Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Nobelpreisverdächtige Fresszettel

with 4 comments

„was is’n das da?“
Mit einer Kopfbewegung deute ich auf das unglückselige Bündel Mensch, welches da in Kabine zwei vor sich hinjammert.
„Zugang!“ sagt Schwester Gaby, „Verlegung aus der Uni-Klinik!“
Ich stelle meine Kaffeetasse ab und schnappe mir das handgeschriebene Zettelchen, auf welchem das Logo der Uniklinik prangt.
„Schenkelhalsfraktur rechts“ lese ich, „Bitte um internistische Weiterbehandlung.“
Will sagen: die Herren Nobelpreischirurgen haben ihr Werk vollbracht und brauchen ihre wertvollen Betten für weitere nobelpreisverdächtige Operationen, also überlässt man die Drecksarbeit…. Ääh, ich meine natürlich die weitere internistische Versorgung uns Deppen in der Provinz.
Alles klar.
Seufzend bewege ich mich in Richtung Kabine zwei.
„Guten Tag!“ brülle ich.
Patient starrt ins Leere.
„Wie geht’s Ihnen?“
Keine Antwort.
Haben wir irgendwelche Informationen?
Vorgeschichte?
Häusliche Versorgung?
Vielleicht eine Telefonnummer von irgendwelchen Angehörigen?
Fehlanzeige!
Zumindest ein Medikamentenplan?
Auf dem nobelpreisverdächtigen Fresszettel kann ich nichts derartiges entdecken… O, doch, da unten:
Der Name eines Schmerzmittels steht da. Und dann: „hausärztliche Dauermedikation nicht verändert!
Danke schön, Herr Kollege… Wie war noch der Name?
Da, wo eigentlich die Unterschrift hingehört, prangt nur ein schwungvoller Schnörkel. Was kümmert es auch einen großen Geist, wenn die Provinzdeppen mal ein bisschen Detektiv spielen müssen?

Written by medizynicus

21. Mai 2012 um 21:26

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

4 Antworten

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  1. Wie ? Seit wann könnten die Herren Universitätschirurgen sowas wie eine Anamnese oder gar Angaben zur häuslichen Situation erheben. Ich bezweifele, dass sie selber ihre Sauklaue entziffern könnten. Sollte wider Erwarten sich nicht ein Pjler oder ein Dummer im Studentenunterricht finden, so überlässt man dies selbstredend den Deppen aus der Provinz.

    Dr Martin Winkler

    21. Mai 2012 at 22:26

  2. Und warum kämpfen die Krankenhäuser so gegen die Forderung der Patientenvertretung nach patientenverständlichen Entlassbriefen? Argument: Ärzte sind so überlastet, die können das nicht auch noch, außerdem erklären sie ja schon alles verständlich.

    wolf

    22. Mai 2012 at 02:19

  3. @wolf: Wozu denn patientenverständliche Entlassungsbriefe? Es gibt doch das Internet… Und natürlich noch die schlecht gelaunten Hausärzte, die einem die individuelle Diagnose, begleitet von Schimpftiraden auf das Krankenhaus, in allen Einzelheiten erklären.

    @Mr. Zynicus: In diesem Zusammenhang würde mich (als Sozial-Tussi) mal interessieren wie es um den Zusammenhalt und die Solidarität von Ärzten untereinander bestellt ist? Also generell berufsmäßig und besonders bei der Vertretung von Interessen gegen das Gesundheitssystem? Gibts da Unterschiede zwischen Fach-, Haus- „Krankenhaus“-Ärzten? Vorurteile?

    wupperwasser

    22. Mai 2012 at 10:21

  4. der chirurg, mit dem ich neulich das vergnügen hatte, hat neben seine unterschrift noch ’n gut lesbaren stempel mit seinem namen gesetzt. sehr praktisch, falls es ein problem gäbe und man den arzt nochmal kontaktieren müsste. wäre doch wirklich mal eine überlegung wert, die grundausrüstung von ärzten (stethoskop und co.) noch um einen namen-stempel zu erweitern. nervenschonend für die weiterbehandelnden ärzte wäre es sicherlich…

    silberträumerin

    23. Mai 2012 at 11:48


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