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Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Gesundheit oder Profit? Pharmakonzern streitet mit der indischen Regierung

with 8 comments

Okay Leute, das Leben ist kein Ponyhof.
Ein intnernationaler Pharmakonzern investiert Millionen und Milliarden von Dollars und Euronen um ein neues Medikament zu entwickeln, dann ist man endlich im Geschäft und plötzlich… kommen ein paar dahergelaufene Heinis aus der Dritten Welt daher und bauen das Zeug nach um es den armen Leuten viel billiger zu verticken und scheren sich dabei einen Teufel um internationales Patentrecht.
Sind das jetzt Helden? Also nicht Novartis, sondern die Nachbastler meine ich jetzt… äh… oder vielleicht doch Novartis?
Um das Geld für die Entwicklung eines neuen Medikamentes wieder reinholen zu können, müssen die Preise hochgehalten werden. Auch dann, wenn es sich um Medikamente gegen HIV und andere Infektionskrankheiten handelt, die in Drittweltländern dringend benötigt aber unter diesen Bedingungen unerschwinglich sind. Nun gibt es auch in solchen Ländern clevere Chemiker und manchmal ist die Herstellung dieser Pillen gar nicht so kompliziert… eine große Versuchung also für Robin-Hood-Drugs-Incorporated aus Süd-Spelunkistan.
Und so geschieht es auch: In Indien zum Beispiel gab es bis 2005 keinen Patentschutz für Medikamente.
Dass die großen Konzerne sich das nicht gerne gefallen lassen, liegt auf der Hand.
Am 28.2. steht vor dem Obersten Gerichtshof in Neu-Delhi ein Verfahren an (in dem es zwar vordergründig um etwas ganz anderes geht).
Die wohlbekannte Hilfsorganisation Ärzte Ohne Grenzen hat hierzu die Öffentlichkeit mobilisiert – und sammelt Unterstützer für eine Petition.

  • Petitions-Kampagne bei

    Avaaz.Org: „NOVARTIS: Millionenprofit auf Kosten der Armen“.

  • Ärzte Ohne Grenzen über die Hintergründe der Kampagne.

Written by medizynicus

22. Februar 2012 um 21:12

Veröffentlicht in Gehört und gelesen

8 Antworten

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  1. Es ist immer einfach, auf die bösen Pharmakonzerne einzuschlagen. Dann noch ein paar verarmte Leute vorschieben, denen Medikamente verweigert werden und fertig ist die Empörungskampagne. Das ist nicht viel besser als Bildzeitungsstil, denn es ist nicht wirklich falsch, aber lässt wichtige Fakten aus.
    Ohne einen finanziellen Anreiz wird keine Firma der Welt Arzneimittel entwickeln. Jeder Privatmensch würde aufschreien, wenn der Chef zu einem kommt und erzählt, dass er das Gehalt dritteln wird, um zwei weitere bisher arbeitslose Menschen einstellen wird.
    Die Wahrheit ist immer komplexer. Die fehlende Versorgung von leidenden Menschen mit relativ günstig herzustellenden Arzneimitteln ist aber ein echtes Problem, was man nicht einfach als Kollateralschaden von durchgesetztem Patentschutz hinnehmen darf (meine Meinung). Pharmakonzerne fangen langsam an, das zu verstehen und finden Lösungen, z.B. durch Zusammenarbeit mit Regierungen oder gemeinnützigen Organisationen.
    Die Lösung kann nur ein Mittelweg sein, der sicher nie zur Zufriedenheit aller ausfällt.

    Mr. Gaunt

    22. Februar 2012 at 22:10

  2. Ich gebe Mr. Gaunt Recht. Obwohl ich die Arbeit von „Ärzte ohne Grenzen“ wertschätze, wird hier auf billigster Ebene populistisch argumentiert. Patentschutz ist die treibende Kraft jeder Art von Industrie, egal ob es sich um Autos, Computer oder Medikamente handelt.
    Man sollte auch nicht vergessen, dass es sich bei den Firmen, die in Indien unter Umgehung des Patentrechts Medikamente herstellen, um Firmen handelt, die mit Raubkopien (also dem geistigen Eigentum anderer Leute) Geld verdienen, das sind keine Wohltätigkeitsvereine.

    Interessant ist es, sich stets auch die Argumente der Gegenseite anzusehen: Novartis beschreibt beispielsweise auf seiner Homepage, dass 95% der Glivecpatienten in Indien das Medikament kostenfrei erhalten. Ich halte das schon mal für einen wichtigen Fakt.
    Ich erlaube mir mal die Argumentation der Gegenseite zu verlinken: http://www.novartis.com/newsroom/product-related-info-center/glivec.shtml und besonders http://www.novartis.com/downloads/newsroom/glivec-information-center/Fact_vs_fiction_of_Glivec_India_Case.pdf

    Die Wahrheit ist nicht immer Schwarz oder Weiß, sondern normalerweise komplexer.

    McCloud

    23. Februar 2012 at 01:50

  3. Natürlich ist Forschung wichtig und kostet viel Geld. Das ändert nichts an der Perversion, daß es Menschen gibt, denen aus finanziellen Gründen der Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten verwehrt werden soll.
    Das Geld, das gerade mit immer neuen Rettungsschirmen verbrannt wird, wäre für solche Zwecke besser angelegt.

    Thomas

    23. Februar 2012 at 09:02

  4. @McCloud: „Patentschutz ist die treibende Kraft jeder Art von Industrie, egal ob es sich um Autos, Computer oder Medikamente handelt.“

    Oft genug ist das Gegenteil der Fall, und Patentschutz wird zur bremsenden Kraft jeder Art von wirtschaftlicher Tätigkeit. Oft genug blockieren sich zwei Konzerne gegenseitig mit irgendwelchen „Immaterialgüterrechten“, zuletzt Apple und Samsung über Gebrauchsmuster.

    Das ist auch nicht neu: „Als die beiden Unternehmen begannen, sich um die Patente zu streiten, schlichtete Kaiser Wilhelm II.“ (WP, [[Telefunken]]). Die beiden Unternehmen sind Siemens&Halske sowie AEG, es ist 1903 und erst nach Intervention des Wilhelm wird Telefunken gegründet.

    Wie so häufig liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.

    Meine Meinung: Zumindest beim Vorliegen gewichtiger Gründe müssen Patentrechte deutlich eingeschränkt werden:

    – Soziale Gründe wie Entwicklungsländer, Hilfsmaßnahmen
    – juristische Gründe, wie Patentstreitigkeiten.

    Deutlich einschränken heißt, die Rechte aus dem Patent zu beschränken. Möglichkeiten:
    – Verkürzung der Schutzfrist, generell und im Einzelfall
    – Generelle stärkere Einschränkung der Monopolrechte, nicht nur bei Eigenbedarfs-Gebrauch
    – und nur, wenn die sehr scharfen Waffen oben unzumutbar wären: Zwangslizenzierung zu günstigen Konditionen.

    Nicht zuletzt möchte ich erwähnen: „Auf den Schultern von Giganten“. Patentinhaber konnten auch nur deshalb so tolle Erfindungen machen, weil sie die Erfindungen vieler anderer seit Anbeginn menschlicher Kulturen (Altsteinzeit!) verwenden. Dadurch, dass sie das Verwenden bestimmter Erfindungen einschränken, bremsen Patente den Fortschritt. Sie sind nur dazu da, um einen Anreiz zu geben, Erfindungen zu veröffentlichen, um dadurch den Fortschritt zu fördern.

    Wenn häßliche Dinge passieren (Abschneiden der Arzneimittelzufuhr für Kranke, die „zu arm“ sind, oder Fortschrittsbremse), müssen die Parameter (Schutzfrist, Schutzumfang) nachjustiert werden.

    schiffmo

    23. Februar 2012 at 10:04

  5. […] seiner Webseite diskutiert Medizynicus den Sinn oder Unsinn von Patentschutz für Arzneimittel (AM) aus Anlass eines in Indien anstehenden […]

  6. Hier eine nicht populistische Argumentation (http://liberalesinstitut.wordpress.com/2011/12/10/wem-gehort-der-brokkoli/), weshalb das Patentrecht schädlich für die Gesellschaft ist.
    Und hier mein ganzer Beitrag zu diesem Thema (http://gesundheitsunwesen.wordpress.com/2012/02/23/das-patentrecht-auf-arzneimittel/).

    Kamhameha

    23. Februar 2012 at 10:18

  7. Oh ja Patente. Man kann Patente auch halten um den Einsatz der patentierten Technologie zu verhindern.

    Erst kürzlich habe ich mir dazu einen Film angesehen, in dem u.a. gezeigt wird, wie eine Ölfirma die Lizenz für einen (zur damaligen Zeit) besonders effizienten Akku für Elektroautos hat. Was dabei rauskommt dürfte klar sein.

    Meine ersten Gedanken zur Problematik der teuren Medikamente bzw. der ‚Raubkopien‘ waren: der Staat zahlt für die Bedürftigen die Medikamente, sowie: Forschung verstaatlichen.

    Allerdings kam mir gleich danach die Befürchtung, dass wenn der Staat (oder irgendeine gemeinnützige Organisation) der Pharmaindustrie die Kosten (Differenz zu niedrigen Preisen) erstatten würde, die Pharmas dies wohl sofort mit überzogenen Preisen ausnutzen würden und auch noch die entsprechende Lobbywirtschaft mitbezahlt werden müsste.

    Und ob eine staatliche Forschung wirklich so sinnvoll wäre? Ich glaube da fehlt dann wirklich leider oft der Antrieb. Da kann Profitgier dann doch eine nützliche Stimulation sein.

    Tja, ich kenne auch keine Lösung dieses Dilemmas. Allerdings würde ich doch deutlich unterscheiden zwischen Raubkopien im Luxusbereich wie CDs oder Handtaschen und Raubkopien von denen das Leben vieler Menschen direkt und im wahrsten Sinne abhängt.

    Matthias

    23. Februar 2012 at 10:46

  8. Natürlich hat Gaunt recht. Der Robin Hood Diebstahl ist auch nur Diebstahl. Wenn der Patentschutz so löchrig wäre wie der Internetschutz für geistiges Eigentum, dann könnte auch Schiffmo nur die Qualifität der verbliebenen Apotheke von Maria Treben nutzen.

    Kreativarzt

    25. Februar 2012 at 15:35


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