Wo sind meine Eltern?

Krebs bei Kindern: Das traurige Schicksal von Deepak aus Kalkutta

Langzeitarzt Dr. Tobias Vogt, der seit vielen Jahren in Kalkutta arbeitet, verbringt viel Zeit mit seinen Patienten. Er führt zahlreiche Gespräche, versetzt sich in sie hinein und schreibt deren Geschichte auf, so dass auf dem Blog nun auch immer mal wieder unsere Patienten ihr Schicksal schildern. Heute leider mit einem sehr traurigen Thema: Krebs bei Kindern. Es kommt der fünfjährige Deepak zu Wort, der an Krebs erkrankt ist:

Hallo! Ich heiße Deepak und bin fünf Jahre alt. Ich bin jetzt schon seit zwei Monaten im Kinderkrankenhaus der German Doctors in Kalkutta. Alles hat damit angefangen, dass ich meine Beine eines Tages nicht mehr bewegen konnte. Ich konnte nicht mehr mit den anderen Jungs rennen, sondern stolperte nur so vor mich hin. Nach einer weiteren Woche waren meine Beine dann komplett gelähmt, und sie sind es auch bis heute geblieben. Ich kann auch meinen Urin und meinen Stuhl seit neuestem nicht mehr kontrollieren und mache in die Hose, ohne etwas davon zu merken. Die Krankenschwestern hier geben mir jetzt Windeln. Ich kann meine Beine jetzt auch nicht mehr fühlen. Mit den Armen kann ich alles machen. Meine Eltern sind ratlos.

Ich hörte eines Tages hier im Krankenhaus, wie sich der lange weiße Arzt mit einem Arzt, der meine Sprache spricht, über mich unterhielt. Er sagte, das ist bestimmt eine Tuberkulose der Wirbelsäule, das wird mit einer Operation schon wieder gut. Aber der hindisprechende Arzt sagte, das ist keine Tuberkulose und man sollte jetzt nicht operieren. Nach drei Wochen Bettruhe wurde ich dann doch operiert, denn es wurde mit meinen Beinen nicht besser. Danach sah ich die Ärzte alle mit langen Gesichtern herumlaufen und hörte sie etwas über Krebs murmeln. Mit meinen Beinen ist es immer noch nicht besser geworden.

Krebs bei Kindern

Deepak mit seiner Mutter nach der Krebs-Diagnose

In den ersten Wochen, in denen ich hier im Krankenhaus war, sind meine Eltern noch regelmäßig nach mir schauen gekommen. Dann bemerkte ich, dass es Streit und Diskussionen mit den Ärzten und Schwestern gab. Meine Eltern sagten: „Wir haben nicht so viel Zeit, eine lange Behandlung mitzumachen. Entlassen Sie unseren Jungen. Wenn er Krebs hat, dann muss er eben sterben.“ Aber die Ärzte und Krankenschwestern haben meine Eltern gedrängt, mich hier zu lassen und bei einer Behandlung mitzuarbeiten.

Und dann passierte etwas, dass ich überhaupt nicht verstehe: Meine Eltern kommen jetzt schon seit zwei Wochen gar nicht mehr hierher, und nehmen auch das Telefon nicht ab, wann immer die Krankenschwestern versuchen sie zu kontaktieren. Krebs bei Kindern ist in Indien wohl relativ unbekannt und Eltern daher oft überfordert. Aber was wird denn jetzt aus mir? Haben meine Mutter und mein Vater mich aufgegeben? Im Krankenhaus sind sie alle nett zu mir und sagen immer, dass sie es gleich noch mal telefonisch zuhause versuchen werden. Ich habe auch schon einmal vorgefragt, ob ich denn für immer hier im Krankenhaus bleiben kann, falls meine Eltern mich nicht mehr wollen.

Es scheint auch ein Problem damit zu geben, dass ohne eine Unterschrift meiner Eltern nichts an mir gemacht werden darf. Nun will die Oberschwester zu meinen Eltern nach Hause fahren. Sie gehen ja nicht ans Telefon. Der lange Arzt fragt auch schon seit längerem, wann er mal mit meinen Eltern reden kann. Die anderen Kinder auf dieser Station der German Doctors haben alle ihre Mutter dabei, und es tut mir weh das zu sehen.

Mal sehen was die Zukunft bringen wird.