Mathematik in der Schule – ohne Faszination?

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Laureates of mathematics and computer science meet the next generation
Heidelberg Laureate Forum

Während ich mich noch auf das heute (Sonntag) beginnende Heidelberg Laureate Forum freue, habe ich mir vorgenommen, dieses Mal soviele der Teilnehmer wie möglich danach zu fragen, was sie zur Mathematik gebracht hat, wie sie ihre Faszination für die Mathematik erworben haben und weitergeben, und welche Rolle Mathematik in der Schule bei ihrem Werdegang gespielt hat.

Mathematik in der Schule: zwei von drei?

Manchmal, in frustrierenden Momenten, scheint es, als könnte man sich beim Thema Mathematik in der Schule immer nur zwei der drei aussuchen: Mathematik, Schule, Faszination. Ich bin heute über einen exzellenten Text gestolpert, der einige Schwächen herkömmlichen Mathematikunterrichts (überzeichnet, und auf die USA zugeschnitten, aber durchaus auch für Deutschland relevant) plastisch darstellt: “A Mathematician’s Lament” von dem Mathematiklehrer Paul Lockhart aus Brooklyn, ursprünglich verfasst im Jahre 2002 und sechs Jahre später von Keith Devlin auf den Webseiten der Mathematical Association of America veröffentlicht. Lockhart entwirft Welten, in denen Musik und Kunst auf dieselbe Weise gelehrt werden wie Mathematik im Schulunterricht:

Ein Musiker wacht aus einem schrecklichen Albtraum auf. In seinem Traum fand er sich in einer Welt wieder, in der Musikunterricht obligatorisch geworden ist. “Wir helfen unseren Schülern, in einer Welt wettbewerbsfähig zu bleiben, die zunehmend mit Klängen und Geräuschen gefüllt ist.” Pädagogen, Schulsysteme und der Staat nehmen sich dieses essenziellen Projekts an. Studien werden in Auftrag gegeben, Kommissionen gebildet, Entscheidungen getroffen – ohne dass dabei ein einziger professioneller Musiker oder Komponist beteiligt gewesen oder um Rat gefragt worden wäre. Da bekannt ist, dass Musiker ihre Ideen in Form von Noten festhalten, müssen diese sonderbaren schwarzen Punkte und Linien die “Sprache der Musik” darstellen. Es ist daher unumgänglich, dass Schüler diese Sprache beherrschen, wenn sie musikalische Kompetenzen erwerben wollen; es wäre lächerlich von einem Kind zu erwarten, ein Lied zu singen oder ein Instrument zu spielen, ohne solide Grundkenntnisse in musikalischer Notation und Theorie. Musik spielen oder anhören, oder gar selbst zu komponieren, sind weit fortgeschrittene Themen, die erst in der Universität auf dem Lehrplan stehen, und selbst dort häufig erst nach Abschluss des Grundstudiums.

Lockhart entwickelt sein Szenario, und eine entsprechende Welt für die Bildende Kunst, noch deutlich weiter. Die Parallelen zu Mathematikunterricht, der das Auswendiglernen von Formeln und Rezepten in den Vordergrund stellt und wenig Raum für Kreativität und die schiere Faszination der Mathematik lässt, werden dabei sehr deutlich. Man muss Lockhart nicht in allem folgen, was er da schreibt (und das tue ich auch nicht), aber die Fragen, die er stellt, sind wichtig und oft auch beunruhigend.

Wie seid ihr hierher gekommen?

Die HLF-Teilnehmer sind in dieser Hinsicht natürlich eine extrem verzerrte Stichprobe von Menschen, denen die Faszination für Mathematik (und/oder Informatik) erhalten geblieben ist.

Martin Hairer at the 2014 HLF - no lack of fascination! Image credit: hlff/Flemming
Martin Hairer beim HLF 2014 – kein Mangel an Faszionation! Bildnachweis: hlff/Flemming

Aber obwohl das nur die eine Seite der Medaille ist, hoffe ich auf interessante Einsichten, und eventuell sogar erkennbare Trends, wenn ich in den nächsten Tagen Teilnehmerinnen und Teilnehmer frage: Wie seid ihr hierher gekommen? Was hat euer Interesse an der Mathematik geweckt? Haben euch die Erfahrungen in der Schule dabei gefördert oder eher behindert? Welche Rolle haben besonders gute, welche haben schlechte Lehrer gespielt?

Auch die Erfahrungen der Leser/-innen dieses Texts interessieren mich natürlich. Wie war es bei euch? Schreibt’s in den Kommentarbereich!

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

6 comments

  1. Was hat euer Interesse an der Mathematik geweckt?

    Der Schreiber dieser Zeilen war vor langer Zeit der beste Rechner, bis ihm dann ein Mathematiklehrer jegliche ‘Faszination’ versaut hat, auf Grund eines politisch gehaltenen Scherzes, der in dieser Lehrerschaft vor langer Zeit extra-ungut ankam bis ankommen musste.
    Womöglich hat sich hier nicht viel geändert, bundesdeutsch.

    Noten im Bereich ungenügend bis mangelhaft+ turnen schon ein wenig ab.
    Auch wenn sie zukunftsgefährdend sind, das Fortkommen betreffend und der Bösartigkeit Einzelner geschuldet.

    Ansonsten kam der Schreiber dieser Zeilen, trotz seiner Grund-Aversion, mathematisch und wirtschaftlich immer brauchbar gut klar.

    MFG
    Dr. Webbaer (der sich hier ein wenig exponiert hat, allen noch einen schönen Sonntag wünscht)

    • Ach so, der Scherz ging sparsam so: “Rot und grün meint braun!”.
      Sicherlich ein wenig simplizistisch [1], sich aber wiederkehrend u.a. heutzutage in der sogenannten Politischen Richtigkeit wiederfindend, wie einige finden -auch der hiesige werte Inhaltegeber macht ja i.p. Feminismus und “gerechte” Sprache-, die geschilderten Konsequenzen waren aber seinerzeit weder beabsichtigt, noch vorhergesehen.

      [1]
      Vor ca. 40 Jahren herrschten selbst in der BRD andere Zeiten, das mit der Politischen Richtigkeit hat sich ja erst nach 1989 durchgesetzt, der Schreiber dieser Zeilen muss hier besonderes Pech gehabt haben, seinerzeitige mathematische Lehrkräfte betreffend.

  2. Das Problem der fehlenden Faszination für den Mathematik und Physik-Unterricht kenne ich. Deshalb war ich Jury in Science Fairs und habe ich während meiner Zeit als Forscher selber in einer Internationalen höheren Schule im Ausland ein Wahlfach im Bereich Mathe& Naturwissenschaften unterrichtet. Dabei konnte ich den Unterricht frei gestalten. Forscher können wie Missionare auf Schüler wirken. Vielleicht sollten die Forscher in die Schulen gehen und sich bei Science Fair mehr engagieren?
    Für Schüler, die nicht in der Nähe von Forschungszentren wohnen und keine guten Lehrer haben, braucht es aber Alternativen, wie Internetseiten und gute Bücher und Zeitschriften. Ich habe in Österreich die ‘Wissenschaftliche Nachrichten’ (s. Wikipedia) zufällig entdeckt, dort ist ein hohes Niveau in der Mathe-Sektion mit vielen Aufgaben zu finden. Übrigens kann man diese kostenlos herunterladen. Ungarische Mathe-Übungsbücher eignen sich auch hervorragend für das Selbststudium. Ich habe eins erworben, kann aber kein Ungarisch. Auch in Griechenland, Cypern gibt es anspruchsvolle Mathe-Literatur für Schüler und Studenten, teils als graue Literatur. Man sollte versuchen diese zu übersetzen.

  3. Bonus-Kommentar, und wieder etwas versöhnlicher, nicht den hiesigen werten Inhaltegeber betreffend, hier ist Dr. W immer versöhnlich, sondern die zitierte Allegorie:

    A) Das, was mit ‘Lockhart entwickelt sein Szenario’ beginnt ist Artikeltext und darf auch als solcher ausgezeichnet werden.
    Aus irgendwelchen Gründen gibt es hier auf den SciLogs seit einiger Zeit Probleme mit der Zitation und der dbzgl. Auszeichnung.
    Hier kann besser geworden werden, wie sich der Schreiber dieser Zeilen (nach einigen Monaten?) erlaubt anzumerken, das Web und seine Instrumente dürfen beherrscht werden.

    B) Paul Lockhart’s Allegorie ist schlecht oder gut, schlecht in dem Sinne, dass sie schlecht ist, Musik ist böse formuliert Eigenbeschäftigung mit unklarem pers. Erfolg, und gut, weil Mathematik, die Kunst des Lernens, gerade nicht dementsprechend transportiert oder gelehrt werden sollte.

    C) Der Schreiber dieser Zeilen war insofern nie von der Mathematik fasziniert [1], vgl. auch mit der Etymologie, sondern hat sie stets als extra-wichtig verstanden, was Unternehmung betrifft, eigene oder die von anderen, und natürlich auch die Natur betreffend (die ihn abär ihr Wesen betreffend nie sonderlich interessiert hat >:-> , außer philosophisch).

    Schwierig, wie kann für die Kunst des Lernens, im Speziellen für die Mathematik (diese ist als Einzelwissenschaft irgendwann aus der Philosophie herausgelöst worden), geworben werden?

    Mögliche Antwort:
    Lasst die Finger von dieser, wenn sie Euch nicht konveniert!
    Versucht Zugang zu ihr zu finden, weil sie in manchem Zusammenhang, dessen Verständnis meinend, zwingend benötigt wird!
    Betrachtet Sie als Kunst des Lernens, als heutzutage zumindest partiell erforderliche Bedingung!
    (Und für Spezialisten: Betrachtet Sie als Spezialistentum, das oft keinen Nutzen zeitigen kann, als Spielerei oder Spiel – sofern hinreichend Talent da ist!)

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1]
    Teilt sich in seiner dbzgl. Unbegabung, sollte sie wirklich vorliegen, bspw. auch mit dem werten hiesigen Tobias Maier.

  4. Ja, in der Schulmathematik dominieren Lösungsverfahren. Mathematische Fragestellungen werden zwar auch vorgestellt, aber es wird nicht erwartet, dass die Schüler sie selber anpacken. Den Mathemaiklehrern fehlen auch die didaktischen Voraussetzungen, um Schüler auf eine Entdeckungsreise zu schicken, bei der etwas rauskommt und die Schüler nicht zum Scheitern verurteilt sind. Dabei gibt es kein schönere Erlebnis als selber etwas zu entdecken. Zudem gibt es keinen Ersatz für das eigene Durchdringen des Stoffes. Um das zu Ändern, müsste man bei den Mathematiklehrern ansetzen.

  5. Zuerst kommt das Ziel, das man erreichen will, und dann sucht man nach den Methoden, wie man es erreichen kann.
    Methoden ohne Ziel sind nicht besonders motivierend.
    Ich las seit dem Jahre 1957 Science Fiction, und ich interessierte mich daher für die Raumfahrt und die Roboter.
    Dafür braucht man Treibstoffe, Werkstoffe, Computer, Fertigungsmaschinen, Chemie, Physik, Kybernetik und Mathematik.
    Deshalb begann ich im Jahre 1961 mit meiner Ausbildung zum Chemotechniker.
    Was man will, das ist von vornherein klar.
    Die Frage ist nur, wie man es erreicht.
    Zwei einfache mathematische Spielereien zur Erheiterung:
    http://members.chello.at/karl.bednarik/DEKALOG2.TXT
    http://members.chello.at/karl.bednarik/KREIQUAZ.png

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