Obdachlos zu sein ist auch ein Ausbildungsberuf

Jetzt, wo es so kalt ist, trennt sich auf der Platte die Spreu vom Weizen. Im Sommer schaffen es ja noch eine ganze Reihe von Leuten, ohne festen Wohnsitz zu sein, und man kann auch mal eine Nacht unter der Brücke schlafen, auch wenn man überhaupt keine Erfahrung in dem Metier hat. Im Winter geht das nicht mehr. Um nun noch wirklich auf der Straße überleben zu können, muss man einiges wissen, können und haben. Zunächst mal braucht man sehr viele Schichten Kleidung. Ohne einen mindestens sechsschichtigen Zwiebelschalenpelz geht gar nichts. Dann braucht man einen wirklich ordentlichen Schlafsack; nicht so einen leichten hübschen, sondern einen richtig warmen. Und man braucht nach Möglichkeit ein Versteck für sein Hab und Gut, damit kein anderer Obdachloser einem den Schlafsack klaut, wenn man “Platte macht”, also seine Tageseinnahmen erbettelt. Menschen, die sich mit all dem nicht wirklich auskennen, und zum Beispiel im Rahmen einer akuten Psychose, einer Manie oder ähnlichem plötzlich nicht mehr in ihre Wohnung können, erfrieren bei dieser Kälte. Sie wissen einfach nicht, wie man sich schützt. Die meisten Städte haben Notschlafstellen, die nachts vor der Kälte schützen. In Köln gibt es ein gut organisiertes Programm zur Hilfe bei Obdachlosigkeit.

  • Die Fachstelle Wohnen bietet die vorübergehende Unterbringung in Mehrbettzimmern in Obdachlosenhotels an. Hierfür muss man allerdings montags, dienstags oder donnerstags morgens persönlich vorsprechen.
  • Zusätzlich gibt es mehrere Notschlafstellen. Die größte ist in der Annostraße im Johanneshaus. Bedürftige werden dort abends ab 21:00 aufgenommen. Es gibt etwas zu essen und ein Bett für die Nacht. Am nächsten Morgen muss man die Notschlafstelle wieder verlassen.
  • Im Winter erweitert die Annostraße ihr Angebot. Die Aufnahme ist dann abends schon um 18:00 geöffnet. Zusätzlich zu den normalen Schlafplätzen in 4-6 Bett Zimmern wird eine große Halle geöffnet, in der bis zu 50 weitere Menschen übernachten können.
  • Es gibt in der Annostraße auch einen Wohnbereich und ein Resozialisierungsangebot, wenn man das wünscht.

Als Krankenhausarzt im Nachtdienst nimmt man in dieser Zeit Obdachlose niederschwellig auf. Wenn sich jemand betrunken im Krankenhaus vorstellt, und zu normalen Zeiten eigentlich ein Bett in der Notschlafstelle ausreichend wäre, es aber nicht sicher ist, dass er die nächste Notschlafstelle erreicht, ohne auf dem Weg einzuschlafen und zu erfrieren, nimmt man ihn zumindest für eine Nacht auf. Am nächsten Morgen kann man dann helfen, eine geeignete Unterkunft zu organisieren. Wenn Sie das nächste mal einen Obdachlosen sehen, spenden Sie ihm ruhig etwas Geld. Er hat es schwer genug.

4 Gedanken zu “Obdachlos zu sein ist auch ein Ausbildungsberuf

  1. Dienstarzt (@dienstarzt) 9. Dezember 2013 / 08:23

    „Als Krankenhausarzt im Nachtdienst nimmt man in dieser Zeit Obdachlose niederschwellig auf.“

    Während der Advents- und Weihnachtszeit wird uns bei solchen Sätzen natürlich allen warm ums Herz. Aber der erfahrene Krankenhausarzt auf einer Notfallstation wird genau das nicht tun. Sonst hat er nämlich ab dem nächsten Tag die Bude voll. Das mag für den durchschnittlichen mitteleuropäischen Intellektuellen verstörend sein, ist aber die Realität. Zumal der Krankenhausarzt im Nachtdienst und sein Team in der Regel eine Menge andere Gäste haben, die seine ungeteilte Aufmerksamkeit benötigen.

    • psychiatrietogo 9. Dezember 2013 / 17:31

      Natürlich ist es die angemessenste Lösung, einen Transport in eine Notschlafstelle sicher zu stellen, so dass gewährleistet ist, dass der Patient nicht hilflos ist und erfriert. Dann ist die (nicht passende) Aufnahme im Krankenhaus natürlich vermeidbar.

  2. seelenteil 11. Dezember 2013 / 00:17

    ich gebe einem solchen bettler meißt das, was ich mir selber dann vom munde abspare: ein brötchen und einen teil der fahrkarte, die ich als zweinutzer einer übertragbaren karte anteilig einspare. also im klartext so 2 euro und ein brötchen, das ich dann eigens für ihn kaufe. meißt mit speck oder sowas dran (ich esse selber kein fleisch). es ist wenig, aber für einen menschen ohne einkommen und ohne jedwede unterstützung wirklich viel. ich kaufe mir dann nichts weiter und fahre hungrig heim. auch wenn es noch 1h bis zum essen ist für mich, denke ich dann immer „immerhin habe ich einen vollen kühlschrank und kann zuhause satt werden“ so fahre ich dann mit einem hunger, der bereits schwindel auslöst, sehr demütig heim. weil mir mein hunger sehr plastisch vor augen führt, was echte not ist. ich weiß dann das essen daheim auf einmal sehr zu schätzen.

  3. Eva 16. Dezember 2013 / 02:21

    sehr geschätzter herr dr. psychiatrie-to-go! danke für die schönen zeilen.
    wenn ich selbst noch geld habe, dann frage ich immer, ob ich etwas schenken darf. und auch ich bedanke mich bei ihm/ihr. denn nicht nur derjenige bekommt etwas, was er braucht, sondern auch ich bekomme von obdachlosen / bettlern die gelegenheit, etwas von dem, was ich habe, geben zu DÜRFEN.
    wie sagte schon khalil gibran:
    es ist das leben, das dem leben gibt, während ihr, die ihr euch als gebende fühlt, nichts anderes seid als zeugen.
    verbundene grüße, eva

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