Verloren sind Augen, Ohr und Hand 1

Kommentar zum Dreiteiler „Der Sonntags-Blinddarm“ 1. Teil
Die Geschichte um Hausarzt Dr. Kunze im Sonntags-Notdienst spiegelt mehrere Facetten der Medizin und weist damit unter anderem auch auf Probleme unserer Zeit. In der Medizin, wie in vielen anderen Bereichen des Alltags, leben wir in einer Zeit des Übergangs. Dies ist einerseits schwierig, weil in einer Zeit des […]

Niederes Pack

Liebe Hausärzte, ist es wirklich so schwer, auf kompetente und professionelle Art und Weise mit dem Rettungsdienst-Personal umzugehen? Bei manchen Vertretern dieser Zunft scheint das leider nicht möglich zu sein. Dem Rettungsdienst-Personal werden keine Übergaben gemacht, es wird größtenteils ignoriert, bis der Notarzt am Einsatzort erscheint und eine adäquate und schnelle Versorgung des Patienten wirdContinue Reading

Hausarzt stellt Blanko-Rezepte aus

Neue Wege beschreitet ein Hausarzt in Visselhövede, um seinen Protest gegen die jüngsten Vorgaben von Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung auszudrücken.
Nach seinen Angaben verpflichten ihn diese Vorgaben dazu, immer mehr Zeit für Bürokratie und Verwaltungstätigkeit aufwenden zu müssen, wobei der Sinn dieser Tätigkeiten oft mehr als Zweifelhaft sei.
„Jeden Tag verbringe ich ein bis zwei Stunden damit, Formulare zu unterschreiben, die ich nicht verstehe und von denen ich keine Ahnung habe, wozu sie gut sein sollen!“ sagte er gegenüber der örtlichen Presse.
Deshalb wird er heute, am traditionell arbeitsreichen ersten Tag des neuen Quartals Blanko-Rezepte ausstellen. Die mit Unterschrift und Datum versehenen Rezeptformulare werden von seiner Helferin vorgehalten und an die Patienten verteilt.
Die Patienten können sich dann selbst aussuchen, welches Medikament sie haben möchten. Auch Anforderungen für Überweisungen zu Fachärzten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Wünsche nach Massagen und Krankengymnastik werden auf gleiche Weise bearbeitet.
Wer möchte, hat Gelegenheit, mit dem Arzt über die aktuelle Gesundheitspolitik zu diskutieren.
Viele Patienten begrüßen diese Maßnahmen: „Meistens wissen wir doch selbst genau, was wir brauchen!“ sagte Frau K, 76 Jahre, „und so kommen wir viel schneller an unsere Tabletten und brauchen nicht mehr stundenlang im Wartezimmer zu sitzen!“


Sind Hausärzte blöd?

Die Antwort: Politik, Ärzteverbände und Krankenkassen scheinen diese Frage mit “Ja!” zu beantworten und der Verdacht liegt nahe, dass sie damit recht haben, denn
Hausärzte freuen sich, dass ihre Hausbesuche deutlich besser bezahlt werden!
Leser meines Blogs wissen, dass ich mich an dieser Stelle nicht über Arzthonorare beklage. Ärzte haben in Deutschland ein gutes Auskommen – ganz […]

Will keiner mehr Hausarzt werden?

Es war einmal, vor langer, langer Zeit… da war die Welt noch in Ordnung.
Draußen auf dem Lande waren die Leute glücklich und zufrieden und wenn man sich bei der schweren, harten Arbeit auf dem Feld einmal verhoben oder den Fuß verstaucht hat, dann ging man zum Doktor.
Der Herr Doktor war immer da, wenn man ihn brauchte und wusste eine Lösung für jedes Problem. Hatte man Schmerzen, gab’s eine Spritze, litt man Seelenqualen, dann fand er ein tröstendes Wort. Und den Simulanten und Hypochondern, den sagte der Herr Doktor auch schonmal mit klaren und deutlichen Worten, dass sie sich einfach mal ein wenig zusammenreißen sollten.
Ach ja, das waren noch Zeiten…
Der Herr Doktor bewohnte das größte Haus im Dorf und jeden Freitag Abend traf er sich zum Stammtisch mit dem Herrn Pfarrer, dem Lehrer und dem Bürgermeister und da wurden dann die Geschicke des Dorfes bestimmt.
So war das halt, damals. Aber die Zeiten sind vorbei. Niemand will mehr Hausarzt werden. Ärzteverbände und Funktionäre schlagen Alarm. In den einschlägigen Gazetten ist von tatsächlichem oder drohendem Ärztemangel die Rede.
Was ist los?
Natürlich ist es viel cooler, Neurochirurg zu sein oder Kardiologe. Dann kann man abends in der Szene-Bar spannende Stories aus OP oder Herzkatheter vom Stapel lassen. Und ein dickeres Auto als der Landarzt-Dackel kann man sich allemale leisten…
Aber liegt es wirklich daran?
Oder gibt es vielleicht ganz andere Gründe?


Appell an die Denker im Gesundheitswesen

Einer ist schlauer als der andere
In der Politik hagelt es Vorschläge, wie dem Ärztemangel begegnet werden soll. An sich ist Einfallsreichtum in der politischen Führung nichts Verkehrtes, aber was im Moment an Ideen geliefert wird, ist ein Armutszeugnis. Wenn es noch eines Nachweises bedurft hätte, warum es im deutschen Gesundheitswesen hakt und klemmt, dann sind […]

Eingeschneit

Der Dienst ist ruhig. Verdächtig ruhig. Draußen schneit es in dicken Flocken. Bis halb zwei habe ich Briefe diktiert und dann habe ich mich in mein Dienstzimmerkabuff zurückgezogen, mich in voller Kleidung aufs Bett gelegt, die Decke hochgezogen und den Piepser neben mich auf den Nachttisch gelegt. Gerade habe ich die erste Tiefschlafphase erreicht, da geht das Ding los.
„Ja?“
Die Zentrale ist dran, Gespräch von draußen.
Den Namen des Anrufers verstehe ich nicht.
„Meine Frau hat Bauchschmerzen,“ berichtet er.
„Okay…“
„Ich habe unseren Hausarzt angerufen… also den Notdienst. Aber der meldet sich nicht. Geht keiner ran. Schon seit einer Stunde nicht. Nur die Mailbox. Und keiner ruft zurück…“
Was soll ich jetzt noch lange diskutieren?
„…ist gut, dann kommen Sie halt zu uns!“ sage ich schnell.
Dafür sind wir schließlich da, unser Lokal ist immer geöffnet, vierundzwanzig Stunden am Tag, egal ob’s stürmt oder schneit!
Der Anrufer ist einverstanden. Er hatte einen Ortsnamen genannt, von dorther bis zu uns braucht man unter normalen Umständen vielleicht eine knappe halbe Stunde, mit etwas Glück kann ich also nochmal die Augen zumachen… ich drehe mich auf die Seite und bin ruckzuck eingeschlafen.
Das übliche Geräusch schreckt mich wieder hoch. Blick auf die Uhr, kurz nach halb fünf.
„Ja?“
„Noch ein Gespräch von draußen.“
Es ist derselbe Anrufer wie vorhin.
„Wo sind Sie?“
„In meiner Garage. Wir kommen nicht raus. Alles voller Schnee.“
Wie wär’s mit einer Runde Schneeschaufeln? Eine vorsichtige Bemerkung in diese Richtung findet aber keinen Anklang.
„Unsere Straße geht steil bergauf. Und da ist auch noch nichts geräumt!“
„„Und jetzt?“
„Was sollen wir tun?“
Okay, also Versuch einer Ferndiagnose: Fieber hat sie nicht, erbrochen auch nicht, Puls scheint normal und die Schmerzen derzeit halbwegs erträglich…
„Haben Sie ein Schmerzmittel daheim?“
„Nur Paracetamol.“
„Geben Sie ihr zwei Tabletten. Und wenn’s schlimmer wird, rufen Sie einen Krankenwagen!“
Ob der bei dem Wetter wohl  durchkommt?
Ist auch egal. Ich schlafe jedenfalls ungestört bis sieben Uhr früh.
Den Dienst habenden Hausarzt beneide ich nicht.


Krankschreibung Under Cover

Tja, ist doch gar nicht so schwer, das Krankfeiern, nicht wahr?
Deutschlands größte Zeitung, die mit den roten vier Buchstaben hat den Test gemacht: Under Cover hat sie einen Reporter losgeschickt: Ganz dreist ist der zu mehreren Doktors hingegangen und hat gesagt, er will einfach nur einen Krankenschein haben. Einfach nur so. Obwohl er kerngesund ist, wie er gleich dazu behauptet. Und sieh einmal an, was passiert: Er kriegt seinen gelben Urlaubsschein.
Von allen drei Ärzten, die er besucht.
Sind Deutschlands Hausärzte also allesamt korrupt?
Anstatt um das Wohl der Gesellschaft bemüht, der sie egentlich dienen sollen, geben sie sich dem schnöden Mammon hin und prellen die Volkswirtschaft um Millionen, ach was sage ich, um Milliarden, und das alles nur, um selber ein paar Kröten zu verdienen…. denn: ein Patient, der eigentlich gesund ist und nur einen Krankenschein will, ist ein guter Patient. Er macht keine Arbeit und spült den armen, am Hungertuche nagenden Hausärzten Geld in die Kassen. Einmal Karte duchziehen, Arbeitsunfähigkeit unterschreiben, dreißig Sekunden Arbeit, Vierzig Euro verdient. Macht hochgerechnet einen Stundensatz von…
So zumindest sieht es Deutschlands größte Zeitung, die mit den vier roten Buchstaben und die hat ja bekanntlich immer Recht.
Und die Moral von der Geschicht: Den Ärzten gehört mal wieder heftig auf die Finger geklopft. Vor allem den Hausärzten. Jawoll!


Game over

Eine Entscheidungsschlacht war der 22.12.10 für die Hausärzte tatsächlich. Allerdings war Hoppenthaller nicht Nelson, sondern Villeneuve: rund 40% der bayerischen Hausärzte wollte die Kassenzulassung zurückgeben – 60% lieber nicht. Damit ist…

Hausarzt Dr. Kunze hört (nicht) auf 25

24 Geschichten von Hausarzt Dr. Kunze sind als Taschenbuch im Verlag Leben&Schreiben erschienen. Hier klicken.

Heiligabend
Anselm Kunze öffnete das schwere Kirchenportal und ließ seiner Frau den Vortritt. Sie lächelte und wollte forsch voranschreiten, aber das war nicht möglich. Im Vorraum herrschte dichtes Gedränge und von hinten rückten weitere Besucher nach. Kunzes wurden geschoben. Es war eng und stickig. Der Stau entstand durch Unentschlossenheit im Durchgang zum Mittelschiff.
Hausarzt Dr. Kunze erwiderte Grüße, ein kurzes Kopfnicken hier, ein flüchtiger Händedruck da. Von unten piepste es:
„Hallo, Onkel Doktor!“
Der Arzt sah Richtung Kirchenboden und entdeckte Lotta oder Lena, das wusste er nicht so genau. Flüsternd fragte er, ob schon Bescherung gewesen sei.
„Nein, doch erst nach der Kirche. Weißt du das denn nicht?“
Wie konnte man so alt sein wie der Doktor und das Wesentliche nicht wissen. Erwachsene wussten doch sonst immer alles!
„Ach, natürlich!“
Dr. Kunze schüttelte über sich selbst den Kopf und winkte zum Gruß. Vorn ging es weiter.
Von links hob Getuschel an und die Menge drängte dort ein wenig auseinander. Der Küster bahnte sich einen Weg gegen den Strom, direkt auf ihn zu.
Jetzt passiert‘s, dachte der Hausarzt. Jetzt höre ich am Heiligen Abend, kurz vor dem Krippenspiel, den neuesten Lagebericht von der operierten Schulter. Aber warum sollte es hier anders sein als beim Einkaufen, im Kino, an der Tankstelle. Oder ging es jemandem nicht gut? War jemand weiter vorn in der Kirche zusammengebrochen?
„Herr Doktor, Herr Doktor!“
Der Küster winkte ihn aufgeregt heran. Anselm Kunze reagierte mit fragender Miene. Seine Frau bemerkte die kleine Szene und schob ihren Mann entschlossen in Richtung Durchgang, weg von dem Küster. Jetzt war Heiligabend und sonst nichts.
Aber der Küster stand schon neben ihrem Mann und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
„Doktor, hier entlang. Ich habe Ihnen zwei schöne Plätze reserviert. Kommen Sie. Hier ganz vorn.“
Er wies auf zwei Plätze im linken Seitenschiff. Aha, deswegen hatte der Patient zwei Tage zuvor also gefragt, welchen Gottesdienst der Hausarzt und seine Frau am Heiligen Abend besuchen wollten. Den um siebzehn Uhr, hatte Anselm Kunze geantwortet und dabei an seine Kinder gedacht. Tochter und Sohn hatten ihren Besuch angekündigt. Beide hatten auch am Heiligen Abend nicht vor, die Kirche zu besuchen, und so würde man mehr Zeit füreinander haben, wenn die alten Kunzes den Gottesdienst schon hinter sich hatten.
Der Küster zupfte ein wenig am Mantelärmel seines Hausarztes und bedeutete, er habe noch zu tun. Die zahlreichen brennenden Kerzen und das übervolle Kirchenhaus waren wie jedes Jahr eine besondere Herausforderung.
Der Arzt freute sich auch für seine Frau über die schönen Plätze und fragte sich zugleich, was wohl die Leute denken würden.
„Ah, der Herr Doktor ist etwas Besseres, wird gleich nach vorn durchgewunken.“
Oder:
„Alle Menschen sind gleich, außer den Ärzten, die sind gleicher.“
Aber andererseits, wie enttäuscht würde der Küster sein, wenn sein Hausarzt den kleinen Dienst verschmähte? Der Mann strahlte regelrecht, weil er dem Arzt, der seiner Mutter und ihm selbst so geholfen hatte, etwas Gutes tun konnte. Anselm Kunze wog noch ab, da war der Weg ins linke Seitenschiff längst eingeschlagen. Seine Frau und der Küster hatten eine Entscheidung getroffen.
Als das Ehepaar Kunze saß, blieben noch einige Minuten Zeit bis zum Beginn des Gottesdienstes. Der Hausarzt sah ein wenig umher und grüßte still. Er nickte und lächelte Richtung Mittelschiff und Richtung Eingang. Er war mit vielen Kirchenbesuchern gut bekannt, etliche waren Patienten und begleiteten ihn schon Jahre durchs Leben – und er sie. Mit ihnen hatte er vielleicht mehr Zeit verbracht, als mit der eigenen Familie.
Während er versuchte ein bisschen in sich zu gehen, erahnte Anselm Kunze von rechts oben eine schattenhafte Bewegung. Als er hinsah, winkte ihm die kleine Lotta oder Lena zu. Der Arzt winkte zurück, dann stupste ihn seine Frau an und fragte flüsternd:
„Wie geht‘s eigentlich der Mutter des Küsters?“
„Wieder ganz gut. Noch ein bisschen wackelig auf den Beinen, aber es geht.“
Nach einem Augenblick der Stille:
„Wie heißt noch das Ehepaar da drüben, gleich neben den Kellers?“
Das waren die Grabbes.
Dann:
„Dein Kollege Krohne ist auch da, mit seiner Frau. Drüben im hinteren Gang gehen sie gerade nach vorn. Jetzt sehen sie rüber zu uns.“
Ehepaar Kunze grüßte hinüber. Selbst von fern sah der Kollege müde aus. Wollte er nicht schon im Herbst seine Praxis übergeben? Aber dann erinnerte sich Anselm Kunze daran, dass es irgendeinen Konflikt mit dem Nachfolger gegeben hatte. Wahrscheinlich war es um Geld gegangen. Es ging doch immer um Geld, auch in seinem Beruf.
Herr Bolte wurde im Rollstuhl ganz nach vorn geschoben. Er erkannte seinen Hausarzt und brüllte:
„Schöne Feiertage, erholen Sie sich gut!“
Herr Bolte war schwerhörig und hatte seine Stimme nicht im Griff. Für einen Augenblick war es wie auf einem Tennisplatz: Aufschlag Dr. Kunze und alle Blicke waren auf ihn gerichtet.
Danach grüßten der Installateur, der erst kürzlich in der Praxis einen Wasserschaden repariert hatte, der Apothekeninhaber von nebenan und der Herr vom Schlüsseldienst, wie hieß er noch?
Zur inneren Einkehr blieben noch zwei Minuten. Nein, doch nicht: Der Küster näherte sich, diesmal mit seiner Mutter am Arm. Der freie Platz neben dem Hausarzt war für sie gedacht. So war das also: Gute Plätze gegen ärztliche Aufsicht.
Die Kunzes lächelten milde. Heiligabend.

Heilig Abend mit Dr. Kunze

Zum 4. Advent-Wochenende wird am Freitag, dem 18. Dezember nach längerer Zeit eine neue Kolumne um Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze veröffentlicht.
Diesmal wird die Geschichte keinen Einblick in die Praxisarbeit bieten. Am Heiligen Abend schließt der Hausarzt mittags die Praxis und erwartet seine erwachsenen Kinder zum Familienfest. Bevor der Besuch eintrifft, geht das Ehepaar Kunze am Nachmittag in die Kirche. Der Leser begleitet die beiden beim Kirchgang am Heiligen Abend.
Diese Geschichte ist nicht im Buch Hausarzt Dr. Kunze hört (nicht) auf enthalten. Wer mehr über den Hausarzt lesen möchte, kann hier das Buch versandkostenfrei bestellen.

mehr Tweets von twitter.com/HausarztKunze

Patientin beschwert sich bei mir, weil Homöopath, Osteopath und Naturheilkundler jeweils eine andere Diagnose stellen als ich. Und nun?

Herr V. ist alt und hinfällig, jetzt hat er eine Bronchitis. Er will keine Pflege, kein Krankenhaus, keine Betreuung. Wie soll das gehen?

Wie schreibt man eine Bauersfrau krank? Man muss warten bis die Kinder groß sind , die Ernte eingefahren und Schwiegermutter gestorben ist!

Patient mit Herzangst sitzt mir sorgenvoll gegenüber. Die Schachtel Marlboro passt nicht vollständig in seine Hemdtasche.

Patient mit Depression braucht Psychotherapie. Ich habe ihn soweit. Nach 12 Telefonaten bekommt er den frühesten Termin im Februar!?!

Blinddarmentzündung bei Frau H. war Divertikelentzündung im Dickdarm. Fehldiagnose in diesem Fall unerheblich, Hauptsache Notfall erkannt.

Raucherbronchitis von Herrn T. neigt sich dem Ende zu. Er kämpft inzwischen um jedes Sauerstoff-Molekül. Therapie ist ausgereizt.

Heute kommt das neue Ultraschallgerät. Vor allem Assistenzarzt Dr. Limmer freut sich. Mein altes sei ein Oldtimer, meint er.

Ehepaar V. beim Spaziergang getroffen. Rührend, wie sie ihn stützt. Chemotherapie läuft noch. Wir wollen mal in Ruhe miteinander sprechen.

Finde eine alte Karteikarte. Frau P. mit Wundheilungsstörung nach Kaiserschnitt. Das Kind von damals ist heute Arztkollege im Krankenhaus!!

Einfach mal bei twitter.com/HausarztKunze reinschauen. Inzwischen gibt es über 100 Tweets und es werden täglich mehr.

Vernunft in der Medizin – am Beispiel der Unterzuckerung IV

Zusammenfassung und Interpretation
Eine Unterzuckerung ist eine ernste Angelegenheit, besonders für einen nicht mehr ganz Gesunden. In unserem besonderen Fall des 82-jährigen Patienten ist die Stoffwechselentgleisung ausreichend mit der besonderen Situation erklärt. Andere Umgebung, anderes Essen, vor allem im Rahmen einer Feier, weniger Bewegung, mehr Alkoholkonsum als üblich, andere Tagesabläufe, deswegen nicht exakte Medikamenteneinnahme.
Die kurze Untersuchung des Notarztes hat sicher ergeben, dass das Wahrscheinliche wahrscheinlich ist, also tatsächlich eine Hypoglykämie vorliegt, Symptome für einen Schlaganfall oder eine Herzattacke lagen nicht vor.
Die Krankheitsgeschichte (Anamnese) eines Patienten ist eine wichtige Sache. In diesem Fall enthält die Anamnese einen Schlaganfall. Diese, zugegeben, nicht unwichtige Nebensache wird zum Leitmotiv für die Krankenhauseinweisung und den Krankenhausaufenthalt.
Falsche Gewichtung.
Der Patient will nicht ins Krankenhaus, er will frühstücken, was eine adäquate Therapie der Unterzuckerung gewesen wäre.
Der Patient ist 82 Jahre alt. Was spräche dagegen, nach spontaner Besserung des Zustandes eine abwartende Haltung einzunehmen?
Muss der ganze medizinische Apparat laufen? Wäre die hausärztliche Kontrolle der Zuckerwerte inklusive Hinweis nicht ausreichend gewesen? Dazu ein Hinweis, mit kurzfristigen Ernährungsumstellungen in Zukunft vorsichtiger zu sein?
Wie weit müssen Diagnose und Therapie in hohem Alter getrieben werden, zumal wenn sie vom Patienten nicht erwünscht sind?
Krank durch Diagnose
Was in diesem Fall auf die Unterzuckerung folgte, ist ein überzogener, verunsichernder und teuerer medizinischer Einsatz. Dieser hätte noch weitaus überzogener, verunsichernder und teurer ausfallen können, hätte der Patient sich nicht gesträubt. Meistens lassen Patienten alles über sich ergehen. Man stelle sich vor, mein Patient mit der Hypoglykämie wäre ergeben geblieben und man hätte bei der kardiologischen Untersuchung mittels Herzkatheter eine leichte Verengung der Herzkranzgefäße festgestellt und einen Vorfall der Mitralklappe I. Grades und, weil man ein modernes Krankenhaus ist, hätte man es dem Patienten auch genau so mitgeteilt. Wir wissen alle, wie sich die Sache mit Sender und Empfänger verhält, besonders in der Medizin. Sprache ist gerade zwischen Arzt und Patient ein schlechtes Kommunikationsmittel. Möglicherweise wäre Folgendes beim Patienten hängengeblieben:
Sie haben eine Durchblutungsstörung am Herzen und einen Herzklappenfehler, das muss behandelt werden, ist aber nicht so schlimm.
Muss man als 82-jähriger jeden Grad und jede Prozentzahl der Fehlfunktion wissen? Und wenn man es nicht wissen muss, muss man es dann untersuchen?
Warum läuft die modernen Medizin so? Hier ein paar Antworten:
- einfache Medizin mit klarem Menschenverstand ist zu einfach
- hohes Sicherheitsdenken mit zunehmendem Absicherungsverhalten der Ärzte
- es heißt zunehmend, Alter sei kein Grund für unzureichende Behandlung. Das mag stimmen, aber es kann doch sein, dass sich die Verhältnismäßigkeit mit zunehmendem Alter verändert
- der Patientenwunsch, der mit klarem Bewusstsein geäußert wird, wird nicht akzeptiert
Fazit
Wir werden die moderne Medizin in ihrem Fortgang nicht ändern können. Der Patient ist mehr denn je gefragt, wenn es um ihn geht. Deswegen meine immer wieder gleiche Antwort auf die Frage Wer fängt an?: Es kann nur der Patient sein. Nur er profitiert möglicherweise von weniger Medizin! Alle anderen Beteiligten, ob Ärzte, Krankenhäuser, Medikamentenhersteller, Apotheken, Physiotherapeuten und, und, und - verlieren mit weniger Medizin.
Neue Art der Patientenverfügung!
Um eine Entscheidung auf reduzierte Medizin, nicht auf minderwertige Medizin, treffen zu können, muss der Patient sich ausführlich Gedanken machen. Er muss sozusagen eine Art Verfügung mit sich selbst ausmachen, die nicht dann gilt, wenn er nicht mehr entscheiden kann, sondern besonders dann gilt, wenn er noch entscheiden kann.
Im Übrigen können wir Ärzte selbstverständlich auch zur Vernunft in der Medizin beitragen, gerade wir Hausärzte, aber die Patienten sollten sich nicht darauf verlassen.

Ende

Vernunft in der Medizin – am Beispiel der Unterzuckerung III

Einlieferung ins Krankenhaus
Als mein Patient im Krankenwagen zugibt, dass er nicht nur unter Alterszucker leidet, sondern auch schon mal einen kleinen Schlaganfall gehabt hat, soll er in die Neurologie gebracht werden. Ausfallserscheinungen wie schiefes Gesicht, Lähmungen der Beine, Arme oder Sprachstörungen sind zwar nicht festzustellen, aber man weiß ja nie.
Da in der Infusion klugerweise Glukose (Zucker) enthalten ist, fühlt sich mein Patient bei Ankunft im Krankenhaus fast wieder hergestellt. Trotzdem geht’s in die Stroke-Unit, die Abteilung zur Untersuchung und Intensivbehandlung von Schlaganfällen. Was ist eine Verdachtsäußerung wert, wenn ihr nicht konsequent nachgegangen wird? Rechtliche Probleme werden gefürchtet, wenn der Notarzt den Fall mit den Worten übergibt: Sieht nach hypoglykämischen Schock aus, Apoplex nicht auszuschließen. Also läuft die Maschinerie an.
Krankenhaus-Maschinerie läuft
Die körperliche Untersuchung des Patienten zeigt keine Auffälligkeiten. Der Zucker ist jetzt hochnormal, das liegt an der zuckerhaltigen Lösung im Tropf und daran, dass mein Patient seine Tabletten vor einer Stunde hätte nehmen müssen. Die liegen aber in der Küche seines Bruders, die Namen fallen ihm im Moment nicht ein. Stattdessen kommt er in die Röhre. Wenn er einen Schlaganfall gehabt hat, wird man ihn im Kernspintomogramm sehen. Danach geht die Diagnostik weiter, das Bett mit meinem Patienten drin, wird hin und her geschoben.
Entlassung auf eigenen Wunsch
Um es kurz zu machen, am nächsten Tag verlässt mein Patient das Krankenhaus gegen ärztlichen Rat. Er fühlt sich wohl und ist alt genug die Verantwortung auf sich zu nehmen, und er fühlt sich zu alt für die Untersuchungsketten im Krankenhaus, wobei er einiges schon hat über sich ergehen lassen. Andererseits sind die vorgesehenen Untersuchungen noch nicht komplett abgeschlossen. Das ist meinem Patienten egal, er will nach Hause, er meint nicht die Wohnung seines Bruders, sondern sein Zuhause in Norddeutschland. Wenn tatsächlich irgend etwas mit ihm nicht stimmt, will er seinen guten Allgemeinzustand nutzen, um in die gewohnte Umgebung zu gelangen. Übrigens ein sehr häufiger und verständlicher Wunsch älterer Menschen. Sie erinnern sich? Mein Patient ist 82 Jahre alt. Er verspricht, sich bei mir, seinem Hausarzt zu melden, und die restlichen Untersuchungen durchführen zu lassen. Glücklich ist man nicht mit seinem Weggang auf eigene Verantwortung, und die Ärzte zeigen ihm das auch. Lediglich eine Krankenschwester legt ihre Hand auf seinen Unterarm und sagt, sie könne ihn verstehen.
Beim Hausarzt
Nach diesem eindrucksvollen Erlebnis sitzt der Patient am übernächsten Tag bei mir im Sprechzimmer, erzählt mir von dem Vorfall und reicht mir den handschriftlich verfassten vorläufigen Entlassungsbericht des Krankenhauses im Ruhrgebiet. Eigentlich müsste ich den Brief einem Freund übergeben - zur Entzifferung - der befasst sich mit Münzen und kann winzige, undeutliche Inschriften unklarer Sprachherkunft lesen.
Letztlich wird die Diagnose einer Hypoglykämie bestätigt, ein Schlaganfall wurde ausgeschlossen, allerdings empfehle sich dringend die Vorstellung bei einem Kardiologen, zwecks Ausschluss einer Erkrankung der Herzkranzgefäße per Herzkatheter, respektive der Herzklappen per Herz-Ultraschall und eine Vorstellung beim Neurologen, weil der Patient das Krankenhaus vor Anfertigung eines EEG verlassen habe. Somit sei ein epileptischer Anfall nicht sicher auszuschließen. Weiterhin wird eine hausärztliche Kontrolle der Blutzuckerwerte empfohlen und eine Medikamentenanpassung.
Was fragt sich der geneigte Hausarzt, wenn er nach Bericht des Patienten und Lektüre des Kurzbriefes wieder aufblickt?
Er fragt sich:
Was soll das?
Übrigens ist es dieselbe Frage, die sich auch der Patient stellt.
Im letzten Teil dieser kleinen Serie gibt es eine Analyse des Falles, und damit wird ein Kardinalproblem der modernen Medizin beleuchtet.

Kräksjuka oder: die schwedische Kotzkrankheit

Eine stürmische Winternacht irgendwo in Deutschland. Beim Diensthabenden Hausarzt klingelt das Telefon.
„Herr Doktor! Sie müssen rauskommen. Sofort!“
„Äh…. worum geht es denn?“
„Mein Kind ist krank. Sie kommen doch, oder?“
„Darf ich vielleicht fragen…?“
„Das erzähle ich Ihnen gleich, wenn Sie bei uns sind. Telefonieren kostet schließlich Geld und Sie sind ja eh in zehn Minuten hier, oder?“
Der Herr Doktor ist ein guter Hausarzt vom alten Schlag und steigt deshalb – wenn auch nach einem leichten Seufzer – unverzüglich ins Auto.
Im Hausflur des Patienten stellt er dann ein paar Fragen und erfährt von den besorgten Eltern, dass das Kind heute früh aus dem Kindergarten heimgeschickt worden ist weil es erbrochen hat und jetzt hat es immer noch Durchfall. Nach ein paar weiteren Fragen ist der Herr Doktor sich sicher, dass keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht. Und nachdem er dann – da er ja nun einmal da ist – einen Blick auf das friedlich schlafende Kind geworfen hat, bestätigt sich diese Meinung und mit ein paar guten Ratschlägen kann der Herr Doktor die Eltern beruhigen.
Szenenwechse.
Dieselbe stürmische Winternacht, ein paar hundert Kilometer weiter nördlich.
In einer schwedischen Notdienstzentrale klingelt das Telefon.
„Herr Doktor, mein Kind ist krank….“
Der Herr Doktor stellt ein paar Fragen, ist sich daraufhin sicher dass keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht und gibt am Telefon die entsprechenden Ratschläge.
So läuft das da oben. Kräksjuka heißt die Kotzkrankheit in Schweden und eine gute Beschreibung findet sich bei Gunnar Herrmann: „Elchtest“ – ein Jahr in Bullerbü“.
Handelt der schwedische Doktor fahrlässig? Was wäre, wenn das Kind doch unter extremem Flüssigkeitsmangel leidet oder sich hinter der vermeintlichen Magen-Darm-Grippe gar eine lebensgefährliche Meningokokkensepsis versteckt?
Schwedische – und auch britische – Notdienstzentralen haben in jahrelanger Arbeit ein exaktes telefonisches Triagesystem entwickelt, welches solche seltenen, aber gefährlichen Verläufe mit erstaunlicher Treffsicherheit aufspüren kann. Und im Internet findet sich gutes Informationsmaterial.
Haben deutsche Kinder also mehr Glück als britische oder schwedische Kinder?
Schwedische oder britische Kinder sterben nicht häufiger an den Folgen einer Gastroenteritis.
Und der Herr Doktor?
Der ist auf dem Rückweg bei vierzig Zentimeter Neuschnee auf der ungeräumten Straße ins Schleudern gekommen und im Straßengraben gelandet. Hat Glück gehabt. Das Auto ist zwar nur noch Schrott, aber ihm selbst ist außer ein paar Prellungen nichts passiert.


Vernunft in der Medizin – am Beispiel der Unterzuckerung II

Der konkrete Krankheitsfall:
Ein Patient, männlich, 82 Jahre alt, seit Jahren Diabetiker vom Typ II („Alterszucker“), übergewichtig, leichter Bluthochdruck, besucht bei subjektivem Wohlbefinden seine Verwandtschaft im dreihundert Kilometer entfernten Ruhrgebiet. Ein runder Geburtstag wird dort gefeiert. Im Zuge der Feierlichkeiten mit reichlich Buffets, dazu fremder Umgebung, veränderten Tagesabläufen und somit veränderten Zeiten von Medikamenteneinnahmen, gerät der Blutzuckerspiegel meines Patienten durcheinander, ohne dass er es merkt.
Veränderter Tagesablauf - anderer Stoffwechsel
Zwei Tage nach der Feier sitzt man gemeinsam am Frühstückstisch und noch bevor mit dem Essen begonnen werden kann, sackt mein Patient zusammen und fällt vom Stuhl.
Natürlich ist alles erschrocken, es sieht aus, als ob der liebe Verwandte aus dem Norden stirbt. Aber bevor jemand etwas tun kann, öffnet mein Patient die Augen, will sich aufrichten und flüstert geschwächt:
„Ich brauche…“
Die Ohnmacht kehrt zurück. Was braucht ein Zuckerpatient in diesem Fall?
Seine Zuckermedikamente?
Nein!
Die einzig richtige Antwort lautet:
Zucker!
Stoffwechselentgleisungen und damit zusammenhängende Ohnmachten haben bei Zuckerkranken in der Regel zwei Ursachen:
1. Unterzuckerung (Hypoglykämie) oder
2. Überzuckerung (Hyperglykämie).
Mit dem Verabreichen von Zucker kann man nicht viel falsch machen. Wäre der Blutzuckergehalt des Patienten in einer Notfallsituation, wie der geschilderten zu hoch, verschlechtert ein Stückchen Traubenzucker oder etwas Zuckerwasser die Lage kaum. Steckt der Kollabierende in einer Unterzuckerung, und es würde gelingen, ihm zuckersenkende Medikamente einzuflößen, würde man die Hypoglykämie noch vertiefen. Ein gefährlicher Zustand. Im Falle meines Patienten auf Verwandtschaftsbesuch sollte also möglichst schnell eine Zuckerlösung vorsichtig in den Mund geträufelt werden.
Ruhe bewahren
Die Angehörigen meines Patienten sind so verdattert, dass sie nicht darauf kommen. Die einen glauben, die Vollendung des Satzes Ich brauche… sollte lauten …meine Medikamente, die anderen …einen Arzt. Keiner kommt auf …Zucker.
Der Notarzt wird gerufen. Als er die Küche betritt, kommt der Bewusstlose gerade wieder zu sich und will etwas essen. Er kennt die Situation. Zwar hat es ihn bislang nie so heftig erwischt, aber ein spürbares Absacken des Blutzuckers kam gelegentlich vor. Ein Löffel Marmelade, ein Schluck Cola oder ein Stück Traubenzucker haben immer schnell geholfen.
Krankenhaus?
Der Notarzt checkt die Lage, misst den Blutzucker und bestätigt bei einem Wert von 46 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) die Hypoglykämie. Statt Frühstück, wie der Patient es selbst vorschlägt, wird ein EKG angelegt und eine Infusion vorbereitet. Das Fazit lautet: Überwachung und Check im Krankenhaus. Mein Patient will das nicht. Er will nur ein paar Kohlenhydrate. Er ist allerdings noch zu schwach, um sich zu wehren. Also geht‘s ins Krankenhaus.

Weitere 10 Tweets von @HausarztKunze.

- Aut-idem treibt Stilblüten. Rabattmedikament nicht lieferbar also muss der Arzt ein Kreuz setzen. Versteht noch einer etwas? Ich nicht.
- Frau A. präsentiert sich 6 Monate nach meiner Schimpfkanonade mit 14kg weniger. Wow! Ich dachte, sie hätte mich verlassen.
- Herr R. will zur Kur. Meine Frage: Warum? Antwort: Nur so. Ich war 4 Jahre nicht, also steht mir wieder eine Kur zu. - Ah, ja dann.
- Anruf beim Frühstück. Frau T. ist in der Nacht gestorben. War abzusehen, ist besser so. Muss vor der Sprechstunde hin, den Tod feststellen.
- Nach 15 J. Lena M. wiedergesehen. Das ehemalige Schulkind ist jetzt 2-fache Mutter und der Irokesenschnitt eine schicke Kurzhaarfrisur.
- Muss heute mit Frau L. sprechen. Umzug ins Pflegeheim ist überfällig. Ihre Wohnung ist verdreckt und die vormals feine Dame riecht streng.
- Heute Nachmittag Fortbildung. “Freue” mich auf Arztkollegen, die ständig über zu geringes Honorar jammern. Aber es gibt auch Ausnahmen.
- Fortbildung war ein prickelndes Thema: Wie verschlüssele ich Diagnosen richtig und in welches Formular?
- Orthopäde verkauft meiner 86j. Patientin Knorpelaufbau-Kur fürs Knie als Selbstzahlerleistung. Er sollte sich schämen.
- 1. Termin heute ist schwer-Gespräch mit Frau M.. Ihr Mann liegt im Sterben. 2. Termin ist Glück-eine U 4 eventuell mit zahnlosem Lächeln.

Psyche, Herz oder Rücken?

Es klopft an der Tür zum Arztzimmer.
„Herein!“
Die Tür öffnet sich zaghaft. Davor steht Herr Lanzberger, Herbert.
„Was können wir für Sie tun, Herr Lanzberger?“
„Ich… ich hätte ein paar Fragen an Ihre Kollegin…“
Sarah verdreht die Augen und atmet laut hörbar aus. Dann steht sie auf und reicht dem Patienten die Hand.
„Bei der Visite hatte ich Ihnen doch schon alles erklärt!“
„Aber ich weiß nicht…“
„Sie können heute nach Hause gehen, Herr Lanzberger!“
„Wirklich?“
„Wirklich!“
„Also, letzte Nacht, da hatte ich wieder…“
„Ihre Schwindelattacken haben wir doch längst abgeklärt!“
„Und was habe ich dann?“
„Herz und Lunge sind völlig in Ordnung!“
„Ja, und meine Schmerzen?“
„Die könnten… die könnten vielleicht vom Rücken her kommen…“
„Und was mache ich da?“
„Gehen Sie am besten gleich morgen zum Hausarzt. Der kann Sie dann zum Orthopäden überweisen, und der schickt Sie dann zum Kernspin, also in die Röhre…“
Herr Lanzberger bleibt unschlüssig in der Tür stehen.
„Jetzt machen Sie sich mal keinen Kopf! Gehen Sie mal erst mal heim. Da wird Ihnen schon nicht der Himmel auf den Kopf fallen.“
Der Patient zögert eine Weile, dann nickt er.
„Danke, Frau Doktor!“
Langsam schließt er die Tür hinter sich.
„Glaubst Du wirklich, dass er etwas am Rücken hat?“ frage ich.
„Selbstverständlich nicht!“ sagt Sarah, „der hat eine Somatisierungsstörung, wie aus dem Lehrbuch!“
„Warum hast Du ihm das nicht gesagt?“
Sarah zuckt hilflos die Schultern.
„Einen Herzinfarkt haben wir halbwegs sicher ausgeschlossen. Deswegen war er hier! Und alles Andere…“
„Ist nicht Dein Job? Was soll denn der arme Hausarzt tun?“
„Der wird ihm ja wohl die Wahrheit schonend beibringen!“
„Und ihn zum Orthopäden schicken?“
Sarah steht auf, schüttelt den Kopf und verdreht abermals die Augen.
„Vergiss es einfach!“ sagt sie und geht hinaus.


Vernunft in der Medizin – am Beispiel der Unterzuckerung I

In der Reihe “Vernunft in der Medizin” erscheint mit dem Thema der Unterzuckerung bereits die zweite Artikelserie. Lesen Sie auch die erste Serie in sechs Teilen “Vernunft in der Medizin - am Beispiel des künstlichen Kniegelenks”
Teil I Die Hypoglykämie
Im Falle einer Unterzuckerung, Hypoglykämie, sackt die Konzentration des Blutzuckers unter ein Mindestmaß. Die Zellen und somit der Organismus, erleiden einen akuten Energiemangel. Im Falle der Hypoglykämie folgt unkoordiniertes Verhalten oder Denken des Betroffenen bis hin zum Kollaps. Durch Zufuhr von Zucker ist diese Situation beherrschbar. Für medizinische Laien ist der Zustand der Betroffen meist sehr beeindruckend, nicht selten empfinden Umstehende das Geschehen als tödlichen Zusammenbruch.
Veränderung in der Bedeutung
Früher standen, medizinisch gesehen, eher die indirekten Folgen der Unterzuckerung im Vordergrund, zum Beispiel die Schädelprellung durch den Sturz oder der Kontrollverlust als Fahrer eines Autos. In den letzten Jahren kommt dem hypoglykämischen Zustand ein immer höherer eigener Krankheitswert zu, hier vor allem im Falle des Typ-II-Diabetikers („Altersdiabetes“).
Dass ausgerechnet Zuckerkranke, die ja unter einem zu hohen Zuckergehalt des Blutes leiden, Unterzuckerungen erleben, ist der Labilität ihres Zuckerstoffwechsel zuzuschreiben. Der Blutzuckergehalt kann in die eine wie in die andere Richtung entgleisen. Neben der Ernährung und Bewegung beeinflussen blutzuckersenkende Medikamente die sensible Stoffwechselsituation. Werden sie zu niedrig dosiert, steigt der Blutzuckergehalt über die erlaubte Grenze, werden sie zu hoch dosiert, entgleist die Zuckerkonzentration in die andere Richtung - die Hypoglykämie.
Kranke stärker gefährdet als Gesunde
Vor allem bei bereits vorgeschädigten Hirn- oder Herzmuskelzellen kann ein hypoglykämischer Schock fatale Folgen haben. Die entsprechenden Gewebezellen werden zusätzlich geschädigt. Dies ist der Grund, warum sich heutzutage eine gute Zuckereinstellung nicht mehr nur an den normalen Blutzuckerwerten, sondern vor allem an der Zahl der Hypoglykämien misst. Das leuchtet ein, denn jemand der ohnehin krank ist, kann Stress in Form von Fehlregulationen des Stoffwechsels sicher schlechter vertragen als ein Gesunder. Dazu kommt, dass Durchblutungsstörungen, gerade von Herz und Hirn, eine der vielen Komplikationen einer langjährigen Zuckerkrankheit sind.
Im nächsten Teil dieser kleinen Serie geht es weiter mit einem konkreten Fall.

Hier die ersten 10 Tweets auf Twitter.com@HausarztKunze

10. Patientin hat Blutdruckkrise, weil sie jedesmal ein anderes Medikament in der Apotheke bekommen hat und keinem mehr getraut hat. #aut-idem 02.11.2010
9. Krankenkasse fragt 4 Wochen nach Knie-OP, warum ein 61 J. alter Mauerer noch nicht arbeiten kann. Soll ein Formular ausfüllen. Grmpff. 02.11.2010
8. 7 Wochen Bauchschmerzen wechselnder Intensität bei 16 J. alten Mädchen stellten sich nach 1 Wo. rätseln als massiver Wurmbefall heraus. 01.11.2010
7. Hausbesuch war nötig, ein Frau hat mich für ihren kranken Bruder gerufen, beide zusammen 192 Jahre alt, dagegen bin ich mit knapp 63 jung. 01.11.2010
6. Hausbesuch vor der Sprechstunde, die Woche fängt gut an. Klingt aber ernst, der Patient ist sonst eher zurückhaltend. 01.11.2010
5. Arzthelferin Christine ist die leitende Kraft am Empfangstresen. Nicht selten weiß sie in der Praxis Dr. Kunze besser Bescheid als ihr Chef. 31.10.2010
4. Hausarzt Kunze, verheiratet, zwei erwachsene Kinder. Seine Frau arbeitet mit in der Praxis, was gelegentlich zu Schwierigkeiten führt. 31.10.2010
3. Alle Tweets und Geschichten um Dr. Kunze auf www.der-andere-hausarzt.de sind fiktiv, aber geschrieben von einem erfahrenen Hausarzt. 31.10.2010
2. Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze ist Anfang 60 und kann sich nicht entscheiden, ob er seine Praxis abgeben soll oder nicht. 31.10.2010
1. Hausarzt Dr. Kunze ist eine Schöpfung von www.der-andere-hausarzt.de. Er arbeitet in eigener Praxis und hat neuerdings einen Assistenzarzt. 31.10.2010

Hausarzt Dr. Kunze twittert!

Mit Hausarzt Dr. Kunze geht es weiter - nur die Geschichten werden kürzer. Vorerst sind sie auf 140 Zeichen begrenzt, denn Anselm Kunze twittert seit Neuestem. Wie es dazu kam, das wird später einmal Inhalt einer längeren Geschichte sein. Zunächst nur soviel. Zu erreichen ist der Arzt unter

Twitter:@HausarztKunze

Wer diesem Twitter folgt, wird täglich Nachrichten aus der Praxis Dr. Kunze erhalten. Selbstverständlich fiktiv, aber auch auf Basis jahrzehntelanger Erfahrung und mit echtem Einblick in Arbeit und Gefühlswelt eines Hausarztes.
17 so genannte Tweets sind bereits vorhanden und auch schon über 40 Follower, obwohl heute erst der 5. Twittertag im Leben von Dr. Anselm Kunze ist.
Also wer dem Hausarzt folgen will, einfach bei Twitter.com anmelden, @HausarztKunze in die Suche eingeben und Folgen anklicken. Danach werden immer die neuesten Tweets auf der eigenen Twitter-Startseite angezeigt. Die Tweets kann man sich auch auf dem Handy anzeigen lassen. Am einfachsten geht das mit einem iPhone und einer entsprechenden App. Aber soweit ich weiß, geht das auch nahezu mit jedem anderen Handy.
Viel Spaß mit Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze, dessen längere Geschichten nächste Woche als Taschenbuch im Verlag Leben&Schreiben erscheinen (www.lebenundschreibende).
Eine dritte Möglichkeit, die Tweets zu lesen, gibt es über Facebook unter www.facebook.com/HausarztKunze.

Patient-Hausarzt 4

Vertrauen zwischen…
Patient und Hausarzt wird heutzutage auf vielerlei Weise von der Politik und Verwaltung torpediert. Da sind die Krankenkassengebühren zum Eintritt in die Praxis. Sie mögen ihre Berechtigung haben, aber warum belastet man damit das Patient-Hausarzt-Verhältnis? Warum regeln die Krankenkassen oder der Gesetzgeber das nicht selbst. Die Antwort ist klar: Beide wollen den Schwarzen Peter verschieben. Da wäre die Aut-idem-Regelung (das Kreuzchen auf dem Rezept). Warum wird die anhaltende Diskussion und der verständlicher Ärger darüber auf die Ebene der Patienten-Hausarzt-Beziehung abgewälzt. Was hat ein Hausarzt mit Herstellungs- Marketing- und Bonusmethoden von Pharmaindustrie und Krankenkassen zu tun? Warum ist der Hausarzt derjenige, der Therapiemethoden einsparen muss, obwohl er sie für richtig hält, wenn es beispielsweise um Krankengymnastik und Ergotherapie geht. Genauso gut könnten die Krankenkassen sich darum kümmern, wenn ein Therapielimit überschritten wird, oder der Gesetzgeber, der eine bestimmte Menge vorgibt. Aber so ist man fein raus.
Zeit und Vertrauen sparen Kosten
Mit der Taktik verschiebt man nicht nur den Schwarzen Peter, sondern wird noch mehr los, nämlich den Hausarzt an sich. Meiner Meinung nach sind Restriktionen und Einkommensunsicherheiten die Hauptgründe, warum sich die jungen Mediziner gegen der Beruf des Hausarztes entscheiden. Es ist nicht das Honorar an sich.
Dabei wäre eine vertrauensvolle Patienten-Hausarzt-Beziehung, der von Gesetz und Verwaltung der Rücken gestärkt wird, nicht nur wichtig für die Patienten, gleichzeitig ein wunderbares Einsparmittel für die explodierenden Gesundheitskosten. Denn ich als Hausarzt bin noch jemand, der den Patienten sagen kann, was er alles nicht braucht. Aber dafür brauche ich Zeit und Vertrauen. Fehlt das eine oder das andere, werden Gespräche schnell durch Rezepte oder Überweisungen ersetzt. Beides ist meist teuer, teurer zumeist als ein klärendes Arztgespräch es wäre.
Patienten müssen kämpfen oder zahlen
Wenn die Entwicklung so weitergeht und immer weniger Hausärzte in Deutschland praktizieren, die immer weniger Zeit haben, werden die Patienten zahlen müssen. Die Zeit ist nicht mehr fern, in der ein Patient für ein vernünftiges und neutrales Patienten-Arzt-Gespräch wird zahlen müssen. Das wird dann möglicherweise gut angelegtes Geld sein, ähnlich wie im Falle einer juristischen, finanziellen oder versicherungstechnischen Beratung. Noch ließe sich das vermeiden, aber dann müssten die Versicherten/Patienten langsam mal begreifen, was sie verlieren, wenn es den Hausarzt nicht mehr gibt.
Diese Veränderung in der ärztlichen Versorgung gehören meines Erachtens genauso auf den Prüfstand der Basis, wie das Stuttgarter Bahnhofsprojekt oder die Entsorgung von Atommüll in Gorleben.
Die Versicherten werden sich regen und organisieren müssen, um etwas zu ändern.

Übrigens, meine Rest-Lebensarbeitszeit wird diese Problematik kaum mehr betreffen, höchstens in dem Sinne, dass ich mehr arbeiten muss als mir lieb ist, und dass mein Berufsbild zum Zeitpunkt meiner Pensionierung sehr begehrt sein wird. Eigennutz wird man mir im Zusammenhang mit dieser Artikelserie deswegen nicht unterstellen können.

Patient-Hausarzt 3

Braucht der Patient unbedingt einen Hausarzt?
Wenn ja…
…Warum?
Mit jedem weiteren Schritt in die Zukunft wird die Medizin komplexer. Je mehr Fortschritt, umso mehr Alternativen. Je mehr Alternativen, umso weniger Übersicht, zumal für medizinische Laien. Das beginnt bei den Untersuchungsmethoden und endet mit den Therapiemöglichkeiten.
Wenn Sie vor dreißig Jahren mit Knieschmerzen ohne eine erinnerliche Verletzung zum Arzt gingen, wurde das Gelenk vor allem genauestens betrachtet und mit den Händen untersucht. Gab es Hinweise auf einen knöchernen Schaden, wurde es möglicherweise geröntgt. Die drei Untersuchungsmethoden von damals spielen heutzutage kaum noch eine Rolle. Weder die Augen des Arztes, seine Hände oder das normale Röntgengerät stehen noch im Vordergrund der ärztlichen Untersuchung im Falle unklarer Kniegelenksbeschwerden. Ohne MRT (Kernspintomogramm) fällt kaum mehr eine Therapie-Entscheidung.
Die Qual der Wahl
Trägt der Knieschaden dann einen Namen, gibt es eine Fülle von Therapiekonzepten, Medikamente, Bandagen, Injektionen, Reizstrom, Krankengymnastik, Osteopathie, Gelenkspiegelung, Gelenkersatz und anderes mehr. Diese Vielfalt beschränkt sich keineswegs auf das Knie, sondern gilt für nahezu alle Bereiche des Körpers und deren mögliche Erkrankungen. Das angewandte Therapie-Konzept hängt immer mehr von dem ab, der das Konzept anbietet.
Gewinnorientierung oder Einfühlungsvermögen?
Dazu kommen immer mehr Untersuchungs- und Behandlungsansätze im Falle vollkommener Gesundheit. Vorsorge reicht von einfacher Untersuchung mit dem Stethoskop, dem Blutdruckmessgerät, den Arzthänden und -augen bis zum Ganzkörperscan wie er in den USA bereits eingesetzt wird. Die Behandlungsmethoden des gesunden Körpers weiten sich ständig aus, vom Anti-Aging bis zum Lifting, Behandlung von Laborwerten und der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln.
Dazu kommen all die Befunde, erhoben durch empfindlichste Untersuchungsmethoden, die zwar anderes sind, als der Mediziner das gelernt hat, deswegen aber längst keine Krankheiten sind und trotzdem behandelt werden.
Der Patientenmanager
Es ist wie im Kaufhaus oder im Supermarkt, ist das Angebot zu groß, findet man sich nicht mehr zurecht und ist kaum in der Lage eine Entscheidung zu treffen. Die Beratung, falls es noch eine gibt, ist immer seltener kundenorientiert, immer häufiger gewinnmaximiert.
Was im Supermarkt nur den Geldbeutel schmälert, betrifft beim Arzt oder im Krankenhaus in der Hauptsache die Gesundheit der Patienten, nur nebenbei auch immer häufiger den Geldbeutel.
Versuchen Sie mal bei Aldi eine Lebensmittelberatung zu bekommen oder bei Saturn eine Auskunft darüber, was an Ihrem vor vier Jahren gekauften Fernsehgerät defekt ist. Wissen Sie, was ich meine? Genau in diese Richtung tendiert die Medizin. Große Facharztpraxen, riesige Krankenhäuser mit einem Angebot, dem es an nichts fehlt, aber der Patient wird immer mehr zur Ware, zum Business. Da wäre es gut, einen Gesundheits- und Krankheitsmanager an der Hand zu haben.
Genau diese Funktion sollte meiner Meinung nach der Hausarzt der Zukunft vorrangig erfüllen. Teilweise tut er das heute schon. Aber dafür brauchen Patient und Hausarzt ein Vertrauensverhältnis. Dafür braucht es vor allem erstmal einen Hausarzt und der braucht eine entsprechende Ausbildung und - Zeit.
Mit einem Fazit für die Zukunft schließt diese kleine Reihe im nächsten Artikel

Patient-Hausarzt 2

Wer braucht wen?
Wenn ein Verhältnis durch Veränderung der Zeiten neu sortiert wird, wie das von Patient und Hausarzt, ist die Frage nach den Abhängigkeiten wichtig. Wer braucht wen? Hier geht es nicht um Erpressbarkeit, sondern eher um Angebot und Nachfrage. Angebot - Hausarzt, Nachfrage - Patient.
Das Thema wird klarer, wenn wir das Pferd von hinten aufzäumen und die Frage stellen:
Muss ein Mensch, der Arzt wird oder geworden ist, Hausarzt werden?
Die Antwort lautet eindeutig - nein! Einem fertig ausgebildetem Arzt stehen viele Wege offen. Derzeit scheinen Dinge, wie Neigung und Lebenswunsch einziges positives Kriterium zu sein, für die Wahl des Berufes Hausarzt, vielleicht noch die Nachfolge in der elterlichen Praxis.
Gesichtspunkte, wie Chancen auf berufliches Fortkommen, gesichertes hohes Einkommen, Ansehen in der Gesellschaft, Stimmung in der Politik, bürokratischer Aufwand in der Berufsausübung, finanzielles Risiko in Sachen Existenzgründung bilden eine Mauer von Argumenten, die einen fertigen deutschen Mediziner eher nicht Hausarzt werden lassen, jedenfalls nicht in seinem Heimatland.
Dem gegenüber steht die Frage:
Muss ein Mensch Patient werden?
Die Frage ist mit einem klaren Ja zu beantworten.
Für die Zukunft ist vorhersehbar, dass potentiell jeder Einwohner zum Patienten werden wird. Es muss dabei nicht um Krankheit gehen, gesunde werdende Mütter sind dabei ebenso Patienten wie ihre gesunden Kinder, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Möglichkeiten der gesetzlichen Gesundheitsvorsorge reichen bereits heutzutage bei neugeborenen Mädchen nahtlos von der Geburt bis zum Tod. Bei Männern existiert noch eine Lücke von knapp zwanzig Jahren, zwischen 18 und 35.
Tatsächlich spielen Themen wie Vorsorge und Gesundheitsmanagement eine immer größere Rolle. Andererseits wird nahezu jeder gegenwärtige und zukünftige Einwohner Deutschlands im Laufe seines Lebens auch aus Krankheitsgründen Patient werden - zumal am Ende seines Lebens. Statistisch gesehen sterben nur wenige Menschen plötzlich und aus vollkommener Gesundheit.
Die Frage, ob der Mensch Patient werden muss, ist damit hinreichend geklärt. Bliebe die Frage:
Braucht der Mensch, wenn er Patient ist, einen Hausarzt?
Reicht nicht irgendein Arzt? Ein Facharzt, ein Arzt im Krankenhaus, in der Ambulanz, in der Poliklinik oder innerhalb eines medizinischen Versorgungszentrums?
Hier wird die Angelegenheit subjektiv.
Führende Politiker scheinen zur Zeit der Überzeugung zu sein, ein Hausarzt sei verzichtbar. So, wie Gesundheitspolitik gegenwärtig läuft, wird die medizinische Versorgung der Patienten immer mehr gebündelt. Einzelpraxen sterben, vor allem die auf dem Land, Kleinstkrankenhäuser schließen, große Zentren medizinischer Versorgung entstehen. Dabei gilt die Faustregel, je zentraler und größer, umso unpersönlicher.
Nun, bin ich keine Verfechter von Einzelpraxen, im Gegenteil, ich bin selbst Teil einer großen Gemeinschaftspraxis, es geht mir um den Trend. Wohin geht die Reise für die Patienten?
Sie geht eindeutig hin zur technokratischer Mega-Versorgung. Es ist wie mit dem Tante-Emma-Laden und REAL, dem Fernsehfachgeschäft und Saturn, dem Buchhändler um die Ecke und Thalia oder Hugendubel.
Darum beantworte ich die Frage…
Braucht der Patient unbedingt einen Hausarzt?
…eindeutig mit JA! Und zwar in Zukunft mehr denn je!
Warum?
Darum geht es im nächsten Artikel dieser Reihe.

Die besten Krankfeierdiagnosen

Okay, Du willst einfach mal ein paar Tage ausspannen. Hast aber Deinen Jahresurlaub längst aufgebraucht. Oder der Chef will Dir einfach keinen geben. Was könntest Du also tun?
Richtig, hol Dir einen Gelben!
Lerne klagen ohne zu leiden!
Also machst Du Dich auf den Weg zum Doktor. Und während Du jetzt im Wartezimmer sitzt, hast Du Gelegenheit, Dir ein Leiden einfallen zu lassen. Die Qual der Wahl ist nicht einfach:

  • Durchfall: – kommt immer gut. Du könntest ja andere Kollegen anstecken, wenn Du die zunächst Betriebstoilette und anschließend die Kaffeeküche verseuchst. Daher nimmt es Dir der Chef bestimmt nicht übel, wenn Du lieber zu Hause bleibst. Beim Hausarzt kriegst Du vielleicht Immodium verschrieben, das musst Du aber selbst bezahlen, also lass es weg. Und halte die Sache schön einfach: Kein Erbrechen, keine Bauchschmerzen, sonst bringst Du den verantwortungsvollen Arzt noch in Verlegenheit. Nach spätestens fünf Tagen muss der Durchfall aber wieder weg sein, sonst könnten unangenehme Unterschungen notwendig werden.
  • Erkältung, Husten, Schnupfen, Halsweh – läßt sich leider nicht ganz so einfach faken, denn eine Erkältung sieht man Dir ja an. Also vielleicht gegebenenfalls mit Zwiebeln nachhelfen. Wenn der Arzt knickerig ist, kriegst Du zwei bis 3 Tage Urlaub, bei einem netten Doktor kannst Du aber auch schonmal eine Woche rausholen, aber nicht mehr.
  • Ehrlich sein – Warum nicht? Die meisten Hausärzte sind doch gar nicht so böse! Und sie sind schließlich auch nur Menschen. Wenn Du offen zugibst, dass Du heute verschlafen hast oder einfach keine Lust weil Du gestern vom Chef einen Anschiss kassiert hast, lassen sie sich schon etwas einfallen. So ein gelber Schein für ein oder zwei Tage ist fast immer drin – sofern Du es nicht übertreibst!

Weitere Artikel:

Dieser Artikel ist satirisch gemeint und keineswegs als Aufforderung zu einer strafbaren Handlung zu verstehen!


Patient-Hausarzt 1

Einige meiner Artikel, zuletzt besonders die kleine Reihe Vernunft in der Medizin - am Beispiel des künstlichen Kniegelenks haben bei Lesern Fragen aufgeworfen, die das Patienten-Arzt-Verhältnis betreffen. Wie kann/soll/darf/muss sich ein Patient in der heutigen Zeit verhalten, wenn er einem Arzt gegenübersitzt? Und was kann/soll/darf/muss/ ein Arzt in dieser Hinsicht akzeptieren und leisten?
Diese Fragen beziehen sich auf die Themen Wissen und Information, Entscheidungshoheit im diagnostischen (untersuchenden) und therapeutischen (behandelnden) Prozess und auf den grundsätzlichen Umgang miteinander - also des Patienten mit seinem behandelnden Arzt und umgekehrt.
Motiv
Ich will zunächst einmal nur für den hausärztlichen Bereich schreiben. Das ist mein Metier, da kenne ich mich aus. Ich bin in den allermeisten Krankheitsfällen viel länger Hausarzt als der Patient, der mir gegenübersitzt, Patient. Ich halte die hausärztliche Versorgung einerseits für extrem wichtig, um eine humane Patientenversorgung zu gewährleisten, andererseits halte ich sie für bedroht. Diese Bedrohung naht von mehreren Seiten und hat im Grunde nicht viel mit Geld zu tun. Das Thema Geld in den Medien lenkt von den wirklichen Problemen häufig ab und ist getragen von Lobbyismus, also von Interessen verschiedener Gruppierungen.
Meine Sorge um das Verhältnis Patient-Hausarzt kann als relativ uneigennützig betrachtet werden, da meine restliche Lebens-Arbeitszeit nicht gravierend betroffen sein wird. Meine Sorge gilt im Wesentlichen den Patienten.
Neue Zeiten
Das Verhältnis Patient-Hausarzt besteht aus drei Variablen, das heißt aus drei veränderbaren Einflussgrößen. Drei Dinge, die sich verändern können und die sich verändert haben. Es ist ganz einfach, die drei Variablen sind: der Patient, der Hausarzt und das Verhältnis beider zueinander.
Der Hausarzt
Manchmal seufzen Patienten gern, dass es den Hausarzt früherer Tage nicht mehr gibt. Ein Hausarzt vom alten Schlag hatte Zeit für seine Patienten, kam zum Hausbesuch und war jederzeit erreichbar, ob Tag oder Nacht oder am Wochenende. Ganz selten war er mal kurz im Urlaub. So war es, kein Zweifel. Der Hausarzt unserer Tage leidet unter Zeitdruck, will Geld verdienen, hat Familie, deren Wachsen er miterleben will, er hat Hobbys und er verreist gern.
Der Patient
Den seufzenden Patienten antworte ich gern ebenfalls mit einem Seufzer. Ich entgegne ihnen mit gespielter Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die ich selbst nicht mehr kennengelernt habe: Der Patienten früherer Tage war anspruchslos, dankbar, treu, fügsam und selten.
Zwei Variablen also, die sich beträchtlich geändert haben. Der Prozess der Veränderung von Patient und Arzt ist zwar nicht abgeschlossen, aber in der Gegenwart angekommen.
Das Verhältnis zueinander
Im Fluss ist vor allem das Verhältnis von Patient und Hausarzt zueinander. Es ist keineswegs im Hier und Jetzt angekommen und noch auf der Suche nach dem richtigen Weg und nach dem Ziel. Diese Suche betrifft vor allem Dinge, die ich oben erwähnt habe, wie Recht und Pflicht auf Information und Mitbestimmung, sowie den richtigen Umgang miteinander.
Facharzt-Hausarzt
Meines Erachtens gibt es bezüglich aller drei Variablen Unterschiede, wenn wir den Beruf des Hausarztes durch den des Facharztes ersetzen. Der Patient ist dann ein anderer, der Facharzt und eben auch beider Verhältnis zueinander. Das werde ich später erklären.
Im nächsten Teil dieser Serie geht es weiter mit der Frage Wer braucht wen?

Was macht eigentlich Hausarzt Dr. Kunze?

Die regelmäßigen Besucher meines Blogs haben den Alltag von Hausarzt Dr. med. Anselm Kunze über zwei Jahre in 24 Kolumnen verfolgt. Nicht zuletzt diesen Geschichten verdankt www.der-andere-hausarzt.de steigende Beliebtheit. Eine „Außenstelle“ bei www.DocCheck.com/de wurde eingerichtet und eine direkte Zusammenarbeit und Verlinkung mit www.imedo.de aktiviert. Beides große Internet-Gemeinden, die sich mit dem weiten Feld der Medizin beschäftigen und wo es sich lohnt zu stöbern.
Dieser mutmachende Erfolg war der Grund, die Kolumnen um Hausarzt Dr. Kunze in einer Taschenbuchausgabe zu veröffentlichen. Das Buch erscheint am 12. November 2010 und ist bereits jetzt unter www.lebenundschreiben.de zum Vorzugspreis zu bestellen.
Wie geht es weiter mit den Kolumnen?
Hausarzt Dr. Kunze arbeitet zur Zeit noch täglich in seiner Praxis. Assistenzarzt Dr. Carsten Limmer geht ihm zur Hand. Etliche Patienten haben den jungen Arzt positiv angenommen, so dass Anselm Kunze sich zwei freie Nachmittage in der Woche gönnen kann. Darüber hinaus ist Dr. Limmer bereit, selbstverständlich gegen entsprechendes Honorar, die Notdienste seines Chefs zu übernehmen. Diese Erleichterungen führen dazu, dass Hausarzt Dr. Kunze vorläufig nicht ans Aufhören denkt.
Ich könnte mir vorstellen, dass Sie, lieber Leser und ich, Anselm Kunze zu Weihnachten einmal besuchen. Und warum sollten wir danach nicht in lockeren Abständen immer mal wieder einen Blick in seine Praxis werfen?

Vernunft in der Medizin – Am Beispiel des künstlichen Kniegelenks 6/Ende

Schlussbemerkung
Wenn tatsächlich die Frage Was brauche ich wirklich?, die mindestens seit den siebziger Jahren gewachsene Frage Was steht mir zu? ablöste, käme das einer Revolution von unten gleich. Selbstverständlich kann eine solche Neuordnung des Anspruches an die Medizin nicht die Probleme des Volksgesundheitswesen lösen. Der Anteil der Vernunft bliebe viel zu gering. Andererseits, wenn man bedenkt, das jedes Jahr Millionen von Patienten-Arzt-Kontakten in Deutschland stattfinden, würde nur ein ein-prozentiger Vernunftsanteil, viele tausend Gespräche bestimmen.
Vernunft ist kein Fachgebiet
Im Übrigen bin ich nicht der Meinung, dass Vernunft besondere Intelligenz und Wissen voraussetzt. Man lese doch nur die Artikelreihe Der lange Weg eines Nierensteins. Wie viel Unvernünftiges geschieht da auf Seiten der Ärzte und der Krankenhausorganisation. Der einzig vernünftige Entschluss, war der des Patienten, zu sagen, ich habe die Nase voll von der Medizin, ich lasse vorläufig gar nichts mehr mit mir machen. Dieses Fazit war wahrhaftig nicht von Sachverstand gestört.
Patient und Arzt müssen Vernunft üben
Ich glaube, dass Vernunft trainiert werden muss, wie alles andere, was man können will. Es fängt damit an, dass man Vernunft, Augenmaß, klaren Menschenverstand erst einmal wieder ins Kalkül zieht, diese Dinge überhaupt für wichtig hält. Zunächst einmal für sich selbst. Ein gutes Übungsgelände wäre das Patienten-Hausarzt-Verhältnis.
Zugegeben, Ärzte (im Allgemeinen) haben jahrzehntelang, jahrhundertelang nichts anderes trainiert als die Unumstößlichkeit ihrer Meinung und Aussagen, wenn es um den Patienten und seine Krankheiten geht. Auch Ärzte werden üben müssen.
Umgekehrt hat der Patient (im Allgemeinen) seit Jahrzehnten nichts anderes mehr im Sinn, als einen Gegenwert für seinen Kassenbeitrag zu bekommen. Wenn es heißt, heutzutage muss man alles selbst bezahlen, wozu zahlt man eigentlich Krankenkassenbeiträge, sträuben sich mir die Nackenhaare, denn
1. kann ein einziger Krankenhausaufenthalt im Leben reichen, um all die jemals eingezahlten Beträge weit zu übersteigen
2. herrscht im gesetzlichen Krankenversicherungswesen das Prinzip der Solidargemeinschaft
Geld ist nicht das zentrale Thema
Ich bin weit davon entfernt ein Kuschelfreund der Krankenkassen, des Gesundheitsministerium oder der ärztlichen Standesvertretung zu sein, aber dass ein Kranker in Deutschland nicht versorgt ist, ist einfach nicht wahr. Er ist nicht mehr rundum versorgt, aber wenn beispielsweise ein Multiple-Sklerose-Patient jeden Tag eine Interferon-Spritze benötigt, können Kosten im Jahr bis zu 20.000 Euro zustande kommen. Sie werden bezahlt. Jemand, der gesund ist hat natürlich nichts davon. Wünschen wir ihm, dass diese Spritzen nie braucht.
Darüber hinaus wird soviel Unsinn von den Krankenkassen übernommen, dass es für eine ein Jahr lang andauernde Artikelreihe reichen würde, wenn ich damit anfangen würde. Einen kleinen Abriss davon wird es sicher eines Tages auf diesem Blog geben.
Fazit
Ein gutes Patienten-Hausarzt-Verhältnis ist geeignet, Vernunft in der Medizin zu fördern und durchzusetzen. Allerdings wird dieses Verhältnis durch die Politik torpediert. Aut-idem-Regelung, Praxisgebühr als Inkasso durch die Hausärzte, Medikamentenregresse, Regresse in der Physikalischen Therapie, all diese Dinge und mehr sind ein beredtes Beispiel dafür, wie der Kampf in der Medizin auf die unterste Ebene verschoben wird.
Wir Hausärzte sollten uns das nicht gefallen lassen und erst recht nicht die Patienten. Dabei geht es mir nicht primär um Geld, sondern um die Basis für vertrauensvolles Miteinander. Für die Politik wäre es ein wundervolles Resultat, wenn sich Patienten und Ärzte im Gegeneinander zerfleischen.

Vernunft in der Medizin – Am Beispiel des künstlichen Kniegelenks 5

Früher war nicht alles besser
Aber früher hat mein chirurgischer Chef zum Patienten gesagt, in Ordnung die Hüfte operiere ich, aber nehmen Sie erstmal 15kg ab, dann heilt das künstliche Gelenk besser ein und hält länger.
Früher konnte man so etwas noch sagen, da hatten wir Ärzte kaum Konkurrenz, bezahlt wurde nicht nach Leistung, sondern das, was nötig war. Ärzte hatten noch eine gewisse Macht über den Patienten.
Nun kann man Konkurrenzlosigkeit, fehlendes Leistungsprinzip und göttliches Weiß nicht gerade als erstrebenswerten Leitfaden des modernen Lebens bezeichnen. Trotzdem führten diese Dinge manchmal zu besseren Entscheidungen, weil die Vernunft eine Chance hatte und der Konkurrenzdruck fehlte.
Im Großen wie im Kleinen
Es ist wie in der Politik. Die Demokratie läuft sich tot, wenn vor lauter Mitbestimmung und Marktwirtschaft keine Entscheidungen getroffen werden, die vernünftig sind. Der alte Herberger-Spruch, nach dem Spiel ist vor dem Spiel, gilt für die Politik gleichermaßen: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Und für die Medizin erst recht: Nach der Therapie ist vor der Therapie. Ein künstlich ersetztes Knie bedeutet Arbeit und Arbeit bedeutet Verdienst und nach der KNEP rechts ist vor der KNEP auf der linken Seite.
In der Politik ist vielen inzwischen klar, dass die Demokratie keine optimale Staatsform mehr ist. Das Problem ist nur: Es gibt keinen neuen Gedanken, keine tragbaren neuen Theorien, nur die berechtigte Angst vor der Diktatur
In der Medizin ist es ähnlich. Alle wissen, dass es so nicht mehr funktioniert, aber keiner weiß, wie es anders/besser geht. Und wenn es jemand wüsste, müsste er Angst haben, viel zu vielen Leuten, die bald schon wieder Wähler/Patienten sind, auf die Füße zu treten.
Der Patient ist der König (und der “Untertan”)
Sagen Sie heute mal jemandem: Klar, pflanze ich Ihnen ein neues Kniegelenk ein. Wir treffen uns in einem halben Jahr wieder. Sie sind dann 15 kg leichter und haben sechs Monate Muskeltraining hinter sich.
Von diesem Patienten können Sie sich auch gleich auf Nimmerwiedersehen verabschieden, und das hat nichts mit Diskriminierung von Übergewichtigen zu tun, sondern einfach mit Vernunft. Man muss den künstlichen Gelenken auch eine Chance geben, ordentlich einzuheilen und dauerhaft schmerzfrei zu halten.
Kürzlich sprach ich einen Patienten nach Monaten wieder. Ich glaubte ihn verloren, weil ich ihm reinen Wein eingeschenkt hatte. Ich hatte die Geduld verloren. Sein Knie, sein Knie, sein Knie. Medikamente, Krankengymnastik, Arbeitsunfähigkeitszeiten, Injektionen, Kur, Minimal-OP und schließlich der Plan einer Teilprothese des Kniegelenks, alles das lag hinter bzw. noch vor ihm. Ein ordentliches Programm, gänzlich ohne Eigenleistung. Er gab sogar zu faul zu sein. Muskeltraining und Gewichtsabnahme ständen nicht in seinem Lebensplan, so seine Worte. Dabei kannte ich ihn noch schlank und sportlich. Ich hatte mir meinen ärztlichen Frust von der Seele geredet. Aber ich hatte mich getäuscht. Der Patient hatte nicht seinen Hausarzt gewechselt. Er wollte erst die 20kg Gewicht runter haben, die ich von ihm verlangt hatte, bevor er wieder bei mir erschien. Jetzt saß er Monate später vor mir und stellte erstaunt fest: Ich wusste gar nicht mehr, wie leicht es ist, eine Treppe hinaufzukommen. Auf eine Knie-OP verzichte ich erst einmal.
Manchmal, ganz selten, ist es so einfach.
Der Zurückhaltende ist nicht der Dumme
Wir können weder in der Politik noch in der Medizin auf politische Heilsbringer warten oder auf die zündende Idee eines Denkers. Das kann dauern. Es bleibt die Möglichkeit, sich selbst um den eigenen Bereich zu kümmern, heißt - selbst anfangen. Sprich: Wem die Pläne um den Stuttgarter Bahnhof nicht passen, der soll auf die Straße gehen. Wem die nonchalante Verlängerung von AKW-Laufzeiten gegen den Strich geht, der muss protestieren. Es ist ja nicht so, dass solche Proteste nichts bewirken, denn wie heißt es weiter oben noch - nach der Wahl ist vor der Wahl.
Im Falle des Gesundheitswesens bedeutet es meiner Meinung nach, dass der Patient neu denken lernen muss, vielleicht im Duett mit dem Hausarzt.
Nun kann ein Patient nicht einfach nur Vernunft walten lassen, weil Fachverstand in vielen Fällen unverzichtbar ist. Er kann auch nicht Richard von Weizsäcker oder Helmut Schmidt fragen, was die machen würden. Das sind zwar kluge Köpfe, aber in Sachen Gesundheit wäre Helmut Schmidt die denkbar falscheste Person, die man fragen kann.
Aber wie wäre es, wenn der Patient die heutzutage wichtigste Patientenfrage der modernen Medizin ins Gegenteil verkehrte.
Die Frage lautet bis heute:
Was steht mir mir zu?
Die neue Frage sollte lauten:
Was brauche ich wirklich?
Erst heute sprach ich jemanden in der Sprechstunde, dessen behandelnder Zahnarzt, Teilhaber einer Super-Ober-Bestens-Versorger-Höchstprivat-Zahnklink, hat ihm das Einsetzen von 8 künstlichen Wurzelimplantaten empfohlen. Acht! Allein für den Oberkiefer. Ein 65-jähriger Mann. Kostenvoranschlag von 30.000 Euro. Kein Problem, privat versichert mit 100%-iger Zahnversorgung. Ich habe wenig Ahnung von Implantologie, aber das hört sich gar nicht gut an. Dazu die Vollversicherung. Einer Be(Miss)handlung sind damit Tür und Tor geöffnet.
Aber der Mann besitzt gottlob Vernunft. Obwohl er sich finanziell nicht darum kümmern müsste, lässt er die Angelegenheit gegenchecken. Darin konnte ich ihn nur bestärken.
Lesen Sie weiter im letzten Teil dieser Reihe

Vernunft in der Medizin – Am Beispiel des künstlichen Kniegelenks 4

Vernunft und Gefühl versus Sachverstand
Viele Dinge in der Medizin sind auch ganz ohne medizinischen Sachverstand beurteilbar. Im Gegenteil, manchmal stört der Sachverstand sogar.
Stellen Sie sich mal einen aufgemotzten Riesen-Jeep vor, von der Art, wie sie heutzutage immer häufiger durch die Straßen fahren, damit sie im Gelände nicht schmutzig werden. Sie sagen, Sie sind kein Auto-Spezialist? Spielt keine Rolle. Bin ich auch nicht. Laienverstand ist gefragt.
Ein artfremdes Beispiel
Der Jeep, den Sie sich vorstellen sollen, ist nicht mehr der Neueste. Er ist prima durch die neunziger Jahre gekommen und braucht neue Stoßdämpfer. Der Kunde geht zu einem Autoteile-Verkäufer und landet, ohne es zu wissen, bei jemandem, der nur Sportwagen-Teile verkauft.
Der Händler, zuletzt nicht mehr richtig in der Gewinnzone, fragt nach dem Wunsch. Hört sich die Probleme des Jeepfahrers an und antwortet, da hätte er etwas Tolles, sportlich, absolut modern, vergleichsweise preiswert und nahezu mit allen Fahrzeugtypen kompatibel.
Die neuen Stoßdämpfer sehen super aus, der Preis ist tatsächlich annehmbar, allerdings fragt sich der Kunde, ob die wirklich in seinen alten Riesen-Jeep passen. Jawoll, sagt der Porscheteile-Händler und will sie auch gleich einbauen. Hände werden geschüttelt und die Sache läuft.
Was passiert, ist vorhersehbar. Der Jeep liegt irgendwie nicht vernünftig auf der Straße und nach kurzer Zeit sind die Stoßdämpfer hin.
Das Fazit: Das hätte man wissen können.
Zurück zum realen Knie-Patienten: Der hat seit Jahren Schmerzen im Knie und geht zum Orthopäden. Der Orthopäde ist Kniespezialist und wie es der Zufall will, er operiert auch selbst. Er röntgt, schickt in die Röhre und untersucht vielleicht sogar mit Hand und Auge. Er kommt zu dem Schluss: Der Patient braucht ein neues Kniegelenk. So eine große Sache ist das nun heutzutage auch nicht mehr. Stimmt. Eine große Sache ist das nicht mehr, aber immerhin noch eine Sache.
Der Patient geht zum Hausarzt, weil er auf OP-Fähigkeit untersucht werden muss. Der Hausarzt fragt (wenn er gut ist), warum. Der Patient erzählt ihm die Geschichte. Der Hausarzt hakt ein (wenn er gut ist), haben Sie sich das auch gut überlegt.
Antwort: „Ja. Die Sache ist in trockenen Tüchern. In drei Wochen geht‘s los. Der Orthopäde hat gesagt, es geht nicht anders.“
Bislang ging es anders, wenn auch mit Schmerzmitteln, Einreibungen, Wärme- oder Kältebehandlungen. Aber der Patient ist diese Dinge leid, er will nicht mehr soviel schlucken.
Zurück zum Vergleich mit dem Auto
Zugegeben der Orthopäde ist kein Autoteileverkäufer, aber er ist auch kein Diabetologe, kein Pulmologe, kein Neurologe und kein Hausarzt. Will heißen, ein Orthopäde guckt zunächst einmal geradeaus auf seine Möglichkeiten und, so ist es nunmal heutzutage, mit einem Seitenblick auch auf sein Auskommen. Ob er noch rechts zur Zuckerkrankheit und links zur chronischen Bronchitis oder ganz rechts zum chronischen Schmerzsyndrom und ganz links zur Bequemlichkeit, zum Alter, zum Gewicht des Patienten blickt, ist mehr als fraglich.
Sei‘s drum, die Entscheidung ist gefallen. Der Hausarzt hat an dieser Stelle kaum noch eine Chance. Manchmal nutze ich meine geringen Möglichkeiten und ganz selten stimme ich auch mal einen Patienten um, wenn ich einen operativen Eingriff für groben Unfug halte, wie in dem vorliegenden Fall:
Der Patient, 82 Jahre alt, Diabetiker mit allen Problemen, dazu COPD-Kranker (chronische Bronchitis) mit chronischem Rückenschmerz und starkem Übergewicht (mindestens 20kg) wird operiert. Übrigens hat er schon ein künstliches Hüftgelenk, mit dem er überhaupt nicht klar kommt.
Die abschließende Frage, ganz ohne medizinischen Sachverstand:
Klingt dieser Fall vernünftig?
Lesen Sie weiter im nächsten Artikel dieser Reihe