstützen.
Fazit
Letztlich sagen all diese Berechnungen nichts anderes, als dass wir den gesunden Menschenverstand bei der Nahrungsaufnahme einschalten sollten. Jedenfalls überwiegend. Insofern helfen uns die Werte wie Glykämischer Index, Glykämische Last oder Kaloriengehalt. Sie erweitern den gesunden Menschenverstand.
Ein abschließender Tipp: Bewegung und Sport kann etliche Ernährungssünden wettmachen.
Siehe auch Artikel 11 der Serie Heilkraft der Bewegung

Dr. Kunze hört (nicht) auf 13

Juli 2009
Impfungen
Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze sah die zwölfjährigen Zwillingsmädchen bauchfrei und mit einem sonderbaren Lichtreflex auf ihren Schneidezähnen vor sich sitzen und wusste wieder einmal, dass er hoffnungslos alt wurde. Mit über sechzig war er anscheinend in seiner Praxis ungefähr so up to date wie Huflattichtee als Mittel gegen Husten. Staubte es inzwischen aus seinem weißen Kittel?
Chayenne (Tschei-änn) und Jaqueline (sagen Sie ruhig Djäckie) saßen mit ihrer Mutter vor ihm, und es ging wieder einmal um das Thema Impfschutz. Die beiden Demnächst-Teenager hatten zusammen schon rund achtzig Impfungen hinter sich. Dr. Kunze hatte nachgezählt. Es waren nicht achtzig Injektionen gewesen, wegen der heutzutage üblichen Mehrfachimpfungen, aber das spielte keine Rolle. Achtzig Impfungen! Und er war derjenige gewesen, der diese Impfungen verabreicht hatte. War das richtig?
Und worum ging es heute?
Um Impfungen! Natürlich.
Dr. Kunze ließ sich in die Lehne zurückfallen. Er ahnte, was kommen würde. Und richtig! In Sachen Vorahnungen oder Einschätzung seiner Pappenheimer war er noch immer ein Ass.
„Ich wollte meine Girlies gegen diese Geschlechtskrankheit impfen lassen.“
Was Frau Schröder meinte, war eine Impfung gegen den Erreger der Feigwarzen im Genitalbereich. Wenn auch durch Geschlechtsverkehr übertragbar, handelte es sich doch nicht um eine Geschlechtskrankheit im engeren Sinne. Nach Erkenntnis der Wissenschaft traten die so genannten Papilloma-Viren häufiger bei Frauen auf, die Geschlechtsverkehr hatten, als bei jenen, die in dieser Hinsicht abstinent lebten. Die von den Viren verursachten Feigwarzen wiederum galten inzwischen als mögliche Präkanzerose für das Zervixkarzinom, auf Deutsch: als eine Vorstufe für den Gebärmutterhalskrebs.
Was für ein wunderbares Resultat der Forschung, jedenfalls für die Pharmaindustrie, die ein Serum gegen Papilloma-Viren entwickelt hatte, dachte der altgediente Hausarzt. Längst erschien ihm der Vertrieb dieses neuen Impfstoffes wie eine willkommene Lizenz zum Gelddrucken.
Oder war seine kritische Einstellung zu derlei Dingen nur eine weitere Ausdünstung aus seinem verstaubten Kittel? Dr. Kunze widerstrebte es, eine Impfung zu verabreichen, die den Anschein erweckte, damit sei hinsichtlich Geschlechtskrankheiten und Unterleibskrebs alles getan, was zu tun sei. Zudem sollten diese Impfungen vor dem ersten Geschlechtskontakt gespritzt werden, damit sie optimal nützten. Was für ein Geschäft.
Vor ihm saßen also Tschei-änn und Djäckie, zwei flachbrüstige Kinder und erwarteten ihre Spritzen gegen Tripper, Syphilis und jegliche Art von Unterleibskrebs, oder was immer sich Mutter und Töchter unter der Impfkraft der neuen Substanz vorstellten. Oder war Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze nicht objektiv? Die moderne Medizin war ihm oft suspekt, vor allem immer dann, wenn es um viel Geld ging. Wie konnte er guten Gewissens ein Aufklärungsgespräch führen, wenn er von der Sache nicht überzeugt war? Andererseits konnte er nicht guten Gewissens von einer Impfung abraten, die viele seiner Arztkollegen für richtig hielten. Deswegen hatte er sich eine neue Taktik zurechtgelegt:
„Damit müssen Sie zum Frauenarzt.“
Die Mutter stutzte, vor allem auch, weil sie den verärgerten Unterton bemerkte. Hausarzt Dr. Kunze war doch sonst immer so nett und man konnte mit ihm über alles reden.
„Aber die Krankenkasse hat mir gesagt, Sie könnten das auch machen.“
„Sicher könnte ich das auch machen, aber ich will das nicht. Tut mir Leid.“
Und Dr. Kunze begann wieder einmal seinen eigenen Kampf gegen die Moderne. Er erklärte, was es mit dieser Impfung auf sich hatte, die aktuelle Diskussion um ihre Risiken, sprach von der Impfwut überhaupt, und am Ende zog er sein persönliches Fazit.
„Wir Ärzte wissen, dass wir nicht alles wegimpfen können, was an Krankheiten existiert. Einiges haben wir erfolgreich bekämpft und tun es noch. Was wir nicht wissen ist, was all diese Impfungen mit uns anrichten. Und ich weiß nicht, ob diese neue Impfung richtig ist. Ich weiß es einfach nicht.“
Er redete noch weiter, sprach von ökologischen Nischen, die vernichtete Mikroorganismen hinterließen, sprach von neuen Krankheiten, von denen niemand wusste, ob sie nicht eben durch übermäßiges Impfen ausgelöst wurden. Schließlich redete er von der trügerischen Sicherheit durch Impfungen, die Schutz vortäuschten, wo es keinen gab, gerade im speziellen Fall der HPV-Impfung. Er erwachte erst wieder aus seinem Monolog, als die Mutter der Zwillinge unvermittelt auf die Uhr sah. Er verstummte.
Die Mutter bat in die Stille hinein um zwei Überweisungsscheine zum Frauenarzt. Um die schlechte Stimmung im Raum zu mildern, sprach sie vom bevorstehenden Herbsturlaub. Sie wusste Dr. Kunze würde das Reiseziel gefallen.
„Wir wollen im Harz wandern.“
Das war allerdings ein Ding. Dr. Kunze konnte sich die beiden Früchtchen vor ihm nicht recht auf Wanderwegen in rustikaler Kleidung vorstellen, aber er freute sich. Deutsches Mittelgebirge – ein ganz normales Reiseziel.
„Im Harz. Ja, der Harz ist wunderschön. Deutschland als Reiseland ist schön und…“
Dr. Kunze kam nicht weiter. Die drei weiblichen Wesen erhoben sich bereits und strebten zur Tür. Mit einem Fuß schon im Flur hatte Frau Schröder dann doch noch einen Wunsch.
„Mein Mann, die Kinder und ich kommen dann noch mal wegen der Zeckenimpfung. Im Harz ist ja so viel Wald.“

Zecken, Borreliose, FSME und Co. (4)

FSME (Früh-Sommer-Meningo-Enzephalitis = Früh-Sommer-Hirnhaut-Gehirn-Entzündung)
Man könnte einen Artikel über FSME so beginnen:
• Das FSME-Virus befällt Gehirn und Hirnhaut
• Die Krankheit ist nicht behandelbar
• Lähmungen und andere Nervenausfälle können die Folge sein
• Die Krankheit kann tödlich verlaufen
• Eine Impfung kann Leben retten
Man könnte einen Artikel über FSME aber auch so beginnen:
• Die Krankheit ist selten
• Eine Ansteckung mit dem FSME-Virus verläuft in aller Regel unbemerkt oder mit leichten grippeähnlichen Symptomen (etwa 90%, die zu erwartende Dunkelziffer lässt sogar einen höheren Prozentsatz vermuten)
• Selbst schwer verlaufende Fälle heilen in den allermeisten Fällen folgenlos aus (dies nützt denjenigen nichts, die mit Folgen zu kämpfen haben, weist aber darauf hin, wie tendenziös die Information in diesem Fall ist, denn ich glaube diese Tatsache ist eher überraschend für die meisten Leser)
• Jugendliche und noch vielmehr Kinder behalten so gut wie keine Restschäden nach Erkrankung
• Die Mortalität (Sterberate) der FSME ist verschwindend gering und findet in einschlägigen Fachartikeln kaum Erwähnung
• Von den etwa 10% Betroffenen, deren FSME-Erkrankung bemerkt wurde, erleben wiederum etwa 10% einen zweiten Schub mit Beteiligung des Nervensystems (insgesamt also etwa 1% aller Infizierten!)
• Für Risikogebiete steht ein Impfstoff zur Verfügung
Bewusste Angstmache?
Einschlägige Medien, Impfhersteller und alle die am Geschäft mit der Angst ihr Geld verdienen, werden nach der ersten Variante „aufklären“. Dabei werden gern ganze Landstriche pauschal zu Risikogebieten erklärt und düstere Verläufe von Hirnhautentzündungen geschildert. Bilder von glücklichen Familien werden gezeigt, über denen das Damoklesschwert der Vernichtung schwebt, wenn sie sich auf ihre Schwarzwald-Wanderung nicht richtig vorbereiten.
Diese Vorgehensweise zeigt die Misere der „schlechten Nachricht“  in Deutschland und anderswo. FSME-Impfstoffe sind ständig ausverkauft, obwohl sie nur sehr begrenzt notwendig wären. Dabei ist ein Junior-Impfstoff besonders zu hinterfragen. Bei Kindern verlaufen selbst heftige Hirn- und Hirnhautreizungen, die durch das FSME-Virus ausgelöst wurden, folgenlos. Ganz davon abgesehen, ist die aktive Impfung im Falle der FSME offenbar nicht ohne Begleiterscheinung. Die FSME-Impfung ist eine Impfung mit einer der höchsten Melderate an negativen Impfreaktionen.
Dazu noch zwei abschließende Bemerkung:
• Im Falle der weit häufigeren Borreliose ist kein Impfschutz möglich, wohl aber im Falle der FSME.
• Im Gegensatz zur FSME-Erkrankung ist die Borreliose antibiotisch behandelbar.
Irrtum erwünscht?
Die Vermischung dieser beiden wichtigen Tatsachen, bis hin zur weit verbreiteten Verwechslung, führt zu falsch hohen Umsätzen in beiden Richtungen: Zu viele Antibiotika aus Sorge vor FSME und zu viele Impfungen aus Sorge vor Borreliose. Wobei der zuletzt genannte Irrtum wohl deutlich verbreiteter ist.
Der andere Hausarzt hat das Gefühl, dass das fehlgeleitete Verständnis durchaus Methode hat. Diese Vermutung, die sich im täglichen Leben eines Hausarztes vielfach bestätigt, war eines der Motive für diese Miniserie über Zecken, Borreliose, FSME und Co.
Einer der Kommentare zu dieser Serie lautete sinngemäß: “Ich bin dankbar dafür, dass uns die Pharmaindustrie so gründlich informiert.”
Der andere Hausarzt wäre dankbar, wenn Informationen zu medizinischen Themen im Allgemeinen, die der Pharmaindustrie im Besonderen, nach dieser kleinen Serie kritischer betrachtet würden. 

Hilfe, wir brauchen einen Arzt!

Heute Abend kam es in den Tagesthemen: Deutschland gehen so langsam aber sicher die Hausärzte aus – zunächst ist der Mangel vor allem in den östlichen Bundesgebieten und auf dem flachen Land zu spüren. Es wird eine ganz neue Strukturierung des Gesundheitswesens verlangt, wie, das wurde nicht gesagt. Bestimmt gibt es Pläne, doch bis diese […]

Hausarzt Dr. Kunze kämpft mit der modernen Zeit

Am 6. Juli 2009 erscheint eine neue Kolumne aus der Reihe Dr. Kunze hört (nicht) auf. Dieses Mal hat sich der Hausarzt mit den Errungenschaften der modernen Medizin auseinanderzusetzen. Es geht um das Thema Impfungen. Dr. med Anselm Kunze hat seine persönlichen Probleme damit. Der Leser erfährt etwas zu den Gedanken eines Hausarztes, der den Neuerungen der Medizin durchaus skeptisch gegenübersteht.

Zecken, Borreliose, FSME und Co. (3)

Stadieneinteilung und Blutergebnisse der Borreliose
Vorbemerkung
Um es gleich vorweg zusagen: Dies wird kein üblicher Artikel über die Stadieneinteilung und Laboruntersuchung im Falle der Lyme-Erkrankung. So ist die komplette Serie auf Der andere Hausarzt nicht gestrickt. Hier geht es um wesentliche Einsichten, die jenseits der üblichen Information stehen. (Denn nur eine einzige Aussage bezüglich der Borreliose ist hundertprozentig zutreffend: Niemand kennt bis heute der Weisheit letzten Schluss.)
Die Stadieneinteilung der Borreliose ist nicht so einfach, wie sie zunächst erscheint. Sie wird meiner Meinung nach vor allem von medizinischen Laien überbewertet. Diese Einteilung ist nicht viel mehr als eine Hilfskonstruktion. Die klare Einstufung von Stadium I, II und III trifft oft nicht die Realität. Deswegen wird es manchen Leser überraschen, dass ich die Stadieneinteilung hier nur erwähne. Wer sich genauer interessiert, ist auf Wikipedia oder beispielsweise der Seite von Privat-Dozent Dr. med. Wolfgang Hübel, Wien besser aufgehoben.
Stadieneinteilung der Borreliose kann nur Orientierung sein.
Die Verlässlichkeit der Stadieneinteilung ist aus mehreren Gründen eingeschränkt:
1. bei Weitem nicht immer werden die Stadien von I nach III klassisch durchlaufen (Beispiel: Stadium I “wandernde Röte” tritt nur in 50-60% der Fälle auf)
2. eine Borreliose kann in jedem Stadium spontan oder durch medizinischen Einsatz, der nur wenig stadienabhängig ist, ausheilen
3. der Verlauf einzelner Stadien ist ausgesprochen unterschiedlich in Bedeutung und Schwere
4. die handfesten diagnostischen Mittel, wie die Labordiagnostik (Blutuntersuchung), sind eingeschränkter verwertbar als selbsternannte Borreliose-Spezialisten uns das einreden wollen. Deswegen wird bisher
5. ein Screening (Reihenuntersuchung) per Blutuntersuchung nicht für praktikabel gehalten, schon gar nicht, um ein bestimmtes Stadium zu ermitteln
6. ist die chronische Verlaufsform der Lyme-Erkrankung sehr selten (mir ist klar, dass den Betroffenen diese Seltenheit nichts nützt)
7. eine strikte Stadieneinteilung fördert das Geschäft mit der Angst

Labordiagnostik der Borreliose
Dieses komplexe Thema lässt sich im Wesentlichen auf drei Aussagen reduzieren:
1. Krankheitsgeschichte und Krankheitszeichen stehen vor der Blutentnahme. Will heißen: Ohne Zeckenkontakt und ohne typische Krankheitssymptome einer Lyme-Erkrankung ist auch eine Blutuntersuchung relativ nutzlos. Diese Tatsache entspricht auch der Feststellung, dass ein Screening nicht praktikabel ist
Hier sei ein kleiner Exkurs erlaubt, der auch übersprungen werden kann: Es wird heutzutage von Patienten- und Arztseite immer üblicher, sich auf technische Ergebnisse zu verlassen. Ich will das anhand der Bandverletzung am Knie -oder Sprunggelenk erklären:
Bei dem Verdacht auf eine solche Bandverletzung ist nicht die Röntgenaufnahme die wesentliche Untersuchung. So ist eine Bandverletzung meist nicht erkennbar. Auch das MRT ist nicht die Untersuchung der ersten Wahl, zumal häufig viel zu viel Zeit vergeht, bis die „Röhre“ bereit steht. Die wesentlichen Dinge bei Verdacht auf eine Bandverletzung sind die Frage nach Unfallhergang und Verletzungsmechanismus, das Abtasten des Gelenkes und die Überprüfung der Funktion. Röntgen und MRT sind dann eher verzichtbar. Die moderne Medizin stellt sich, was dies betrifft, zunehmend von den Füßen auf den Kopf
2. verwertbare Blutergebnisse beziehen sich im Wesentlichen auf die Verlaufsbeobachtung. Ein einziger Antikörper-Wert sagt wenig bis nichts aus über das Vorhandensein einer Lyme-Krankheit.
3. unabhängige Fachleute sind der Meinung, dass Spezial-Blutuntersuchungen, wie LTT, CCS, PCR und wie sie alle heißen eher von zweifelhafter Bedeutung sind.

Dazu noch eine grundsätzliche Bemerkung: Hausärzte, wie andere behandelnde Ärzte auch, verlassen sich in Sachen medizinischer Spezialthemen auf Ergebnisse und Veröffentlichungen von unabhängigen und seriösen Spezialisten - nicht auf die Meinungen von Gurus, die sich gern ihr “Spezialwissen” vorrangig von den Betroffenen bezahlen lassen. Ich würde behaupten, und damit setze ich mich wahrscheinlich wieder einem Sturm der Entrüstung aus: In Bezug auf die Borreliose gibt es nichts Wichtiges an Diagnostik und Therapie, was der Patient aus eigener Tasche bezahlen müsste. Im Gegenzug heißt das: Das, was wichtig und richtig ist, übernehmen die Krankenkassen.

Was heißt eigentlich…Glykämischer Index?

Zum Thema der nicht ganz einfachen menschlichen Ernährung liegt mir als Hausarzt das Verständnis der Leser, die nicht vom Fach sind, besonders am Herzen. Es gibt reichlich gute wissenschaftliche Erläuterungen im Internet, deswegen wird die Erklärung auf dieser website teilweise eher umgangssprachlich. Das Prinzip bleibt richtig, wird aber nicht allumfassend dargestellt. Die Leute vom Fach können ja derweil eine Geschichte von Dr. Kunze lesen, davon sind zwölf unter dem Thema Kolumne des Monats vorhanden.
Der Glykämische Index (GI oder auch Glyx) zeigt an, wie sich der Verzehr eines Kohlenhydrats (Zucker, Stärke) auf den Blutzuckerspiegel bzw. den Insulinspiegel auswirkt.  Als Referenzsubstanz, sprich Vergleichssubstanz, dient reiner Traubenzucker, dessen Glykämischer Index auf 100 festgelegt wurde (die einzelnen Berechnungen sind uninteressant und verwirren nur). Alle anderen Kohlenhydrate messen sich nun am Traubenzucker. Die Stärke in Weißmehl-Spaghetti, die letztlich aus zusammengesetzten Zuckermolekülen besteht, hat nur einen GI von um die 50, je nachdem wie lange man sie kocht, al dente ist es eher weniger.
Vorarbeit wie bei der Stärke (Glykogen)…
Dieser deutlich geringe Einfluss von Spaghetti auf Blutzucker und Insulin liegt daran, dass der Kohlenhydratanteil in den Nudeln erst durch Verdauung aufbereitet werden muss. Kohlenhydrate liegen im Falle der Spaghetti als Stärke vor, nicht als Zucker. Der menschliche Körper kann nicht einfach Stärkemoleküle ins Blut aufnehmen, diese müssen erst zu Zuckern „zerhackt“ werden. Dazu müssen Verdauungssäfte fließen, Enzyme bereitgestellt werden, die dieses “Zerhacken” übernehmen. Nach und nach werden dann aus den Spaghetti Zuckermoleküle, die in die Blutbahn aufgenommen werden können.
…ist beim Einfachzucker nicht notwendig
Beim Traubenzucker ist das ganz anders, dessen Kohlenhydratanteil besteht von vornherein aus nichts anderem als Zuckermolekülen. Traubenzucker kann also ruckzuck in die Blutbahn überführt werden. Er wird so schnell vom Körper aufgenommen, dass ein Teil nicht einmal im Magen ankommt. Schon die Mundschleimhaut nimmt den Zucker auf, weil es nichts zu verdauen (aufzubereiten) gibt.
Zuckertransport in die Zelle
Die Aufnahme in die Blutbahn ist aber nur ein Punkt in der Zucker- und Kohlenhydratverwertung des menschlichen Körpers. Der zweite Punkt ist, dass der Zucker nicht einfach in der Blutbahn bleiben kann. Im Blut selbst nützt der Zucker wenig. Im Gegenteil, wenn er dort bliebe, richtete er mit zu hohen Blutwerten Schaden an (Diabetes mellitus). Wir brauchen den Zucker in den Muskelzellen, in den Nervenzellen und in allen anderen Zellen, die Energie für ihre Aufgaben und für ihr Überleben benötigen. Nicht zu vergessen die Leberzellen, die als Zuckerspeicher dienen können. Für den Eintritt in die Zelle bedarf es aber eines Türöffners. Diesen Portier spielt das Insulin. Ist der Zucker dann in der Zelle verschwunden, ist er im Blut auch nicht mehr nachzuweisen. Wir messen ja nicht den Zellzucker, sondern den Blutzucker.
“Nebeneffekte” durch Insulin
Bei Nahrungsmitteln mit hohem GI fällt geht der Zucker plötzlicher ins Blut über, also reagiert auch das Insulin plötzlich. Es hat ja die Aufgabe unseren Zuckerspiegel so um die 70 – 100 mg/dl (Milligramm pro Deziliter, tausendstel Gramm pro Zehntelliter)  zu halten. Wenn wir mit „Gewalt“ dagegen arbeiten, das heißt unseren Zuckerspiegel unbedingt auf 300 treiben wollen, weil wir gerade ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte mit einem Stück Eierlikörkuchen hinunterspülen, dann kann das Insulin schon mal überreagieren. Auf Grund des hektischen Insulinauftritts kann nun wieder eine Unterzuckerung drohen (reaktive Hypoglykämie im Fachausdruck). Der gesunde Körper ist zwar in der Lage diese Nachschwankung auszugleichen, aber es bleiben zwei unangenehme Eigenschaften des hohen Insulinspiegels:
1. stoppt Insulin für die Zeit der eigenen Arbeit, die Abteilung von der Fettverbrennung. Gleichzeitig aufgenommenes Fett wird also eher erst einmal abgespeichert (für schlechte Zeiten), statt verbrannt. Ich erinnere in dem Zusammenhang an die zwei Stückchen Kuchen von eben, die neben reichlich Zucker auch das ein oder andere Tröpfchen Fett enthalten.
2. löst Insulin mit seiner Überreaktion gern Hunger aus. Was tun wir also am liebsten 20 Minuten nach dem Verzehr von zwei Riegeln Vollmilchschokolade? Richtig – aller guten Dinge sind drei!
In diesem Teufelskreis verbringen wir gern die Weihnachtstage (immer wieder ein schönes Beispiel). Nach einem gewaltigen Mittagsmahl, schwören wir uns, dass wir erst am nächsten Tag wieder etwas essen. Das schwören wir uns nach einer gewaltigen Kaffeetafel drei Stunden später gleich nochmal. Nur um ein bis zwei Stunden später um die Bunten Teller zu kreisen und nur mal so nebenbei zu fragen, was eigentlich so fürs Abendbrot geplant ist.
Der Wert des Glykämischen Index ist zwar umstritten, aber unbestritten ist, dass Nahrungsmittel mit hohem GI solche Teufelskreise eher auslösen als die mit niedrigem.

Im nächsten Artikel unter dieser Rubrik geht’s weiter. Dann wird der Begriff der Glykämischen Last erklärt. Außerdem wird zusammenfassend zum Thema Stellung genommen. Denn leider, leider, man kann so richtig essen wie man will, es kann trotzdem zu viel sein.