Ein Vorteil, den Ärzte in Bezug auf Kooperationen (z. B. in Form von Praxisgemeinschaften oder Gemeinschaftspraxen) sehen, liegt in der Möglichkeit einer flexibleren Zeit- und Arbeitsgestaltung durch abwechselnde Behandlungen der Patienten. So kann ein Arzt in Urlaub gehen oder an einer Fortbildung teilnehmen und weiß, dass die Betreuung seiner Patienten in guten Händen liegt. Arbeiten jedoch in einem Praxisbetrieb Ärzte zusammen, die sehr unterschiedliche Verhaltensweisen bei der Patientenbetreuung haben, so muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Stammpatienten, die von den jeweiligen Medizinern betreut werden, immer streng getrennt bleiben. Wird diese Vorkehrung nicht getroffen und werden Patienten nicht explizit darauf hingewiesen, dass an dem vereinbarten Termin „ihr“ Arzt vertreten wird, kommt es häufig zu einem Absinken der Patienten-Gesamtzufriedenheit. Sie entsteht durch die Enttäuschung der Patienten, nicht von ihrem bekannten Arzt behandelt zu werden, verbunden mit dem Zwang, sich auf eine neue Situation einstellen zu müssen. Ist ein Arzt z. B. sehr empathisch, sein Kollege jedoch eher sachlich orientiert (oder auch umgekehrt), führt ein Austausch – und sei er auch nur Urlaubs-bedingt – zu einer „Disruption of patient satisfaction“. Viele Ärzte sehen leider diese Gefahr nicht, da sie ihre Kollegen nach fachlichen Aspekten, nicht nach der Art ihres Patientenumgangs beurteilen. Das Disruption-Phänomen tritt auch bei einem nur einmaligen Behandler-Wechsel auf. Zwar bringen Patienten nach wie ihrem “alten” Arzt das gleiche Vertrauen entgegen, die Einstellung zur Praxis gesamt hat sich jedoch bereits tendenziell negativ verändert.
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Verheugen sollte Zuständigkeiten für Gesundheit…
Der Pharmaindustrie-freundliche Kurs von EU-Kommissar Günter Verheugen hat grundsätzliche Fragen zur Verteilung der Zuständigkeiten in der EU-Kommission aufgeworfen. Europäische Verbände aus dem Gesundheitswesen fordern die EU-Kommission auf, eine Neuverteilung der Kompetenzen in Bezug auf politische Massnahmen zur Arzneimittelsicherheit und zur Patienteninformationen vorzunehmen. Statt des EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie solle die EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou für diese Bereiche verantwortlich sein – eine vehemente Gegnerin von Verheugens Plänen.
Verheugen hatte mit seinen Vorlagen zur Aufweichung des Werbeverbots für Arzneimittel und der Massnahmen zur Einschränkung der Parallelimporte von Medikamenten eine Welle der Kritik
ausgelöst, die von Patientenverbänden über Ärzteorganisationen bis zu nationalen Regierungen reichte.
+/- Gesundheitsfonds
Gestern brachte das TV-Magazin Plusminus einen Beitrag über einen abtrusen Kodier- bzw. Software-Fehler. Patienten, bei denen eine Makuladegeneration beim Augenarzt diagnostiziert worden war, sind zu HIV-Patienten gemacht worden.
Über die Folgen wird nun gestritten. Auch ein Beispiel für die mangelnde Qualität des Medizinjournalismus in Deutschland. Der MDR, der als ARD-Anstalt den Beitrag verantwortete, fand einen Professor, der von 10 Milliarden Schaden zu Lasten der Versicherten sprach, weil die künstlich erzeugten teureren Patienten den Kassen mehr Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds brächten. Der Professor wird als “Gesundheitsexperte” vorgestellt, auf der Internetseite als “Gesundheitsökonom”. Bei genaueren Hinsehen, ist der FH-Professor eigentlich Experte für Sozialpolitik und beschäftigt sich mit Themen wie Zivildienst, freie Wohlfahrtspflege oder Kindertageseinrichtungen.
Ungewohnt scharf reagiert das Bundesversicherungsamt, dem der MDR Untätigkeit vorgeworfen hatte.
Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich beziehungsweise die jeweilige Diagnose entscheide nur darüber, wie hoch der Anteil einer Kasse an der Gesamtsumme ist.
Wenigstens hat der Chef der Aufsichtsbehörde den Gesundheitsfonds verstanden. Wie wäre es, Herr Hecken, Journalisten Fortbildungsveranstaltungen zum Gesundheitsfonds und zum deutschen Gesundheitssystem anzubieten?
Der Diagnosefehler bleibt dennoch ein tolles Stück aus dem deutschen Gesundheitswesen und lässt auf weitere Höhepunkte nach der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte hoffen. Oder auch nicht, wenn die Journalisten weiterhin die Komplexität nur ansatzweise erfassen.
Preiskontrolle im ethischen Konflikt
Arzneimittelpreise – an dem derzeit wichtigsten gesundheitspolitischem Thema kommt auch das ZDF-Magazin Friontal21 nicht vorbei und zeigte in der Sendung am Dienstag ein vermeintlich besonder schlimmen Fall für die Abzocke der Pharmakonzerne. Der alte Wirkstoff Thalidomid, bekannt als Contergan®, wird vom Pharmaunternehmen Celgene für einen horrenden Preis zur Therapie des multiplen Myeloms verkauft.
Ein Beispiel, dass unglücklich gewählt wurde und nur mit Gewohnheit zu erklären ist. Schon 2006 hatte Frontal21 Celgene und Thalidomid bzw. Revlimid® (Wirkstoff Lenalidomid) bei überhöhten Preisen ins Visier
genommen.
Bei der Preistreiberei, die Gesundheitsminister Rösler eindämmen will, geht es um patentgeschützte Wirkstoffe. Das Patent für Thalidomid ist vor Jahrzehnten ausgelaufen. Wie kann Celegne damit ein Preismonopol begründen? Diese Erklärung bleibt der TV-Beitrag schuldig und wird hier
nachgereicht, weil es die Komplexität des Themas zeigt.
Das Unternehmen Pharmion hatte bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA eine Zulassung zur Behandlung des Multiplen Myeloms als Orphan Drug beantragt. Mit dem Status “Orphan Drug” zur Behandlung von seltenen Krankheiten, sind exklusive Vermarktungsrechte für das ausgewiesene therapeutische Anwendungsgebiet über einen Zeitraum von maximal zehn Jahren verbunden. Ausserdem wird das Unternehmen von Gebühren der EMEA, z.B. für die Beratung bei der Entwicklung und für die Bearbeitung von Zulassungs- und Änderungsanträgen, befreit
Der Pharmakonzern Celgene kaufte das Unternehmen Pharmion 2007 für 2,9 Milliarden Dollar und kam damit wieder in Besitz der Vermarktungsrechte, die vorher Celegne an Pharmunion weitergegeben hatte. Celgene vermarktet bereits Lenalidomid (Revlimid®), ein dem Thalidomid verwandten Wirkstoff, als Orphan Drug zur Behandlung des Multiplen Myeloms. Darüber hinaus hat Celgene mit Actimid™ ein weiteres Thalidomid-Analogpräparat in der Entwicklungs-Pipeline.
Bei Orphan drugs ist am Ende des fünften Jahres eine Überprüfung der Fördervoraussetzungen vorgesehen. Das Exklusivrecht erlischt, wenn ein anderer Anbieter innerhalb der 10-Jahres-Frist nachweisen kann, dass sein Präparat “sicherer, wirksamer oder unter anderen Aspekten klinisch überlegen ist”. Rechtzeitig vor Ablauf der 5-jährigen Überprüfungsfrist für Lenalidomid hatte sich Celgene durch die Übernahme von Pharmion einen neuen Umsatzbringer gesichert.
Wenn Frontal21 damit die Notwendigkeit von Preisverhandlungen zeigen wollte, ging das gründlich schief.
In diesem Fall kommen mehrere Dinge zusammen. Zum einen die Förderung der Entwicklung von Medikamenten für seltene Erkrankungen. Mit der Exklusivität soll Pharmauunternehmen ein wirtschaftlicher Anreiz gegeben werden, die auch für eine kleine Zahl von betroffenen Patienten neue Medikamente zu entwickeln. In Deutschland sind durch die bisher freie Preissetzung und generellen Erstattung mit dem Orphan Drug Status keine besonderen Vorteile verbunden. Andere Länder, in denen Kosten-Nutzen-Bewertungen, Verhandlungen oder Festsetzungen den Preis und die Erstattung bestimmen, sehen Ausnahmen für Oprhan Drug Medikamente vor. Falls die Pläne der Bundesregierung umgesetzt werden, müssten sich Politik und Krankenkassen in Deutschland Gedanken machen, wie sie mit Orphan Drugs umgehen. Es ist widersinnig, den Zulassungsprozess für Orphan drugs zu erleichtern, wenn in einem zweiten Schritt die Erstattung an dem zu hohen geforderten Preis scheitert.
Methodisch ist eine Bewertung von Orphan Drugs schwierig. Daher sind Arzneimittel, für die eine Kosten-Nutzen-Bewertung nur im Vergleich zur Nichtbehandlung erstellt werden kann, derzeit von einer Bewertung durch das IQWiG ausgenommen. Um es noch eine Schraube weiter zu drehen. Mit Revlimid® gab es vor der Zulassung von Thalidomid schon ein Medikament zur Therapie des multiplen Myeloms. Wenn Thalidomid bessere Ergebnisse bringt, würde eine Kosten-Nutzen-Bewertung sogar theoretisch einen höheren Preis rechtfertigen.
Zum anderen ist es ein Krebsmedikament. Hier wirft eine Nutzenbewertung generell Fragen auf. Von Experten wird eingewandt, dass sich die Bestimmung der Standardtherapie in der Onkologie häufig schwierig gestaltet. Die Therapie muss dem Krankheitsverlauf angepasst und individuell ausgerichtet werden. Bei der Therapie der letzten Wahl werden oft für die Indikation nicht zugelassene Medikamente off-label verwendet.
In der Krebstherapie treffen bei der Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln ethische Aspekte auf finanzielle Grenzen. Ein Randthema? Bei der GEK hatten 2008 gentechnisch hergestellter Arzneien, die etwa bei Krebs eingesetzt werden, bereits einen Anteil von 13% der Arzneimittelausgaben – mit steigender Tendenz.
Ein kleiner Vorgeschmack auf die Diskussionen über die Vorschläge zur Reduzierung der Arzneimittelausgaben über Verhandlungen mit Krankenkassen, Nutzendossiers und Schiedskommissionen, wie es Gesundheitsminister Rösler vorgeschlagen hat. Die Gefahr ist gross, dass es bei der Frage endet, was ein Lebensmonat wert ist. Eine Diskussion, die Rösler auf jeden Fall vermeiden wollte.