Heute begann mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub mit einem REA-Alarm. Ein Blick auf das Telefon – Scheiße, Zimmer 28 ist… AUF DER CHIRURGISCHEN STATION!!!!
Geistig war ich Sekunden zuvor noch im Bett, ohne Kaffee, aber so ein Reanimationsalarm lässt den Puls innerhalb einer Sekunde auf 100 schnellen. Naja. So war ich dann halt also auch munter.
Wenig später habe ich auf der Notfallstation eine junge Frau, sonst gesund, aber ziehende Unterbauchschmerzen seit mehreren Wochen. Und Übelkeit. Ich untersuche die Frau und warte auf die Resultate der Blutentnahme, sowie der Urinprobe. Ein Blick auf die Laborwerte, der Fall ist klar: “Gratuliere, Sie sind schwanger!”. Wäre das Bauchweh also auch geklärt.
Patient, 75a, seit 1 Woche rezidiv. Erbrechen, Gewichtsverlust von 5kg in einer Woche. Reduzierter Allgemeinzustand. Zeichen einer Exsiccose. Vormedikation: Tenormin, Thiamazol, TASS Lisinocomp, Lasix, sowie Digimerck und Lisinopril. Mome…
In der Medizin ist nichts (wage ich jetzt mal so zu behaupten) 100%-ig fix und immer gleich. Als mich die Patientin letztens fragte ob sie im Rahmen der Blinddarmentzündung bzw. OP sterben kann, sagte ich etwas umschrieben und mit hundert “aber das ist seeeehr selten” – theoretisch ja. Oder der übliche Wortwechsel zwischen mir und der Pflege:
Pflege: “Geht Herr X morgen? Wir brauchen dringend Betten.”
Ich: “Ja, wahrscheinlich schon.”
Pflege: “Definitiv?”
In meinem Kopf sehe ich ein Bild wie ich in meiner Manteltasche krame, und meine Wahrsagerinnenkugel heraushole um voraussagen zu können, dass Herr X morgen WIRKLICH geht und bis morgen früh hundertprozentig weder ein relevanter Hb-Abfall, noch sonst irgendetwas dazwischen kommt… Aber in Wirklichkeit sehe ich wahrscheinlich eher so aus:
In Gesprächen mit Eltern, Verwandten oder anderen Nicht-MedizinerInnen wird man manchmal mit lieb-begeisterten Bermerkungen wie “Boah also ich könnte das nie!” überrascht. Das finde ich süß, irgendwie. Nicht abwertend-süß, sondern einfach lieb und begeistert. Irgendwie freut es mich, diese Beifallsäußerung, andererseits denke ich mir auch, boah, ich könnte nie einen ganzen Tag mit Kindern verbringen, oder rein vorm Bildschirm, oder eine andauernde, kreative Textermaschine sein. Wirklich interessant finde ich die Frage nach “dem ersten Mal”. Das stimmt mich dann wirklich etwas nachdenklich und versetzt mich Jahre zurück. Die Zeit schwindet so schnell, ich kann mich noch an den ersten Medizinunitag erinnern. Wie der Hörsaal aussah, was die ersten Worte des Vortragenden waren. Welchen Blödsinn ich notierte, weil in dem Moment war alles wichtig, ich wusste noch nicht wie und was filtern. Also, wie war es das erste Mal, als ich ein Messer nahm und die Haut eröffnete, das Fleisch aufschnitt? Was war das für ein Gefühl? Die Frage klingt aufregender als die Antwort. Weil: das Studium und der darauffolgende Beruf ist weder ER, noch Scrubs oder Grey’s Anatomy. Es gibt keine ZuschauerInnen und keinen musikalischen Hintergrund. Sprich: es gibt kurze, aufregende Momente; die aber nur einen selbst ergreifen. Die nur wenige Millisekunden andauern. Es ist alles viel weniger aufregend. Also, wie war der erste Schnitt? Ich nahm das Messer und schnitt. Es war eine Leiche, im Seziersaal, ein Massenbetrieb und für die TutorInnen und ProfessorInnen Routine. Kein Geschwafel, keine dramatischen Reden aus dem Off, keine tränenrührende Musik von Jill Andrews. Man konzentriert sich auf das Fach und die Anatomie, die nächste Prüfung im Kopf, die studentischen Geldsorgen, das darauffolgende Fach, für das es zu lernen gilt. Jahre später, das Studium abgeschlossen, folgt der erste Schnitt in das lebendige Menschenfleisch. Grundsätzlich aufregend, aber dann doch der erste Schnitt in Richtung Routine.