Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Das Gute an Palliativmedizin ist…

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„Gibt es in der Medizin überhaupt so etwas wie gesunden Menschenverstand ?“ frage ich.
Kalle lachte.
„Klar doch. Palliativmedizin. Aber das sagte ich schon!“
„Das musst Du mir jetzt genauer erklären.“
Kalle seuzt gespielt.
„Also gut. Fangen wir ganz vorne an: Was bedeutet Palliativmedizin?“
„Hmmm… die Behandlung von Sterbenden…“
Kalle blickt auf und erhebt seinen Zeigefinger.
„Falsch!“ sagt er, „Palliativmedizin befasst sich mit der Betreuung von Menschen, die an schwerwiegenden Krankheiten leiden. Also mit Krankheitsbildern, bei denen mit einer Heilung nicht mehr gerechnet werden kann…“
„…was zur Folge hat, dass diese Leute sterben werden!“
„Das tun wir alle. Die einen früher, die anderen später…“
„Hmmmm.“
„…okay, ich gebe zu, bei Palliativ-Patienten wird es eher früher der Fall sein…“
„…zumindest früher als bei Dir und mir. Hoffe ich wenigstens!“
„Man kann nie wissen!“ sagt Kalle und wird eine kleine Spur ernster, „und schon deshalb kann es nicht verkehrt sein, sich ein wenig mit der Thematik zu beschäftigen!“
Kalle winkt nach der Bedienung.
„Aber es gibt noch mindestens einen weiteren Grund.“
„Und der wäre?“
Die Bedienung hat uns entdeckt, Kalle legt einen Geldschein auf den Tisch und verweigert mit entschlossener Miene die Annahme des Wechselgeldes.
„Bist eingeladen!“ zischt er mir zu.
„Ich bedanke mich!“
„Willst Du jetzt wissen, was der weitere Grund ist?“
Kalle ist schon aufgestanden und auf mein Nicken hin beugt er sich noch einmal zu mir hinunter, schaut vorsichtig nach links und rechts und flüstert mir dann ins Ohr:
„Du kannst nichts falsch machen! Die Patienten sterben doch eh!“
Und damit dreht er sich um und entschwindet ohne ein weiteres Wort im Menschengewimmel.

Written by medizynicus

15. September 2012 um 00:59

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

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4 Antworten

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  1. klingt hart, aber irgendwie hat er ein bisschen Recht. Was aber hoffentlich nicht bedeutet, dass bei der palliativen Versorgung die Sorgfalt und Gründlichkeit auf der Strecke bleibt, „weil die Patienten ja eh sterben werden“!

    stega

    15. September 2012 at 10:48

  2. Das könnte aber auch bedeuten, dass in die Palliativmedizin z.B. recht unbegabte Mediziner „entsorgt“ werden könnten. “ Do kann der wenichstens nix verbocken ey“, oder so.
    Ich würde bei Kalle doch noch einmal nachhaken, wie er das gemeint hat?

    tomduli1953

    15. September 2012 at 20:08

  3. @stega und tomduli: Ich habe auf vielen verschiedenen Stationen als Krankenschwester gearbeitet. Unter anderem auf einer Palliativstation. Sei gewiss, dass dort unfähige Ärzte ganz schnell das Weite suchen. Auf keiner anderen Station (außer in dem Hospiz, in dem ich jetzt gerade einen Minijob habe) habe ich so gut ausgebildete Ärzte getroffen, denen die Hierarchie plötzlich auch gar nicht mehr wichtig war, die wirklich teamfähig waren. Auf er Palliativstation geht es nämlich ans „Eingemachte“, gerade auch an das der Betreuenden.
    Palliativmediziner sind 24 Stunden lang erreichbar, besonders die im ambulanten Bereich. Und die kommen dann auch nach Hause ohne das vorher stundenlang zu diskutieren.
    Das macht nur, der sich sehr bewusst dafür entschieden hat.
    Die Pflege hat einen anderen Stellenwert und der Patient auch. Es wird nicht bewertet. Auch die diversen Frau Schroppskis werden ausgehalten und für voll genommen. Bis zum Ende.

    Ich finde euer Bild von Palliativmedizin sehr verschoben. Habt ihr euch mal damit beschäftigt?

    golm

    17. September 2012 at 08:44

  4. Die Palliativmedizin hat halt einen ganz anderen Ansatz.
    An statt möglichst viel Zeit zu erkaufen geht es eher darum in der verbleibenden Zeit möglichst viel Lebensqualität zu ermöglichen.

    Ruby

    19. September 2012 at 15:14


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