Das Herz des Monsieur F.

Monsieur F. lächelt mich freundlich an, als ich ihm einen guten Morgen wünsche und mich danach erkundige, wie es ihm über das Wochenende ergangen ist. Sein Zustand hat sich sichtlich gebessert: Der 71 Jahre alte Patient, 130kg schwer und 1,70m groß, sitzt (zwar angelehnt aber aufrecht) in seinem Sessel, sein Blick ist wach. Letzten Mittwoch lag er in seinem Bett und war so schwach, dass es schwierig war, ihn zu befragen und zu untersuchen. Und noch während ich mit einem Kommilitonen dabei war, ihm arterielles Blut für eine Blutgasanalyse abzunehmen, verschlechterte sich sein Zustand merklich: Marmorierte Haut, Schüttelfrost. Eine kurze Temperaturkontrolle bestätigte: rasch ansteigendes Fieber, binnen zehn Minuten über 38,0 auf 39,9ºC. Mehrere Krankenschwestern kamen herbei, um sich um den Patienten zu kümmern, eine Ärztin wurde herangerufen. Der zu diesem Zeitpunkt schlecht gelaunte und uneinsichtige Patient wollte sich nicht versorgen lassen, wurde unfreundlich dem Pflegepersonal gegenüber und musste schließlich sogar fixiert werden. Wenn es ernst wird, sind wir als Studenten in der Zuschauerrolle, denn meist helfen bereits genug andere, die genauer zu wissen scheinen, was zu tun ist; etwas unangenehm finde ich diese voyeuristische Rolle in so manchen Momenten, gleichzeitig aber sehr wichtig: nach der Approbation werden wir es plötzlich sein, nach denen man rufen wird; da lohnt es sich durchaus, schon während des Studiums genau hinzusehen… Symptomatisch wurde das Fieber des Patienten gesenkt, ihm das Atmen per Sauerstoffmaske und Rückenhochlagerung erleichtert. Und man machte sich auf die Suche für die Gründe des plötzlichen Fieberschubs: Blutentnahme, Röntgenthorax, Urintests.

Besser ist nicht das gleiche wie gut

Am nächsten Tag war es bergauf gegangen, aber gut konnte man den Zustand von Monsieur F. trotzdem nicht nennen. Natürlich, es gab ja auch einen Grund für seinen Krankenhausaufenthalt: Sein Herz macht nicht mehr so mit, wie man sich das wünschen würde, Diagnose Vorhofflattern. In seinen Vorhöfen kreist eine Erregung und obwohl (oder gerade weil) sein Herz im Schnitt 150 mal pro Minute schlägt, ist die Pumpleistung nicht ausreichend.

So hatte sich Wasser in seinen Beinen eingelagert, das Blut staute sich vor dem Herz in seine Halsvenen. Fieber hatte er aber nicht mehr. Camille, die Assistenzärztin, war dennoch unsicher, denn eine Ursache für den plötzlichen Fieberschub war nach wie vor nicht gefunden worden. Ein Röntgenthorax war gestern zwar direkt beauftragt worden, aber noch war nichts passiert. Ob sich die gefaxte Anfrage auf dem Weg verloren hatte? Nicht nur ich kam der Verzweiflung nahe, angesichts der altmodischen Arbeitsabläufe im Krankenhaus; auch die Assistenzärztin erzählte mir, dass sie aus anderen Kliniken an deutlich modernere Standards gewöhnt sei. Da klingelte das Telefon: Das Labor mit den Blutuntersuchungsergebnissen des Vortags. Normalerweise werden diese ins Netz gestellt, es sei denn, es ist dringend. Und das war es in diesem Fall. Eine aufgeregte Labormedizinerin teilte uns mit: schwere Sepsis, Procalcitonin bei 28ng/ml, ein alarmierend hoher Wert!

In Absprache mit der Infektiologie und mit Hilfe des dicken roten Arzneimittelwälzers rechnete ich gemeinsam mit Camille die Medikamentendosierung aus und schon waren Vancomycin und Gentamycin im Tropf des Patienten. Auch die Eintrittspforte der Enterokokken wurde geschlossen: ein infizierter Blasenkatheter und eine kleine Wunde der Harnröhre hatten dem Darmkeim Zugang gewährt, so zumindest die heiße Spur der Ärzte.

Die nächsten Schritte

Heute geht es dem Patienten also besser, die Bakterien in seinem Blut sind erfolgreich bekämpft worden. Die Ärzte möchten allerdings auf jeden Fall eine Endokarditis vermeiden, denn das schwache Herz von Monsieur F. ist für im Blut zirkulierende Bakterien anfällig. Und eine Entzündung würde die ohnehin schon nicht besonders gute Situation des Patienten weiterhin verschlechtern. Gestern haben sich die Mediziner per Ultraschall deshalb schon das Herz ihres Patienten angekuckt und zum Glück keine Entzündung feststellen können. Da die Gefahr dennoch nicht gebannt ist, wurde beschlossen, den Patienten so zu behandeln, als hätte er eine Endokarditis. Die Antibiotikatherapie wird also bis Ende der Woche beibehalten, dann ist eine Kontrolluntersuchung des Herzens per Ultraschall geplant. Bei der hoffentlich wiederum keine Entzündung festgestellt werden wird und nach der in diesem Fall die Antibiotika abgesetzt werden könnten.

Und dann werden sich die Kardiologen hoffentlich endlich dem widmen können, womit sie sich am liebsten beschäftigen: dem Herzen des Patienten. Denn das Voranflattern soll und kann kein Dauerzustand bleiben. Toi, toi, toi.

 

P.S.: Klausurenzeit. Ein Artikel pro Woche. Sonntags. Schönen Tag euch!

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