Visum und Vogelmist

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Abenteuer Auszeit
Das Sabbatical

Worüber ein Mensch sich so freuen kann. Ich beispielsweise gerade darüber, dass ich nach Chile ein- und wieder ausreisen durfte und mir Peru ein weiteres Visum für 90 Tage gewährt hat. Und wohin fährt man von Arequipa aus, wenn man diesen Stempel braucht? Klar nach Tacna und Arica. Die liegen beide in der Nähe der Pazifikküste und mehr oder weniger mitten in der Wüste zugleich. Außerdem erzählen diese beiden Städte die Geschichte des Salpeterkrieges und wie es gelingt, mit Vogelmist ein Vermögen zu machen und auch wieder zu verlieren.

Doch der Reihe nach. Peru gewährt Ausländer einmal ein halbes Jahr des Aufenthalts und dann immer nur drei Monate. Das beschert Stippvisiten in angrenzende Länder und kulturelle Erfahrungen. Zum Beispiel die, dass es in der Freihandelszone Tacna und Arica vor allem um eines geht: Geld.

P1050185Das zeigt die große Zahl der Casinos, aber auch die der vielen Optiker und Zahnspezialisten. Ist es doch für die meisten Chilen viel günstiger, diese Dienstleistungen im nahe gelegenen Ausland in Anspruch zu nehmen. Dafür hat Tacna immer noch ein bisschen chilenischen Flair. Obwohl die neuerliche Zugehörigkeit zu Peru, nach einer Volksabstimmung im Jahr 1929, auch schon wieder 86 Jahre alt ist. Die Stadt wirkt langweilig und ziemlich sauber. Sie hat eine Kathedrale aus den 1950er Jahren und ansonten viel Heroisches zu bieten.

P1050211Wie überall in Peru lieben es die Menschen, sich gleich anzuziehen – ob Trainingsanzug, Kindergarten, Schuluniform oder Festivals. Aus der Gemeinschaft oder Familie ausgeschlossen zu werden, kommt der Höchststrafe gleich. Das geht soweit, dass richtig hartes Konkurrenzdenken im Geschäftsleben kaum existiert. Es gibt in jeder Stadt eine Straße der Autoreifenverkäufer, eine der Lampengeschäfte, eine für Bücher und Hefte und eine für Türschlösser. Was der eine nicht hat, hat der andere und der hilft gerne aus. Kostet ohnehin überall das Gleiche.P1050208Deswegen stellt es für mich und meinen Visawunsch auch keinerlei Risiko dar, mich am Terminal Terrestre (dem Busbahnhof) von irgendeinem Mann abfangen und zu einem Collectivo (Sammeltaxi) geleiten zu lassen. Der Fahrer dort fährt, sobald die Karre voll ist und alle verlangen den gleichen Preis über die Grenze. Die Autos sind oft betagte Ami-Schlitten oder neuere japanische Limousinen.

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Nicht, weil die Peruaner die so schick finden würden, sondern weil in die auch vorne drei Leute rein gehen. Der Fahrer nimmt allen die Pässe ab (ungutes Kribbeln in der Magengegend), kommt aber gleich wieder und hat die Hälfte der Einreisepapiere für Chile schon ausgedruckt mit meinem Namen und allen Nummern dabei.

Auf der rasanten Fahrt die Küstenwüste entlang (trostlose Einöde) füllen wir dann aus, dass wir keine Lebensmittel, vor allem keine Früchte und Gemüse einführen. Außer Kokosnüssen ist quasi alles strikt verboten und wird hartnäckig kontrolliert. Die Chilenen fürchten die Fruchtfliege für ihre Obstbestände wie der Teufel das Weihwasser.

Da der Fahrer erst nach dem sicheren Geleit ins Nachbarland bezahlt wird, hat er ein großes Interesse daran, dass alles klappt: Zeit ist schließlich Geld. So steht er mir auch bei, als die peruanische Grenzbeamtin von mir 35 Dollar Nachzahlung (ein Dollar pro überzogenen Tag) fordert. Gemeinsam rechnen wir ihr vor, dass drei Monate Visumszeit, die ich hatte, unmöglich 125 Tage ergeben können. Am Ende gibt der Computer uns recht und ich bekomme den Ausreisestempel.

Chile checkt vor allem das Gepäck und lässt mich ansonsten unbehelligt das Land betreten (Stempel). In Arica angekommen, merke ich, dass ich vor lauter reibungslosem Ablauf gar kein Geld getauscht habe. Also nehme ich einfach das nächste Taxi zurück, das ich in peruanischen Soles bezahlen kann. Eine Stunde später verfüge ich über mein Visum für 90 Tage und kann die Geburtstagsfeierlichkeiten von Tacna von Herzen genießen.

P1050204Womit wir beim Salpeterkrieg und seinen Auswirkungen wären. Aufgrund des Fischreichtums vor Perus Küste lebten im 19. Jahrhundert Abermillionen von Seevögel auf vorgelagerten Inseln. Ihr salperhaltiger Kot (Guano), der sich stellenweise einige Meter hoch angehäuft hatte, wurde als Dünger für Europa ein Bombengeschäft. Der warme Geldregen des “weißen Goldes” hätte eigentlich eine Chance auf ökonomische Entwicklung bieten können. Doch letztlich schadete der Boom mehr als er nützte. Die Küstenregion wurde ausgebaut, das Hochland vernachlässig. Das Land wurde gierig im Vertrauen auf die scheinbar unerschöpfliche Ressource. Um 1870 platzte die Blase. Zu hohe Kredite, Konsumrausch, Missmanagement und vor allem das Versiegen des Guano führte zum Staatsbankrott.

Darüber hinaus kam es zwischen Peru, Chile und Bolivien zum militärischen Konflikt. Alle drei Länder besaßen Salpetervorkommen, die zunehmend ausgebeutet wurden. Als dann Bolivien eine unerlaubte Steuer darauf erhob, griff Chile den Nachbarn an und Peru wurde über einen Beistandspakt mit Bolivien hineingezogen. Jetzt zeigten sich die Nachteile des drastisch reduzierten Militärhaushaltes. Peru und Bolivien mussten eine schlimme Schlappe hinnehmen. 1881 besetzten die Truppen Chiles sogar Lima. Resultat des Friedensvertrages von 1883: Peru musste seine Salpetervorkommen an Chile abgeben sowie die Provinz Tarapacá und Arica und – bis zur Volksabstimmung 1929 eben – auch die Provinz Tacna. Bolivien ging seines einzigen Zugangs zum Pazifik verlustig – eine bis heute nicht verschmerzte Wunde.

 

 

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

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