Vier Wochen nach dem Start der Elektronischen
Gesundheitskarte (eGK) werden in einem offenen Brief an
Gesundheitsminister Gröhe Vorwürfe gegen die Krankenkassen erhoben,
Patienten ohne eGK zu schikanieren. Der änd hat unter anderem mit der
Verfasserin des Schreibens gesprochen. Des Weiteren mit einer betroffenen Arztpraxis, mit der Verbraucherzentrale Hamburg, Christoph Kranich und mit dem Patientenbeauftragten des Deutschen Bundestages Laumann.
„Was
gesetzlich Versicherte seit Anfang des Jahres in Arztpraxen und
besonders bei ihren Krankenkassen erleben müssen, kann einen schon
ziemlich betroffen, ja sogar traurig machen“,
schreibt Gaby Thiess am 27. Januar an Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).
Sie ist einerseits Patientin und andererseits beim Aktionsbündnis
„Stoppt-die-e-Card“ engagiert. Dort nimmt sie – wie sie im Gespräch mit
dem änd erklärt – die Anrufe von betroffenen Versicherten entgegen. Der
Spitzenwert habe bei 22 Anrufern pro Tag gelegen. Viele seien „sehr,
sehr verzweifelt“, weil sie chronisch krank sind und ohne gültige eGK
erhebliche Probleme in Arztpraxen, aber auch mit den
Ersatzbescheinigungen der Krankenkassen hätten. Wahrscheinlich, so
vermutet Thiess, muss die Mehrzahl der Betroffenen den Widerstand gegen
das umstrittene Projekt „Elektronische Gesundheitskarte“ nun aufgeben.
In ihrem Schreiben an Gröhe führt Thiess aus, was Versicherte
eigenen Darstellungen zufolge erlebt haben: „Schriftliche Anforderungen
nach einer Ersatzbescheinigung wegen eines bevorstehenden Arzttermins
wurden mehrfach von mehreren Kassen gar nicht erst beantwortet. Auf
telefonische Nachfrage hin wurde mitgeteilt, dass solche Briefe
grundsätzlich nicht mehr beantwortet werden. Das sei eine Anordnung ,von
ganz oben’.“ Außerdem werde der Druck auf gesetzlich Versicherte „durch
Aussagen wie ,In Kürze wird es gar keine Ersatzbescheinigungen mehr
geben, dann müssen Versicherte ohne eGK Arztrechnungen generell privat
bezahlen’, massiv erhöht.“
An anderer Stelle heißt es in dem offenen Brief: „Das
Praxispersonal meines Arztes wollte meine Ersatzbescheinigung gar nicht
annehmen. Ich müsse auf jeden Fall in diesem Quartal die neue Karte
einlesen lassen. Man könne sonst nicht abrechnen. Auf der Bescheinigung
stand explizit, dass die Praxis meine Behandlung für diesen Tag mit der
Bescheinigung abrechnen kann.“ Laut Thiess sind Ärzte und Praxispersonal
„leider in manchen Fällen sehr schlecht informiert, andere scheuen die
zusätzlich entstehende Arbeit.“ Dafür habe sie zwar Verständnis, „aber
auf der anderen Seite liegt mir die Sicherheit meiner sensiblen
Krankheitsdaten sehr am Herzen“, schreibt sie an Gröhe und fordert ihn
auf, „dem Treiben“ ein Ende zu setzen, denn „Wir wollen diese
,Schnüffelkarte’ nicht!“
Thiess` Wunsch, so sagt sie gegenüber dem änd, ist folglich, dass
das Projekt „eGK“ endgültig gestoppt und die alte
Krankenversichertenkarte wieder eingeführt wird. Die eGK sollte es ihrer
Auffassung nach nur als Alternative für jene Versicherte geben, die
eine solche Karte „wirklich wünschen und dann auch nur, wenn sie
umfassend auch über die Gefahren einer solchen Karte aufgeklärt werden“.
„MFA darf man auf das Thema gar nicht mehr ansprechen“
Dr. Ute Rippel-Lau, niedergelassene Ärztin in Hamburg, berichtet
gegenüber dem änd vom eGK-Stress in ihrer Praxis. Unter dem würden vor
allem ihre Medizinischen Fachangestellten (MFA) leiden. „Sie darf man
auf dieses Thema gar nicht mehr ansprechen.“ Seit Anfang Januar habe es
bei 49 Patienten Probleme wegen der eGK gegeben. Bei einem Patienten
musste fünf Mal eine Mitgliedsbescheinigung seiner Krankenkasse
angefordert werden, weil sich die Behandlung über mehrere Termine
streckte, die Kasse aber jeweils nur eine Versichertenbescheinigung für
einen Tag ausstellte.
Das würden viele, wenn auch nicht alle Krankenkassen so handhaben,
sagt Rippl-Lau. Zudem sei von Patienten mitunter verlangt worden, auch
für die Ersatzbescheinigung ein Foto einzuschicken. Ständig müssten ihre
MFA bei den Kassen angerufen, „das ist reine Schikane“. Für ihre Praxis
bedeute das „unheimlich viel Mehrarbeit“. Hinzu kämen unfreundliche
Kommentare von Kassenmitarbeitern – etwa an den Service-Hotlines. Laut
Rippl-Lau gibt es auch Probleme mit bettlägerigen Patienten. Sie sollten
– so sei das gesetzlich angedacht gewesen – eine eGK ohne Foto
bekommen. „Das hat aber wohl nicht überall funktioniert.“ Mitunter
hätten diese Patienten noch immer die alte Versichertenkarte, die in der
Praxis nicht eingelesen werden kann.
Von Beschwerden im Zusammenhang mit der eGK berichtet auch die
Verbraucherzentrale Hamburg. Manche Patienten klagten darüber, in der
Arztpraxis wieder nach Hause geschickt worden zu sein, weil sie keine
e-Card hätten vorlegen können. „Wir hören von Ärzten, die die Patienten
dann gar nicht behandeln. Es gibt aber auch Ärzte, die akzeptieren sogar
noch die alten Krankenversichertenkarte“, sagt Verbraucherschützer
Christoph Kranich im Gespräch mit dem änd. Auch die Krankenkassen
verhielten sich sehr unterschiedlich. Einige Versicherte ohne eGK würden
sich beschweren, dass ihre Kasse ihnen immer nur für einen Arztbesuch
eine Ersatzbescheinigung ausstelle, andere bekämen aber auch
Bescheinigungen für ein ganzes Quartal ausgestellt. Dieses Wirrwarr sei
Folge einer gezielten Desinformationskampagne zur eGK, meint Kranich.
„Das ist so gewollt, die Politik will das Projekt durchpeitschen.“
Der Verbraucherschützer gibt zu, dass die Verbraucherzentrale
Hamburg sicherlich „am skeptischsten“ von allen Verbraucherzentralen mit
dem Thema e-Card umgehe. „Trotzdem raten wir niemandem dazu, sich der
Karte zu verweigern. Denn gerade für chronisch Kranke würde das sehr
viel Stress bedeuten.“ Wenn jedoch jemand gezielt nachfrage, wie man
sich gegen die eGK wehren könne, dann kläre die Verbaucherzentrale
darüber auf.
Aus dem Pressebüro des Patientenbeauftragten Laumann hieß es auf
änd-Nachfrage dagegen, dass Probleme durch die Einführung der eGK bisher
nicht bekannt geworden sind. Am Montag und Dienstag treffen sich in Hamburg unter anderem Datenschützer und IT-Experten, um über das Thema eGK und E-Health-Gesetz zu diskutieren.Berciht ÄND 31.1.2015, Abdruck mit Erlaubnis des ÄND