Preiskontrolle im ethischen Konflikt

Arzneimittelpreise – an dem derzeit wichtigsten gesundheitspolitischem Thema kommt auch das ZDF-Magazin Friontal21 nicht vorbei und zeigte in der Sendung am Dienstag ein vermeintlich besonder schlimmen Fall für die Abzocke der Pharmakonzerne. Der alte Wirkstoff Thalidomid, bekannt als Contergan®, wird vom Pharmaunternehmen Celgene für einen horrenden Preis zur Therapie des multiplen Myeloms verkauft.

Ein Beispiel, dass unglücklich gewählt wurde und nur mit Gewohnheit zu erklären ist. Schon 2006 hatte Frontal21 Celgene und Thalidomid bzw. Revlimid® (Wirkstoff Lenalidomid) bei überhöhten Preisen ins Visier genommen.

Bei der Preistreiberei, die Gesundheitsminister Rösler eindämmen will, geht es um patentgeschützte Wirkstoffe. Das Patent für Thalidomid ist vor Jahrzehnten ausgelaufen. Wie kann Celegne damit ein Preismonopol begründen? Diese Erklärung bleibt der TV-Beitrag schuldig und wird hier nachgereicht, weil es die Komplexität des Themas zeigt.

Das Unternehmen Pharmion hatte bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA eine Zulassung zur Behandlung des Multiplen Myeloms als Orphan Drug beantragt. Mit dem Status “Orphan Drug” zur Behandlung von seltenen Krankheiten, sind exklusive Vermarktungsrechte für das ausgewiesene therapeutische Anwendungsgebiet über einen Zeitraum von maximal zehn Jahren verbunden. Ausserdem wird das Unternehmen von Gebühren der EMEA, z.B. für die Beratung bei der Entwicklung und für die Bearbeitung von Zulassungs- und Änderungsanträgen, befreit

Der Pharmakonzern Celgene kaufte das Unternehmen Pharmion 2007 für 2,9 Milliarden Dollar und kam damit wieder in Besitz der Vermarktungsrechte, die vorher Celegne an Pharmunion weitergegeben hatte. Celgene vermarktet bereits Lenalidomid (Revlimid®), ein dem Thalidomid verwandten Wirkstoff, als Orphan Drug zur Behandlung des Multiplen Myeloms. Darüber hinaus hat Celgene mit Actimid™ ein weiteres Thalidomid-Analogpräparat in der Entwicklungs-Pipeline.

Bei Orphan drugs ist am Ende des fünften Jahres eine Überprüfung der Fördervoraussetzungen vorgesehen. Das Exklusivrecht erlischt, wenn ein anderer Anbieter innerhalb der 10-Jahres-Frist nachweisen kann, dass sein Präparat “sicherer, wirksamer oder unter anderen Aspekten klinisch überlegen ist”. Rechtzeitig vor Ablauf der 5-jährigen Überprüfungsfrist für Lenalidomid hatte sich Celgene durch die Übernahme von Pharmion einen neuen Umsatzbringer gesichert.

Wenn Frontal21 damit die Notwendigkeit von Preisverhandlungen zeigen wollte, ging das gründlich schief.

In diesem Fall kommen mehrere Dinge zusammen. Zum einen die Förderung der Entwicklung von Medikamenten für seltene Erkrankungen. Mit der Exklusivität soll Pharmauunternehmen ein wirtschaftlicher Anreiz gegeben werden, die auch für eine kleine Zahl von betroffenen Patienten neue Medikamente zu entwickeln. In Deutschland sind durch die bisher freie Preissetzung und generellen Erstattung mit dem Orphan Drug Status keine besonderen Vorteile verbunden. Andere Länder, in denen Kosten-Nutzen-Bewertungen, Verhandlungen oder Festsetzungen den Preis und die Erstattung bestimmen, sehen Ausnahmen für Oprhan Drug Medikamente vor. Falls die Pläne der Bundesregierung umgesetzt werden, müssten sich Politik und Krankenkassen in Deutschland Gedanken machen, wie sie mit Orphan Drugs umgehen. Es ist widersinnig, den Zulassungsprozess für Orphan drugs zu erleichtern, wenn in einem zweiten Schritt die Erstattung an dem zu hohen geforderten Preis scheitert.

Methodisch ist eine Bewertung von Orphan Drugs schwierig. Daher sind Arzneimittel, für die eine Kosten-Nutzen-Bewertung nur im Vergleich zur Nichtbehandlung erstellt werden kann, derzeit von einer Bewertung durch das IQWiG ausgenommen. Um es noch eine Schraube weiter zu drehen. Mit Revlimid® gab es vor der Zulassung von Thalidomid schon ein Medikament zur Therapie des multiplen Myeloms. Wenn Thalidomid bessere Ergebnisse bringt, würde eine Kosten-Nutzen-Bewertung sogar theoretisch einen höheren Preis rechtfertigen.

Zum anderen ist es ein Krebsmedikament. Hier wirft eine Nutzenbewertung generell Fragen auf. Von Experten wird eingewandt, dass sich die Bestimmung der Standardtherapie in der Onkologie häufig schwierig gestaltet. Die Therapie muss dem Krankheitsverlauf angepasst und individuell ausgerichtet werden. Bei der Therapie der letzten Wahl werden oft für die Indikation nicht zugelassene Medikamente off-label verwendet.

In der Krebstherapie treffen bei der Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln ethische Aspekte auf finanzielle Grenzen. Ein Randthema? Bei der GEK hatten 2008 gentechnisch hergestellter Arzneien, die etwa bei Krebs eingesetzt werden, bereits einen Anteil von 13% der Arzneimittelausgaben – mit steigender Tendenz.

Ein kleiner Vorgeschmack auf die Diskussionen über die Vorschläge zur Reduzierung der Arzneimittelausgaben über Verhandlungen mit Krankenkassen, Nutzendossiers und Schiedskommissionen, wie es Gesundheitsminister Rösler vorgeschlagen hat. Die Gefahr ist gross, dass es bei der Frage endet, was ein Lebensmonat wert ist. Eine Diskussion, die Rösler auf jeden Fall vermeiden wollte.

USA: Ärzte bekommen Preisschilder

Die US-Gesundheitsreform könnte auch das Aus für die beliebten Pharmakugelschreiber dort markieren. Im verabschiedeten Gesetz findet sich eine Passage zur Offenlegung von Geschenken und Zuwendungen der Pharma- und Medizintechnikunternehmen an Ärzte.

Die Physician Payment Sunshine Provisions, Seiten 1542-1563 des Gesetzes, verpflichten die Unternehmen ab 2012 alle Abgaben, die den Wert von 10 Dollar überschreiten, zu dokumentieren und mit Namensangabe zu veröffentlichen. Wenn der Arzt mehr als 100 Dollar im Jahr von der Firma kassiert hat, müssen sogar jegliche Zuwendungen, bis hin zum Kugelschreiber für wenige Cents, öffentlich gemacht werden.

Angesichts dieses Dokumentationsaufwandes werden die Unternehmen wohl auf Kleinkram wie Kugelschreiber und Post-It-Blöcke verzichten sich auf grössere Dinge konzentrieren, um den Arzt zu motivieren. Ob sich die Ärzte äberhaupt weiterhin gerne beschenken lassen, wenn Patienten die finanziellen Beziehungen zu Pharmaunternehmen im Internet nachlesen können, ist zu bezweifeln. In jedem Fall werden die Ärzte bei der Art der Beziehungen zur Industrie sehr genau auswählen.

Ein weiterer Schritt zur Transparenz, die hierzulande fehlt.

Funstücke der Woche (1)

Die Fundstücke der Woche vom 20.3. – 26.3.2010…
Wissenschaftler aus den USA haben einen Zusammenhang zwischen zu wenig Schlaf und der Menge an viszeralem Fett im Körper entdeckt. Menschen, die nachts durchschnittlich nur auf …

Frühlingserwachen der Zecken-Experten

Der Winter war hart, aber leider nicht hart genug für Zecken.

„Es gibt keine Veranlassung zu glauben, dass die Zecken weniger geworden sind“, erklärte Prof. Jochen Süss vom Friedrich-Loeffler-Institut in Jena.

Ich gebe zu, ein wenig hatte ich das ja schon fast befürchtet.

Hier noch einmal unsere Rückschau auf die vorangegangenen sechs Zeckenwinter aus dem vergangenen Jahr:

2004

Zecken sind auf dem Vormarsch

Gesundheit: Der milde Winter und der feuchte Sommer haben dafür gesorgt, dass die Plagegeister auch im Kreisgebiet vermehrt vorkommen.

2005

Robert-Koch-Institut schlägt Zecken-Alarm

Weil der Winter zu mild war, beginnt die Blutsauger-Plage in diesem Jahr früher

2006

Eis und Schnee lässt Zecken kalt

Der kalte und Schnee reiche Winter in diesem Jahr hat den Zecken nach Einschätzung der Borreliose-Gesellschaft nichts anhaben können. “Zecken überleben auch bei Eis und Frost. Ein Winter wie dieser macht ihnen überhaupt nichts aus”, sagte der Präsident der Gesellschaft, Hartmut Prautzsch, in einem dpa-Gespräch.

2007

Forscher warnen vor Zeckenplage

Der milde Winter mit seinen frühlingshaften Temperaturen kann für die Bundesbürger nach Ansicht von Wissenschaftlern noch unangenehme Folgen haben.

Milder Winter – Zeckenplage droht

Experten raten zur Impfung gegen die Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME). Die durch Zeckenstiche übertragene Virus-Infektion kann zu einer lebensbedrohlichen Hirnhautentzündung führen.

2008

Warmer Winter begünstigt die Zecken

Heuer muss man aufgrund des Wetters wieder mit einer Zeckenplage rechnen. Amtsarzt Klaus Fillafer rät zu einer Schutzimpfung gegen FSME, die gefährliche Hirnhautentzündung.

Warum 2008 wieder mehr Zeckenerkrankungen zu erwarten sind

Da der Herbst 2007 aber kalt und der Winter 2007/2008 kalt genug für die Zecken waren, werden wir 2008 wieder mehr Zecken und in der Folge mehr Zeckenerkrankungen zählen.

2009

Zecken mögen kalte Winter

Bei den Zecken führen kalte Winter sogar eher dazu, dass ihre Zahl steigt.” Denn Schnee und Frost schützen die Zecken in der Phase ihrer Kältestarre. Darüber hinaus können in warmen und feuchten Wintern die Zecken von Pilzen geschädigt werden.

Frostwinter senkt Infektionsgefahr durch Zecken nicht

Der frostige Winter hat nach Ansicht eines Forschers die Infektionsgefahr durch Zecken nicht verringert. Er fordert daher zur Impfung gegen die Viruskrankheit FSME auf, die typischerweise durch die Tiere übertragen wird.

Wie Pharma-PR in die Zeitung kommt: Ein Lehrstück

Es ist davon auszugehen, dass in der PR-Abteilung des Pharmariesen MSD vor gut einer Woche die Korken geknallt haben.

Denn wieder einmal hat es funktioniert. Die Veröffentlichung einer offenkundigen PR-Studie, atemberaubend windig in der Methodik und schon von der Fragestellung her alleine darauf abzielend, die Umsatzzahlen der fragwürdigen und potentiell gesundheitsschädlichen Cholesterinsenker Inegy® und Ezetrol® mit dem Wirkstoff Ezetimib zu steigern, hat in der Fach- und Publikumspresse ein weltweites Echo gefunden. Und wie immer hat kein Journalist auch nur im Ansatz Lunte gerochen. Das Besondere: Dieses Mal kam das PR-Paket “Studie + Expertenstatements” aus Deutschland, von einem alten Bekannten für die Leser dieses Blogs. Der Mann ist uns schon einmal dadurch aufgefallen, dass er bei der Offenlegung seiner vielfältigen finanziellen Verbindungen zur Pharmaindustrie, nun ja, eher wenig Sorgfalt walten lässt. Er enttäuscht uns auch dieses Mal nicht.

Gleich drei Artikel haben es in die Springerpresse geschafft. In der “Welt” reicht Journalist Rolf H. Latoussek die Marketingbotschaft “Nur die Hälfte aller Herzpatienten erhält eine adäquate Behandlung” unter den Überschrift “Schlechte Noten für die Hausärzte” an seine Leser weiter. In der “Berliner Morgenpost” lautet seine Schlagzeile “Viele Hausärzte bei Behandlung von Herzpatienten überfordert”, und im “Hamburger Abendblatt” verkündet er gar: “Schlechte Hausärzte treiben Infarkt-Raten hoch”.

Was die “Studie” über die Qualität der hausärztlichen Versorgung aussagt, vermag ich nicht abschließend zu beurteilen. Man mag sie vielleicht sogar als Hoffnungsschimmer lesen, aber dafür wäre die zugrundeliegende Methodik dann doch zu windig. Ganz sicher belegt der Vorgang jedoch, dass viele Wissenschaftsjournalisten schlechte Noten verdient haben, dass sie bei der Beurteilung von offenkundiger Pharma-PR überfordert sind, dass schlechte Journalisten die Umsatzzahlen der Pharmaindustrie hochtreiben und dass sie dabei ihre Leser zu der Einnahme von Medikamenten verleiten, deren Nutzen nicht belegt ist. Rolf H. Latousseks dreifaches journalistisches Versagen eignet sich hierfür in meinen Augen als Paradebeispiel.

Nun soll zu Latousseks Verteidigung nicht unerwähnt bleiben, dass auch andere Journalisten der “Studie” mehr Aufmerksamkeit gewidmet haben, als sie verdient hat. So verbreitete die Nachrichtenagentur Reuters die Meldung rund um den Planeten (“Doctors fail to cut cholesterol enough”) bis nach Lateinamerika (“Médicos no reducen lo suficiente el colesterol: estudio”), und selbst die ach so vertrauenswürdige alte Dame BBC hob die PR-Geschichte in ihren Online-Auftritt.

Zur Ausgangsposition: Das Kernproblem bei der Vermarktung der Cholesterinsenker Inegy® und Ezetrol® durch MSD (Merck & Co.) und (vor der Fusion) auch das von Essex Pharma (Schering-Plough) war und ist, dass zu keinem Zeitpunkt ein klinischer Nutzen des Präparats gezeigt werden konnte und bis zum Auslaufen der Patente aller Voraussicht nach auch nicht gezeigt werden wird. Das heißt konkret: Der Wirkstoff Ezetimib senkt zwar den LDL-Cholesterinspiegel deutlich, hat jedoch bislang keinen positiven Einfluss auf die Bildung von Ablagerungen in den Gefäßen, auf die Herzinfarktrate oder gar auf die Lebenserwartung gezeigt. Zu allem Überfluss wird er in der öffentlichen Diskussion auch noch mit der unethischen Unterdrückung von negativen Studiendaten durch seine Hersteller und unangenehmen Nebenwirkungen in Verbindung gebracht, zuvorderst einem möglicherweise erhöhten Krebsrisiko.

Die Vermarktungsmaschinerie der Hersteller von Inegy® und Ezetrol® hat naturgemäß von Anfang an auf die ebenso schlichte wie irreführende Botschaft “Weniger Cholesterin – weniger Herzinfarkte” gesetzt. Ein “Expertenpanel”, nahezu vollzählig auf der Payroll der Herstellers der Präparate, setzte schon kurz nach der Markteinführung in den USA eine Verschärfung der Leitlinien durch, forderte also noch niedrigere Cholesterinwerte als je zuvor. Cholesterinwerte, die mit der verbreiteten Medikamentenklasse der Statine in vielen Fällen nicht erreicht werden können. Auch in Deutschland waren die für “Fettstoffwechselstörungen” zuständigen Experten mit bekannt guten Verbindungen zur Industrie unschwer zu überzeugen, dass auch hierzulande eine entsprechende Anpassung der “Zielwerte” vonnöten sei. Die heldenmütigsten professoralen Streiter für das gute und gegen das böse Cholesterin, seit jeher zusammengeschlossen in der “Lipid-Liga”, riefen mit freundlicher Unterstützung von MSD und Essex Pharma zu einer neuen Runde in dem Kampf auf, dem sie ihr wissenschaftliches Dasein verschrieben haben (LDL-unter-hundert.de).

Nach Inkrafttreten der entsprechenden Leitlinien war und ist es von allergrößtem Interesse für MSD und Essex Pharma, dafür zu sorgen, dass diese von der behandelnden Ärzteschaft auch konsequent eingehalten werden. Denn das Erreichen der “Zielwerte” ist in vielen Fällen eben nur mit den hauseigenen Präparaten möglich, und das energische Anstreben der “Zielwerte” in den Industrieländern auf breiter Front wäre damit gleichbedeutend mit Jahresumsätzen für Inegy/Ezetrol im Multi-Milliardenbereich.

Es ist schon einem Pharma-PR-Praktikanten im ersten Praktikumsjahr zuzutrauen, den folgenden Plan zu entwickeln: Wäre es nicht hübsch, eine vermeintliche oder tatsächliche Überschreitung der “Zielwerte” bei den in Behandlung befindlichen Patienten im Rahmen einer “Studie” zu untersuchen, vielleicht gar die mangelnde Kenntnis der lukrativen Leitlinien durch die Ärzteschaft, um die Ergebnisse dieser Studie dann als PR-Munition verwenden zu können?

Und genau das ist der Inhalt der vorliegenden Studie. Stammt die Studie dann also aus dem Dunstkreis von MSD/Essex Pharma, wie ich in Kenntnis der beschriebenen Gefechtslage spontan vermutet habe? In den Medienberichten jedenfalls kein Wort davon. Auch die Studie selbst, die – nicht ganz untypisch für reine Marketing-Publikationen – im Volltext öffentlich verfügbar ist, enthält keine Angaben über ihre Finanzierung. Das spricht zwar deutlich gegen ihre Seriosität, ist aber allenfalls ein Indiz für einen Marketingstunt.

Beruhigend da immerhin der Blick auf das Interessenkonfliktstatement:

Keine Interessenkonflikte in einem Paper, das eine aggressivere Lipidsenkung propagiert. Dann kann die Studie selbst eigentlich nicht von Pharmaunternehmen finanziert sein, und die Autoren scheinen auch sonst nicht im Dienst von Pharmaunternehmen zu stehen. Habe ich mich wohl getäuscht?

Doch der Blick auf die Autorenliste macht stutzig: Da ist also eine Mitarbeiterin von Essex Pharma auf der Autorenliste, eine Frau Brigitte Franzel. Wie kann eine Mitarbeiterin des Herstellers eines Cholesterinsenkers frei von Interessenkonflikten sein, wenn es in einem Paper um die Verschreibungspraxis von Cholesterinsenkern geht?

Dann wäre da noch ein Herr Ulrich Elsasser, der angibt, für die Firma MedPharmTech in München tätig zu sein. Die Firma MedPharmTech ist ein Pharma-Dienstleister, der u.a. wissenschaftliche Publikationen im Auftrag von Pharmaunternehmen verfasst. Auf der Web-Site des Unternehmens heißt es dazu treffend:

Publikationen mehren nicht nur den wissenschaftlichen Ruhm, sie sind auch ein vorzügliches Marketing-Instrument. Mit dieser Visitenkarte Ihrer Forschungs- und Entwicklungsabteilung vermitteln Sie in der Fachwelt Kompetenz und haben gleichzeitig eine überzeugende Argumentationshilfe für Ihren Außendienst geschaffen.

Auch Herr Elsasser gibt erstaunlicherweise keine Interessenkonflikte an.

Und die anderen Autoren? Stammen alle von der Universitätsklinik Lübeck. Offenbar der Chef der Truppe und “Corresponding Author” ist ein Prof. Heribert Schunkert. Auch keine Interessenkonflikte. Dass es sowas noch gibt in der Kardiologie.

Schunkert. Schunkert? Aber kennen wir den Schunkert nicht schon?

In der Tat, der hatte schon einen Auftritt hier im Blog. Er war damals auf dem Höhepunkt des PR-Desasters rund um Ezetrol® und Inegy® mit einer Studie an die Öffentlichkeit gegangen, die ein für allemal und abschließend belegen sollte, dass Cholesterinsenkung vor Herzinfarkt schützt. Auch damals schon hatte er angegeben, frei von Interessenkonflikten zu sein. Und schon damals hatte sich diese Angabe als offenkundig unwahr herausgestellt.

Man muss nicht lange recherchieren, um herauszufinden, dass der Herr Schunkert ein ausgesprochen umtriebiger Redner im Dienst diverser Pharmaunternehmen ist. Ganz besonders eng scheint jedoch seine Verbindung zu MSD / Essex Pharma zu sein.

Schon im Jahre 2008 machte er sich auf Veranstaltungen von MSD und Essex Pharma für die Einhaltung der Cholesterin-Leitlinien stark:

Auch auf andere Veranstaltungen von MSD und Essex Pharma lässt er sich gerne einladen, auch wenn der Nachteil an einem Lunch-Symposium für den Redner darin liegt, dass er das Mittagessen erst hinterher bekommt. Das folgende Beispiel ist ebenfalls aus dem Jahr 2008:

Und im Dezember 2008 hatte er in einer Veröffentlichung eine Interessenkonfliktserklärung abgegeben, die dann doch spürbare finanzielle Verbindungen zu den Herstellern von Cholesterinsenkern erahnen lässt, welche über ein zu lange warmgehaltenes Mittagessen deutlich hinausgehen:

Dr. Schunkert has received lecture fees and is on the advisory board for Merck-Sharp Dohme/Essex, Novartis, Sanofi-Aventis, AstraZeneca, Pfizer, and Nycomed.

Dicke, fette Lügen

Das mit den Ernährungsempfehlungen ist so eine Sache. Einerseits sollen sie den Menschen hier und jetzt eine gesunde Ernährung ermöglichen. Auf der anderen Seite stecken diese Empfehlungen und die, die sie aussprechen, immer auch in dem…

Zitate und das Alzheimer des Internet

Derzeit macht im deutschen Internet ein “Zitat des Jahres 2010” die Runde:

In der heutigen Welt wird fünfmal mehr in Medikamente für die männliche Potenz und Silikon für Frauen investiert als für die Heilung von Alzheimer Patienten.
Daraus folgernd haben wir in ein paar Jahren alte Frauen mit grossen Titten und alte Männer mit hartem Penis, aber keiner von denen kann sich daran erinnern wozu das gut ist.

Als Urheber wird der “Nobelpreisträger für Medizin, Drauzio Varella” angegeben. Ob der brasilianische Arzt dies wirklich gesagt oder geschrieben hat, bleibt unklar. Eines ist sicher, Nobelpreisträger ist er nicht. Drauzio Varella ist eine schillernde und in seinem Heimatland medienpräsente Persönlichkeit. Sein Buch 1999 erschienenes Buch über seine Arbeit als Arzt in einem berüchtigten Gefängnis in Sao Paulo, das auch verfilmt worden ist, hat ihn zu einem gefragten Star und Moderator im brasilianischen Fernsehen gemacht.

Im Original lautet das Zitat:

No mundo actual está se investindo cinco vezes mais em remédios para virilidade masculina e silicone para mulheres do que na cura do mal de Alzheimer. Daqui a alguns anos teremos velhas de seios grandes e velhos de pila dura, mas que não se lembrarão para que servem.

Der frühesten Beleg, den ich finden konnte ist vom 29. September 2008. Also kein “Zitat des Jahres”, sondern ein Meme, das sich seit 1,5 Jahren seinen Weg im Internet bahnt. Das Zitat vereint Pharmakritik, Verschwörungstheorie und Witz, und hat daher das Zeug noch Jahrzehnte immer wieder neu aus dem Untiefen des Netzes wieder empor gespült zu werden.

Fotozubehör statt Pillen

Die Pharmaindustrie reduziert ihren Aussendienst. Sieht aus, als wenn dies die Personaldienstleister zu spüren bekommen, die lange davon profitiert haben, dass in den Unternehmen teure Pharmaberater durch preiswerte und flexible Leihkräfte ersetzt worden sind.

Ein auf Pharma spezialisierter Personaldienstleister beginnt sich zu diversifizieren und sucht statt Pharmaberater nun Aussendienstler für Markenartikel aus dem Bereich Laptop- und Fototaschen.

Verkaufsberater im Aussendienst für Markenartikel aus dem Bereich Laptop- und Fototaschen

AMS steht für moderne Sales Services. Wir suchen für unseren Kunden, einen weltweit führenden Hersteller für Laptop- und Kamerataschen, Stative und Zubehör der Marken […], einen erfahrenen Markenartikelverkäufer für die PLZ-Gebiete 6, sowie teilweise 5 und 3. Sie verfügen […] Sie nutzen Ihre Kundenorientierung, verkäuferisches Talent und eine hands-on-Mentalität, um Ihre Bestandskunden zu betreuen und Neukunden zu gewinnen. Neben dem professionellen Umgang mit den Entscheidern in den Fachmärkten, sind Sie auch ein zuverlässiger Ansprechpartner für die Inhaber von Fotofachgeschäften.

Noch wird keine Umschulung vom Pharmaberater zum Fotozubehörvertreter angeboten.