Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Winterliche Hausarztromantik auf dem Lande

with 12 comments

Bad Dingenskirchen, an einem Abend im Januar. Leise rieselt der Schnee und Hausarzt Uwe sitzt mit Frau und zwei Kindern im heimischen Wohnzimmer und… verbringt den Abend halt so, wie ein Familienvater einen langen, dunklen Winterabend verbringt.
Kurz nach der Tagesschau geht das Telefon.
Uwe hat nämlich Dienst. Da er als Hausarzt noch ganz neu im Geschäft ist, hat er ziemlich oft Dienst. Schließlich sind Dienste ja die beste Gelegenheit, neue Patienten zu aquirieren. Wenn sich herumspricht, dass der junge neue Doktor sich nicht zu fein dazu ist, auch abends mal rauszukommen, auch im Winter, auch bei Neuschnee, dann muss das ja ein toller Doktor sein, der Neue.
Omma Kasuppke hat Rückenschmerzen.
„Könnense mir nicht eine Spritze geben?“
Uwe schüttelt den Kopf.
„Spritzen sind out. Neue wissenschaftliche Studien haben erwiesen…“
„Aber Doktor Grunznickel hat mir immer die Spritze gegeben!“
„Ja wissen sie, inzwischen hat sich einiges geändert in der Medizin!“
Uwe schreibt ein Rezept aus.
„Von den Tabletten dreimal täglich eine nehmen. Die wirken mindestens genauso gut wie die Spritzen!“
Omma Kasuppke schaut verstört auf das Rezept.
„Und wo krieg ich die her?“
„Na, aus der Apotheke natürlich!“
„Aber die hat doch schon zu!“
„Die Sankt-Nimmerleins-Apotheke in Jotwede hat heute Dienst und da kriegen Sie Ihre Tabletten…“
Omma Kasuppke schüttelt den Kopf.
„Und wie soll ich dahin kommen?“
„Können Sie nicht jemanden schicken? Einen Verwandten? Oder einen Nachbarn?“
Die Patientin seufzt.
„Ich hab doch niemanden… Können Sie mir nicht doch die Spritze geben?“
Uwe zuckt mit den Schultern.
„Aber die Tabletten…“
„Die nutzen mir gar nichts, wenn sie in de Apotheke liegen. Warum können Sie mir denn keine Tabletten geben?“
„Weil ich das nicht darf. Medikamente abgeben ist nun einmal Sache des Apothekers!“
„Aber der kommt doch abends nicht raus!“

Written by medizynicus

25. Januar 2012 um 23:49

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

12 Antworten

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  1. Jetzt mal so ganz dumm. Ich erinner mich, daß ich früher auch schonmal was vom Arzt mitgekriegt habe, wenn ich bei ihm in der Praxis war. War zwar selten, kam aber vor. Waren das dann rezeptfreie Sachen, oder hat sich da was geändert?

    Bundesbedenkenträger

    26. Januar 2012 at 00:08

  2. Naja, man kann es sich immer drehen, dass es passt. Natürlich ist es manchmal doof, dass der Arzt nichts abgeben kann, aber an sich finde ich es richtig. Denn sonst würden nach und nach mehr und mehr Apothkeen verschwinden und dann würden noch mehr Leute wegen einer laufenden Nase zum Arzt. Prima.
    Das Problem ist doch hier eher mal wieder, dass ein alter Mensch alleine ist. Das ist einfach ein Problem der heutigen Gesellschaft.

    Kim

    26. Januar 2012 at 09:59

  3. Waren vermutlich Muster, die der Arzt vom Pharmavertreter bekommen hat.

    sphere2

    26. Januar 2012 at 10:34

  4. Das werden dann Arztmuster gewesen sein oder einzelne Tabletten aus seinem Praxisbedarf zur Akutbehandlung. Das hat mir rezeptpflichtig /oder -frei nichts zu tun.
    Ein Arzt hat in D kein Dispensierrecht, d.h. er darf die Medikamente, die er verschreibt nicht selber verkaufen. Damit soll die Unabhängigkeit des Arztes unterstützt werden und zusätzlich die Apotheke als „Kontrolle“ dazwischen geschaltet werden (Schreibfehler, Dosierung, richtiges Anwendungsgebiet).

    Vroni

    26. Januar 2012 at 11:52

  5. Doktor Grunznickel? Der aus dem Alten Haus? Donnerwetter, aus dem ist was geworden…

    ThFr

    26. Januar 2012 at 13:10

  6. @ThFr: …ich wusste doch, dass der Name Grunznickel irgendwo mal vorgekommen ist! Jetzt wo Du es sagst: Das „Alte Haus“ – ist zwar offtopic, aber kennt das sonst noch jemand?

    medizynicus

    26. Januar 2012 at 18:25

  7. Hab ich ein Dejavu oder hast du genau einen solchen Beitrag nicht schon vor einiger Zeit geschrieben?

    stachel

    27. Januar 2012 at 00:17

  8. @Stachel – Dejavu vielleicht, in dem anderen Artikel ging es um BTM-Rezepte, sozusagen die verschärfte Version. Aber auch damals entspann sich eine Diskussion über das Dispensierrecht von Ärzten – und es wird nicht der letzte Beitrag zu dieser Thematik sein.

    medizynicus

    27. Januar 2012 at 14:28

  9. sowas hatt ich – war mit blasenentzündetem Kind Sonntags unterwegs, Zwergine 5 Jahre alt und am Heulen vor Schmerzen. Krankenhaus (20 Minuten mit Auto weit weg) stellt nach 2 Stunden und 1 Flasche Wasser und Untersuchung Rezept aus, Apotheke liegt aber in der übernächsten Stadt, 40 Autominuten zum Teil über Autobahn. wir kommen da hin, und das Zeug ist nicht vorhanden (Zwergine verträgt das Standardantibiotikum nicht). nächste Notapotheke in nächster Stadt, diesmal 50 Minuten, genau entgegengesetzte Richtung. Hab da aber erst Kind nach Haus gebracht und Opa losgeschickt. ist zum Mäusemelken, sowas

    mia

    27. Januar 2012 at 21:33

  10. Mal eine Apothekenmeinung: Vor einem Jahr war die Forderung der Ärzte über eine Petition beim Bundestag, das Dispensierrecht für BtMs zu bekommen. Das sieht ja auch momentan ganz gut aus. Jetzt wird auf einmal das Dispensierrecht für die übrigen Arzneimittel im Notdienst gefordert. Die Nummer, das mit der armen Oma Kasuppke zu begründen, ist etwas zu durchschaubar, um nicht zu erkennen, dass hier einige Ärzte sich ein Zubrot durch den Verkauf von Medikamenten verdienen wollen.

    Es spricht wirklich nichts dagegen, dass Ärzte ein oder zwei Pillen eines Medikaments abgeben, wenn sie das gerade da haben. Berücksichtigen sollten wir aber auch, dass die Apotheken einen Notdienst haben, die Leistung wird für 2,50 Euro extra erbracht. Und falls Oma Kasuppke halt wirklich nicht raus kann, bringt das der Apotheker auch kurz selbst mit dem Auto vorbei oder schickt ein Taxi los (selbst schon gemacht; es wäre schön, wenn der Service dann auch durch die Krankenkasse erstattet werden würde, also mindestens Spritgeld). Die Auswahl an Medikamenten in der Apotheke liegt auch deutlich über der Auswahl eines Hausarztes.

    Sinnvoll im Interesse des Patienten kann das Dispensierrecht für Ärzte nur dann sein, wenn man den Hausärzten gleichzeitig die Pflicht auferlegt, sich ein Grundsortiment an Arzneimitteln verpflichtend an Lager zu legen, ansonsten hat man ja das Problem weiterhin. Bedenkt auch, dass ihr dann nachts um drei Uhr auch wegen Ibuprofen bei Zahnschmerzen, wegen nem Immodium bei Durchfall und wegen „künstlicher Tränen“ infolge eines Discobesuchs raus müsst. Wenn die Leistung jetzt durch die Hausärzte erbracht wird, ist das auch eine super Begründung, die Pflicht zum Notdienst für die Apotheken gleich ganz abzuschaffen, das ist eh ein unrentabler Posten. Alternativ kann man sich auch dafür einsetzen, dass die Hausärzte in die Notdienstpflicht für die Arzneimittelabgabe aufgenommen werden. Wollt ihr das wirklich?

    Vom Freizeitwert her hätte ich nichts dagegen, wenn Ärzte sich die Mühe machen möchten, für 2,50 Euro wegen den Kleinigkeiten, für die manche Menschen einen als Apotheker wecken, nachts aufzustehen und mir die Arbeit abnehmen. Ich schlafe eigentlich auch gerne nachts durch. Und die Belieferung der Ärzte erfolgt ja eh durch uns (zumindest dann, wenn es Euch wirklich nur um die „arme Oma Kasuppke“ geht und nicht um Gewinnstreben).

    CharlieBrown

    28. Januar 2012 at 03:00

  11. Da hab ich mit meiner unbedarften Frage ja wirklich nen wunden Punkt erwischt. Dabei hatte ich wirklich keine Ahnung. Vielleicht ist es wirklich eine Möglichkeit, wenn die Apotheker auch Hausbesuche machten (müßte IMHO dann schon von der Kasse bezhlt werden und schon haben wir wieder das Problem).
    Bei so nem Frei-Haus Service ist natürlich auch zu erwarten, daß Oma Kassupke öfters mal ein Wehwehchen hat, weil dann kommen ja gleich zwei Leute vorbei.
    Alternativ (vorsicht, sehr böse) kann der Hausarzt vielleicht nur noch mit „wenn Sie es nicht aushalten, rufen wir den Krankenwagen und der bringt sie in die Klink“ drohen… was dann wohl auch wieder Mehrkosten bedeuten würde…
    Wie man es dreht, ein Probem. Vielleicht sollte man einfach den Pfarrer öfters zum Hausbesuch vorbeischicken, dann ist OMa Kassupke nicht ganz so einfach, und aufm Land sind ja eh alle noch in der Kirche.

    Bundesbedenkenträger

    28. Januar 2012 at 09:58

  12. Ich lege meinen Patienten gleich auch den Nachttisch, was sie brauchen (Selbstdispensation). Apotheken gibt’s in der Schweiz übrigens trotzdem an jeder Ecke. Mit Notdienst.

    @ CharlieBrown: Wenn der Arzt in Deutschland einen Hausbesuch macht, gibt’s dafür nach meinen Informationen (vielleicht sind sie veraltet?) nicht mal 2.50 Euro. Sondern ein fiktives Honorar, von dem nach Um-, Gegen- und Aufrechnen der KV-Bürokratie ein paar Cent bleiben. Drum wundert es mich, dass deutsche Hausärzte überhaupt noch Hausbesuche machen.

    dienstarzt

    31. Januar 2012 at 15:11


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