Der medizinische Fortschritt ermöglicht Menschen mit HIV nicht nur eine fast normale Lebenserwartung, sondern auch den Abschluss einer Risikolebensversicherung – bisher aber nur in Einzelfällen.

Was vor wenigen Jahren noch so gut wie unmöglich war, gewinnt zunehmend an Normalität: Menschen mit HIV können heute in bestimmten Fällen eine Risikolebensversicherung abschließen.

Wer etwa ein Haus oder eine Wohnung kauft und hierfür einen Kredit aufnimmt, von dem_der verlangt die Bank nicht selten den Abschluss einer solchen Versicherung, um sicherzustellen, dass der Kredit auch dann getilgt wird, wenn der_die Kreditnehmer_in vorzeitig verstirbt. Und auch für die Hinterbliebenen ist die Risikolebensversicherung von Bedeutung: Sie bleiben nicht auf der Kreditlast sitzen.

Eine Risikolebensversicherung kommt aber auch als eine Möglichkeit in Betracht, wenn man die Zukunft des Partners/der Partnerin oder der Kinder finanziell absichern will, zum Beispiel wenn nur eine Person Geld verdient und die andere sich um die Kinder kümmert.

Risikolebensversicherung bei HIV – neue Daten ebnen langsam den Weg

Dass der Abschluss einer Risikolebensversicherung für Menschen mit HIV heute bei einigen Versicherern möglich ist, liegt zum einen am medizinischen Fortschritt, vor allem aber an mehr verfügbaren und neueren Daten. Wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf seiner Webseite erläutert, war hier vor allem eine Studie des Rückversicherers Swiss Re aus dem Jahr 2013 wegweisend.

Mithilfe europaweiter Daten von HIV-infizierten Patient_innen konnte die Studie nachweisen, dass Menschen mit HIV statistisch gesehen heute fast die gleiche Lebenserwartung haben wie Menschen ohne HIV – sofern die Infektion frühzeitig behandelt wird, die Therapie anschlägt und keine zusätzlichen Erkrankungen wie etwa Hepatitis C vorliegen. Das Risiko, HIV-Positive abzusichern, wurde damit kalkulierbar.

Unkenntnis bei vielen Erstversicherern

Die Rückversicherungsunternehmen können dabei durchaus als Triebfeder dafür angesehen werden, dass immer mehr Erstversicherer auch Menschen mit HIV Policen anbieten. Denn die Rückversicherer sind es, die in der Regel die letztgültige Entscheidung fällen, wenn sich chronisch kranke Menschen versichern wollen – ob diese nun HIV haben oder Diabetes.

„Menschen mit HIV sind oft noch stigmatisiert“

Aus diesem Grund verfügten sie oft über den aktuelleren Stand der Wissenschaft und gingen pragmatischer vor, meint Micha Helmut Schrammke, Fachwirt für Finanzberatung und Betreiber des Portals positiv-versichert.de. „Bei vielen Erstversicherern herrschen noch Vorurteile und Unkenntnis über HIV, trotz der eindeutigen medizinischen Fakten. Vor allem bei den Versicherungsvorständen sind Menschen mit HIV oft noch stigmatisiert“, beschreibt er seine Erfahrungen.

So würden zum Beispiel selbst aktuelle Antragsdokumente mancher Versicherer noch vom „AIDS-Test“ sprechen, obwohl es sich um einen HIV-Test (zum Nachweis des HI-Virus’) handelt und mit Aids lediglich das voll ausgeprägte Krankheitsbild benannt wird.

Vertragsabschluss nur nach Einzelfallprüfung

Dennoch: Der Versicherungsmarkt öffnet sich langsam. Bei der Risikolebensversicherung stellt für Menschen mit HIV die Infektion kein grundlegendes Hindernis mehr dar. Eine Übersicht jedoch, welche Versicherer Policen anbieten und welche nicht, gibt es nicht. Denn jeder Versicherer prüft den jeweiligen Einzelfall und entscheidet individuell. So bleibt nur „Trial and error“, wie Schrammke es nennt. In der Vergangenheit konnte er jedoch in der Hälfte der angefragten Fälle eine Risikolebensversicherung finden, mit langsam steigender Tendenz.

Eine Ablehnung sei aber so gut wie sicher bei Menschen mit dem Vollbild Aids, weiß der Finanzberater. Schwierig wird die Absicherung bei HIV-Positiven, die außerdem mit Hepatitis C infiziert sind, erklärt darüber hinaus der GDV auf Nachfrage. Ansonsten müssten HIV-Positive bei ihrem Antrag nicht mehr beachten als Menschen ohne HIV.

Offenlegung der Gesundheitsdaten

Wie bei jeder Risikolebensversicherung steht am Anfang die individuelle Risikoprüfung. Dabei müssen die Antragstellenden wahrheitsgemäße Angaben zu ihrer Gesundheit machen, in der Regel für die letzten fünf Jahre. Gefragt wird unter anderem nach chronischen Erkrankungen und regelmäßigen Behandlungen, manchmal sogar dezidiert nach HIV. In der Regel fragen die Versicherer dann die Viruslast, die CD4-Zellzahl, den Zeitpunkt der Diagnose und die Medikation beim behandelnden Arzt/bei der behandelnden Ärztin ab.

„Die Versicherungswirtschaft tut gut daran, bei den medizinischen Fakten zu bleiben“

Die Risikoprüfung entscheidet, ob Interessent_innen normal, mit einem Beitragsaufschlag, einem Leistungsausschluss oder einer Wartezeit abgesichert werden können – oder gar nicht. Wer jedoch einmal eine Versicherung abgeschlossen hat, muss keine weitere Gesundheitsprüfung befürchten. Jede mögliche medizinische Verschlechterung innerhalb der Vertragslaufzeit ist dann allein das Risiko des Versicherers.

Wer nicht gleich einen förmlichen Antrag bei einer Versicherung stellen will, kann auch eine sogenannte Risikovoranfrage über eine_n Makler_in stellen. Diese_r fragt dann mit allen relevanten Informationen verschiedene Versicherer an, die rückmelden, ob und unter welchen Konditionen sie einen Abschluss anbieten können. Der Vorteil, so Versicherungsmakler Schrammke: Interessent_innen flössen auf diese Weise nicht in die zentrale Wagnisdatei („HIS“) ein, in der die Versicherungswirtschaft alle wichtigen Kundendaten sammelt und abgleicht – so auch, wenn Antragstellende (auch abgelehnte) ernsthafte Erkrankungen wie etwa eine HIV-Infektion haben.

Stigmatisierung abbauen!

Dass zunehmend auch Menschen mit HIV Risikolebensversicherungen abschließen können, ist für Silke Eggers, Referentin bei der Deutschen AIDS-Hilfe, ein wichtiger Schritt hin zum Abbau von Stigmatisierung, der viele HIV-Positive noch immer ausgesetzt sind. „Die Versicherungswirtschaft tut gut daran, sich an die medizinischen Fakten zu halten. Und diese besagen, dass HIV heute gut behandelbar ist und damit kein grundsätzliches Ausschlusskriterium mehr darstellt. Hier scheinen aber einige Versicherer weiter zu sein als andere“, so Eggers.

Bis Menschen mit HIV flächendeckend Risikolebensversicherungen zur Verfügung stehen, könnte für manche eine Alternative interessant sein, sagt Versicherungsmakler Schrammke: „Statt über eine Risikolebensversicherung kann man sich aktuell noch bis zu 150.000 Euro über einen Todesfallschutz ohne Gesundheitsfragen absichern. Möglich ist das über einzelne fondsgebundene Rentenversicherungen, die den Einschluss einer garantierten Todesfallsumme vorsehen.“

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