wenn der tag schon etwas länger geht, die kinder und eltern nur noch sanft an meinem stethoskop vorbeirauschen, muß ich mich hin und wieder zwingen, genauer hinzuhören. die gefahr, dass man das entscheidend kranke kind verpasst, dass in dieser einen nacht, die ich in zukunft nicht mehr vergessen werde, verstirbt, raubt mir den schlaf. wenn die tage im frühjahr durch die praxis durchschweben, wenn das weiße rauschen der wiederholt gleichen beschwerden husten-schnupfen-heiserkeit-durchfall-und-spucken alle aufmerksamkeit nivelliert, hoffe ich auf meinen ärztlichen instinkt, der mich im richtigen moment an die oberfläche zieht, damit ich sehe. aber ist es dann das blasse dreijährige mädchen um die vormittagszeit oder der schwarzhaarige vierzehnjährige, der mit kopfweh nach dem mittag auf meiner untersuchungsliege war? ist es eine übersehene leukämie oder eine meningitis, die heute nacht auf anderen wegen als durch meine praxis vielleicht unter glücklichen umständen in die naheliegende klinik kommt, weil die eltern nicht auf die beschwichtigenden worte des kinderarztes gehört haben? gibt es soviel glück oder richtet das jemand anderes aus, dass doch meist alles gut gelingt? jeder arzt hatte schon einmal den einen patient, den er just noch gesehen hat und der gefühlt in nächster minute bereits viel schwerer erkrankt, als vorher noch prophezeit. vorkältewintergedanken. jeden tag, jede stunde, jeden patienten muß man sich vergegenwärtigen, dass alles passieren kann. dass alles sich zum guten wenden kann und alles zum schlechten. nur dieses wissen macht dich demütig vor den erkrankungen, vor den unwegsamkeiten von viren und bakterien, vor den wirrungen des immunsystems und der karzinogene. sei auf der hut und lass dich nicht einlullen von den vielen gleichen beschwerden, die allen zustehen, aber die nur bei wenigen wirklich gefährlich relevant sein können. hör auf deinen bauch und deine erfahrung, glaube deinen fingern und deinem gehör. werde auch nach jahren wieder schlau, wieder sicher, wieder aufmerksam. nur dann kannst du als arzt bestehen.
Related Posts
Für eine Handvoll Pillen – neue Bewohner
Heute war ein wunderbarer sonniger Tag in Defihausen. Mittags machte ich einen Besuch im Kindergarten und zeigte den Kleinen mal, was ein richtiger Notarzt so alles drauf hat. Sie waren derartig beeindruckt, dass sie im Anschluss Karate-Techniken bei mir testen wollten. Na ja, was soll ich sagen: Basadai, die Kindergärtnerin hat sie gewähren lassen. Erst […]
Artikel von: Monsterdoc
Das Problem…
“Anna, kannst du vielleicht mal…” die Sprechstundenhilfe der Prämedikationsambulanz sah mich flehend an und nickte unauffällig in Richtung der einzigen Patientin im Wartezimmer, einer elegant gekleideten Frau Mitte fünfzig. Ich hatte ja eigentlich Dienst im Aufwachraum, aber da war zu dieser frühen Stunde noch nichts los, so dass ich mich gerade in Richtung Aufenthaltsraum verdrücken […]
Grippewelle …
146 Patienten nach Weihnachten dekompensiert das System:
Einer der 146 Influenza-Kranken hat den Arzt angesteckt. Und so hat er am Sylvesterabend Schnupfen, Halskratzen und Fieber.
So wie all diejenigen, die er in den letzten Tagen, in sieben KV-Notdiensten, behandelt und beraten hat.
Sie haben Pontius und Pilatus angerufen und sind beim Notdienst gelandet. Sie standen im Wartezimmer, auf dem Flur. Und husteten, und schnieften. Schnell rein, Erkältung? Ja, Lunge abhören, Rachen einsehen, Lymphknoten tasten. Wie lange schon? Vier Tage, seit Heiligabend. Fieber dabei? Ja, 38 fünf. Schmerzen beim Husten, Kopfweh, Gliederschmerzen. Das Virus, Influenza. Echte Grippe ist es wohl noch nicht.
Einige wollen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, einige ein Antibiotikum. Doch die meisten sind mit gutem Rat und ein paar symptomatischen Medikamenten-Empfehlungen zufrieden.
Sie können sogar mit der recht schnellen Abfertigung gut leben.
Auch 28 Hausbesuche in zwölf Stunden sind keine Kleinigkeit: Raus aus dem warmen Taxi, durch den dunklen Nebel, im Hausflur zwei Treppen hoch, am Pflegebett der kranken Oma, Papierkram am Couchtisch, mutspendenden Optimismus verteilen und wieder rein ins Taxi. Abhören, anhören und angehustet werden.
Nun denn, trotz Oseltamivir ist der Arzt erkältet und definitiv nicht arbeitsfähig, allein schon wegen der Ansteckungsgefahr.
Er könnte sämtliche Senioren- und Pflege-Heime der Stadt an einem halben Tag verseuchen.
Nun muss Ersatz für die restlichen drei Dienste gefunden werden. Nicht so einfach, wo alle Urlaub haben wollen.
Vier Ärzte sind zwischen Weihnachten und der ersten Januar-Woche im Einsatz. Der Arzt hatte zehn Notdienste am Stück eingeplant. Zudem waren noch einige Praxen geöffnet. Es reichte nicht. Das System ist unter der Grippewelle dekompensiert.