Gestern erschien auf den Internetseiten der Berliner Morgenpost ein ernüchterndes Interview mit dem Medizinstatistiker Hans-Hermann Dubben. Seine Meinung zu Prostata- und Brustkrebsfrüherkennung: Früherkennung schadet mehr, als sie nützt. Und er hat dafür eindrucksvolle Beweise…
Zum Interview: Ein zweifelhafter Test
Hans-Hermann Dubben ist weiterhin Autor einiger spannender Bücher, die u.a. statistische Tricksereien aufdecken (siehe unten).
Bücher von Hans-Hermann Dubben
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Journalismus auf Österreichisch – eine Fallstudie…
Am 19.1.2009 verbreitete die umtriebige Wiener Werbe- und PR-Agentur “Welldone”, deren Wirken schon mehrfach hier im Blog thematisiert wurde, im Auftrag von AstraZeneca die Einladung zu einer Pressekonferenz. Vorgestellt werden sollte die neue Kampagne “Liebe Dein Leben” – Eine Initiative von AstraZeneca zum Thema Cholesterinsenkung.
Hintergrund der Kampagne ist, dass AstraZeneca die Verschreibungszahlen seines hochpreisigen Cholesterinsenkers Crestor® (Rosuvastatin) in Österreich steigern möchte. AstraZeneca vermarktet das Medikament mit der Hinweis auf die angeblich stärkere Beeinflussung des Surrogatparameters “LDL-Spiegel”. Harte klinische Endpunktstudien, die einen Vorteil gegenüber Simvastatin belegen würden, kann AstraZeneca auch Jahre nach der Markteinführung von Crestor® in den USA, in Österreich und in vielen anderen Ländern noch nicht vorlegen. (In Deutschland ist Crestor®, anders als in Österreich, erst im Januar dieses Jahres auf den Markt gekommen.)
In der Einladung angekündigt wurde das übliche Aufgebot von Professoren und Funktionären, das man auf solchen Anlässen zu treffen gewohnt ist. Überraschend für Kenner der Szene vielleicht nur, dass das Wiener “Institut für Sozialmedizin” im angekündigten Panel nicht vertreten war.
Bild: pressefotos.at/Thomas Preiss
Am Vormittag der großen Pressekonferenz drängen sich rund zwei Dutzend alpenländische Journalistendarsteller mitsamt Fernsehkamera und Radiomikrophon vor den vor selbstloser Sorge um den Cholesterinspiegel ihrer Mitmenschen zerfurchten Expertengesichtern. Die kurze Sorge um die Freundschaft zwischen Welldone und dem “Institut für Sozialmedizin” war natürlich unberechtigt; von dort hat Prof. Anita Rieder den Weg zur Pressekonferenz gefunden.

Bild: pressefotos.at/Thomas Preiss
Gleich nach dem Experten-Gruppenbild mit Dame ist für die Schreiberlinge der gemütliche Teil vorbei. Jetzt muss der von Welldone/AstraZeneca vorgelegte Text rechtzeitig zum Redaktionsschluss in redaktionelle Artikel umgearbeitet werden.

Bild: pressefotos.at/Thomas Preiss
Vier der resultierenden Artikel finden sich online: ORF,
Wiener Zeitung, der Standard und BKF Das Burgenland Fernsehen.
Interessant sind die Angaben der Quellen bzw. Autoren. Der ORF nennt überhaupt keinen Autor. Dafür belässt es der unbekannte Verfasser nicht wie die anderen bei der Wiedergabe des Inhalts der Pressemeldung, sondern zeigt sich besonders eifrig. Wo die anderen Autoren nur pflichtschuldig auf die jährlich 32.000 Herz-Kreislauf-Todesfälle in Österreich hinweisen, die in der Pressemeldung genannt werden, hat der ORF sogar eine “steigende Tendenz” ausgemacht. Das Gegenteil ist der Fall, die Zahlen sind auch in Österreich seit Jahrzehnten stark rückläufig.
Die Wiener Zeitung gibt schüchtern das Kürzel (a.g.) an, möglicherweise Alexandra Grass, deren journalistische Leistungen die Agentur Welldone in ihrer Hauspostille schon in einem lobenden Artikel hervorgehoben hat. Der Standard nennt als Quelle “(APA/red)”, was als Hinweis darauf zu lesen sein könnte, dass die AstraZeneca/Welldone-Pressemeldung, die die Grundlage für den Artikel darstellt, auf dem PR-Portal der Agentur APA publiziert wurde (“Die APA-OTS Originaltext-Service GmbH ist ein Unternehmen der APA – Austria Presse Agentur Gruppe. APA-OTS verbreitet Presseaussendungen im Originalwortlaut unter inhaltlicher Verantwortung des Aussenders.”). Der mit dem Standard-Artikel dem Anschein nach identische Artikel des BKF-Fernsehens dagegen trägt selbstbewusst die Autorenangabe “(Redaktion)”.
In keinem der Artikel findet die Tatsache Erwähnung, dass die vorgestellte Initiative vom Pharmakonzern AstraZeneca ins Leben gerufen wurde und warum. Laut ORF war die Gründung offenbar ein inneres Bedürfnis der Ärzteschaft:
Alle Artikel bringen dennoch erstaunlich präzise das Anliegen von AstraZeneca auf den Punkt: Ärzte sollen mehr teure, “stark wirksame” Statine verschreiben, welche dann auch bitteschön ohne Probleme von den Kassen erstattet werden sollen, damit mehr Menschen die “LDL-Zielwerte” erreichen.
Well done.
—
Update 11.2.:
Der schon am Tag der Pressekonferenz besonders eifrige ORF setzt die Kampagne fort und fabuliert erneut von einer steigenden Tendenz bei den Herz-Kreislauf-Todesfällen. Die Überschrift “Unsichtbare Gefahr Cholesterin” stimmt fast wörtlich mit der Überschrift der Welldone/Astrazeneca-Pressemeldung überein (“Cholesterin: Die unsichtbare Gefahr”).
Werbung für Grippeimpfung fürs Klo
Werbung von Pharmaunternehmen für Schutzimpfungen gibt es nicht nur in
Österreich.
Aktuell lässt bei uns Novartis Behring die Autobahnraststättenklos mit einer Kampagne für die saisonale Grippeimpfung plakatieren.

Die normale Grippewelle ist durch die Schlagzeilen um die Schweinegrippe medial in den Hintergrund gedrängt worden. Dabei liefert Novartis als erster Hersteller schon seit 4 Wochen den entsprechenden Impfstoff aus. Während Österreich für von Gebietskörperschaften durchgeführte oder unterstützte Impfkampagnen eine Ausnahme vom Werbeverbot macht, fällt die Novartis-Aktion hierzulande in die Grauzone der Pharmawerbung. Zwar wird der Impfstoff nicht genannt, aber als einziger Anbieter zum Start der Kampagne, gilt das Interesse von Novartis nicht alleine der Volksgesundheit.
Warum die Zielgruppe Senioren? Der MF59-adjuvierte Grippeimpfstoff von Novartis ist in der EU bisher nur zur Anwendung bei Menschen ab 65 Jahren zugelassen. Ältere Männer müssen öfter mal auf der Autobahn rechts raus?
Frage (Update 8)
Bin ich der einzige, der die gestrige ARD-Dokumentation über die von der bösen Pharmaindustrie seit 20 Jahren verhinderte rosafarbene Vitamin-B12-Salbe namens “Regividerm”, die Neurodermitis zu “heilen” in der Lage ist, spontan für einen aberwitzigen PR-Stunt erster Güte hält?
Hier der Link zur Sendung.
Die Süddeutsche Zeitung glaubt die Geschichte.
Fefe, unumstrittener Experte für Verschwörungen jeglicher Art, glaubt sie auch.
Die Home-Page des Herstellers: www.regividerm.de
Wir haben uns deshalb gegen alle Widerstände entschlossen, Regividerm® Salbe selbst zu produzieren und hoffen, damit schon bald den Betroffenen der großen Zivilisationskrankheiten Neurodermitis und Psoriasis (Schuppenflechte) wirksam und nebenwirkungsarm helfen zu können!
Update: Mehr über die Hintergründe gibt es in einem gut 5 Jahre alten Artikel der Boocompany.
Update 2: Vielleicht fehlt ja dem Autor auch ein wenig Abstand zu seiner Geschichte:

Update 3: Martens’ Rezeptbuch zur Doku erreicht Platz 5 der Amazon-Bestsellerliste.

Update 4, 14:30: Platz 3. Herta Müller ist gepackt. Da geht noch was.

Update 5, 17:45: Wer das Rezeptbuch noch nicht bestellt hat, kann sich auch gleich die fertig zusammengerührte Wundersalbe holen. Das ging ja dann doch erstaunlich fix, wenn man das resignierte Gejammer im Film noch vor Augen hat.

Update 6. 18:05: Die Süddeutsche Zeitung bringt einen weiteren Artikel und hat noch nicht Lunte gerochen:
So lange wird er jedenfalls nicht mehr auf Regividerm warten müssen, dem Mann kann geholfen werden. Siehe Update 5.
Update 7: Ich habe ja schon so manche Markteinführung von fragwürdigen Medikamenten und Medizinprodukten verfolgt. Aber diese Geschichte hier hätte man nicht besser inszenieren können. Allein das Timing ist schon ein Meisterstück.
Update 8: Meine absolute Lieblingsstelle im Film ist übrigens ein Zitat von Professor Peter Altmeyer, einem der verantwortlichen Wissenschaftler der beiden bislang bekanntgewordenen Regividerm-Studien (bei ca. 11:25):