Bloggende Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikation

BLOG: RELATIV EINFACH

… aber nicht einfacher
RELATIV EINFACH

Vermutlich gibt es keine provokantere Eröffnung für einen Workshop über Wissenschaftskommunikation (in diesem Falle “Image statt Inhalt?” der Volkswagenstiftung), als den Nachweis zu versuchen, dass Wissenschaftskommunikation der Wissenschaft schadet. Dafür vielen Dank, Frank Marcinkowski und Matthias Kohring – das versprach von vornherein interessante Diskussionen, da sich viele Teilnehmer deutlich wahrnehmbar angestachelt fühlten!

Was mich aber sowohl bei jenem Vortrag als auch bei den bislang gehörten Beiträgen (30.6., 15:30 Uhr) wurmt ist, dass die neuen Medien dabei wieder (wie ja auch neulich bei den Akademie-Empfehlungen) recht stiefmütterlich behandelt werden. Die Bemerkung, Wissenschaftskommunikation sei entweder PR oder Journalismus, fielen in diesem Workshop schon mehr als einmal.

Am interessantesten und wichtigsten an den neuen Medien, speziell an Blogs, finde ich im Gegenteil das, was weder der Journalismus noch die PR leisten können.

“Lückenfüller” kann etwas Positives sein
Randbedingung des herkömmlichen Journalismus ist immer, dass sich hinreichend viele Menschen für eine gegebene Aufbereitung eines Themas interessieren. Ist das Niveau zu anspruchsvoll, landet der Artikel so nicht in der Zeitung. Und nicht alle Themen ziehen: Christina Beck von der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft merkte vorhin an, bei nur rund 10 der 80 Max-Planck-Institute würden Pressemitteilungen dann auch von den Medien aufgegriffen – die Themen der anderen (arme Materialwissenschaftler!) seien schlicht nicht gefragt.

Sprich: Wo finden der oder die tiefergehend oder an nicht-Standard-Themen Interessierte Informationen, die ihrem Wissenshunger gerecht werden? Nicht in den Mainstream-Medien. Aber z.B. in entsprechenden Blogs, die ja in punkto Spezialisierung und Tiefe z.T. noch deutlich über das hinausgehen, was in den herkömmlichen Medien “Special Interest” heißt. Blogs schließen eine Lücke für die besonders Interessierten. Das sind naturgemäß nur wenige. Aber Quantität ist ja nicht der einzige Maßstab – sonst gäbe es statt Qualitätsjournalismus nur noch Klone von heftig.co. Ob sich das Bloggen lohnt, das ja durchaus auch dazu dienen kann, Ordnung in die eigenen Gedanken zu bringen, muss zum einen jeder selbst entscheiden. Vom strategischen Standpunkt aus – wie kann Wissenschaft mit politischen Entscheidungsträgern kommunizieren? – bin ich da mittelfristig durchaus optimistisch: Wenn in den Forschungsministerien an geeigneter Stelle besonders Wissenschaftsinteressierte sitzen, und wenn entsprechende Blogs eine Angebotslücke im Angebot für besonders Wissenschaftsinteressierte schließen, dann klingt das nach einer günstigen Kombination.

Differenzierung
Wissenschaftlerblogs bringen meiner Erfahrung nach auch die wissenschaftsübliche Differenzierung in ihre Texte ein – all die Caveats, Qualifikationen, Vorbehalte, Aussagen zu Fehlerquellen, die bei der Umwandlung in einen massenpublikumstauglichen Text leider nicht selten weitgehend oder ganz auf der Strecke bleiben. Und siehe da: gerade hat Herr Hüttl (als acatech-Präsident an den Empfehlungen der Akademien beteiligt) in der Nachmittagsdiskussion angemahnt, solche Differenzierungen sollten es häufiger bis in die Medien bringen.

Qualitätskontrolle
In einer Diskussionen in einer Kaffeepause des Workshops fiel die Bemerkung, es sei aber ein großer Unterschied, ob da im Netz ein mindestens nach dem Vier-Augen-Prinzip geprüfter, redigierter und redaktionell diskutierter, evt. noch von Factcheckern geprüfter Beitrag stünde, oder eben ein Text eines einzelnen Bloggers.

Nun werden wahrscheinlich jedem Wissenschaftler schon ärgerliche Fehler in Medienberichten über das eigene Forschungsgebiet aufgefallen sein, so man die Frage stellen kann, wie wirksam die herkömmlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen beim Wissenschaftsjournalismus überhaupt greifen – wäre alles in Ordnung, hätten wir auch die langlebige Gegenlesedebatte nicht.

Nichtsdestotrotz ist richtig: Blogs stellen Anforderungen an die Medienkompetenz ihrer Leser – wie der Rest des Internets auch. Wer Blogbeiträge liest, muss sich bewusst sein, was er/sie da liest, und von wem. Sich ein Bild von Reputationen der Autoren zu machen, Kommentare richtig einzuordnen und die Diskussionen über verschiedene Blogs hinweg zu verfolgen – all das gehört zur richtigen Blogrezeption dazu.

Ich frage mich aber, ob hier nicht auch eine Chance für den herkömmlichen Journalismus liegt. Der hat nach wie vor eine ungleich höhere Reichweite als die allermeisten Blogs. Ein guter, vertiefender Blogbeitrag stellt andererseits einen Mehrwert für die Leser dar. Und Journalisten haben die angesprochene Medienkompetenz, bei solchen Beiträgen die Spreu vom Weizen zu trennen. Wenn es nur um die Interessen der Leser ginge, könnte ich mir durchaus eine Online-Medienlandschaft vorstellen, in der die Marken-Medien auf interessante Blogbeiträge verlinken. Ich weiss nur nicht, ob sich das mit dem derzeitigen Geschäftsmodell verträgt, möglichst viel auf eigene und möglichst wenig auf externe Beiträge zu verlinken, um die Leser möglichst lange auf der eigenen Webseite (und die eigenen Werbeanzeigen damit möglichst lange im Blick der Leser) zu halten. Ich muss mal darauf achten, ob Zeitungs-Webseiten in punkto externe Links immer noch so knauserig sind wie früher. Vielleicht tut sich da ja etwas.

Wie steht es bei den Blogs mit der Selbstkontrolle? Bei den Wissenschaftlerblogs gilt zunächst einmal so wie in der Wissenschaft selbst: Wer da, zumal über das eigene Fachgebiet, Unsinn schreibt, schadet seinem Ruf als Wissenschaftler. Das sollte die erste Abschreckung sein, nicht sorgfältig genug zu bloggen. Zweites Schlüsselelement ist die gegenseitige Bezugnahme von Blogs – je ausgeprägter die Kultur, Blogeinträge anderer Autoren aufzugreifen und gegebenenfalls zu kritisieren, umso eher können sich Leser bzw. Leserin eine Meinung über Blogger-Reputationen und über spezifische, von mehreren Seiten diskutierte Themen bilden. (Dass sich Blogs, wenn auch von Profis betrieben, auch zu Kritik an den herkömmlichen Medien aufschwingen, allen voran bildblog.de, schienen einige meiner journalistischen Diskussionspartner allerdings nicht gut zu finden. Hm.)

Zusammengefasst: Ich sehe für Blogs durchaus eine wichtige Rolle im Ökosystem Wissenschaftskommunikation – nicht als Ersatz für, sondern als Ergänzung zum Wissenschaftsjournalismus; nicht vornehmlich als PR-Instrument, sondern im Gegenteil als einen Weg, wissenschaftliche Inhalte zu vermitteln, ohne Kritik auszublenden. Am heutigen Workshoptag wurden viele interessante Themen diskutiert. Schade, dass dieses her nicht auch dabei war. Anknüpfungspunkte hätte es viele gegeben. Vielleicht bringen ja die morgigen Arbeitsgruppensitzungen mehr. An denen kann ich leider nicht teilnehmen – ich fahre gerade wieder zurück nach Heidelberg. Aber mich interessiert natürlich schon, was da morgen passiert – bloggt jemand vielleicht darüber?

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

3 Kommentare

  1. Danke für diesen Blogbeitrag – alleine das Tempo zeigt, welchen Beitrag Blogs für die Wissenschaftskommunikation leisten können! Ich glaube, dass die Trennung, die hier gemacht wird – hier der Journalismus, die PR, dort die Blogs – sich mehr und mehr auflösen wird, bzw. aufgelöst hat, und damit die Bedeutung von Blogs steigen wird. Immer mehr Medienangebote integrieren Blogs in ihre Auftritte. Dazu muss man gar nicht weit gucken, sondern nur in die Headline dieses Blogs hier. Aber auch ZEIT-Hamburg ging an den Start mit einer Rubrik “Blog Speersort 1” und integriert dort Blogger aus der Stadt. stern.de macht das Gleiche. Auf kurz oder lang werden sich die Medien und Blogs immer weiter verschränken. Sicherlich sind da die so genannten “Alpha-Blogger” erst einmal vorn, aber da diese wiederum mit anderen verknüpft sind, spinnt sich das Netz weiter. Auch für die PR im Sinne ihrer ursprünglichen Bedeutung – Gestaltung von öffentlichen Beziehungen – stimmt die Trennung nicht mehr. Es heißt nicht mehr “PR oder Blog” bzw. “PR und Blogs” – Blogs sind PR: ein Weg, über den Wissenschaftler ins Gespräch kommen mit Dialogpartnern.

  2. Unbeschwertes Bloggen ist sicher etwas herrliches. Doch in der langen Frist (in der wir bekanntlich alle tot sind) oder sogar in der mittleren Frist bezweifle ich, dass man beispielsweise Max-Planck-Wissenschaftlern erlaubt frisch von der Leber weg ihre Erfahrungen zu kolportieren. Denn was der Blogger sagt, fällt letztlich mindestens teilweise auf den Arbeitsgeber zurück.
    Damit beziehe ich mich auf folgende Aussage von oben

    Bei den Wissenschaftlerblogs gilt zunächst einmal so wie in der Wissenschaft selbst: Wer da, zumal über das eigene Fachgebiet, Unsinn schreibt, schadet seinem Ruf als Wissenschaftler.

    Unsinn schreiben über das eigene Fachgebiet ist sicher dumm. Doch wie steht es damit, bestimmte als fragwürdig erlebte Praktiken des Fachgebiets oder des Instituts in dem der Blogger arbeitet, im Blog zu erwähnen. Das ist wahrscheinlich heute schon problematisch und wird, wenn sich der Radar von Verantwortlichen einmal eingepeilt hat auf halboffizielle Quellen aus dem Internet, schwierig werden.

    Blogs, die eine enge Beziehung zu forschenden und lehrenden Institutionen haben, haben bereits heute, nach nur ein paar Jahren Erfahrung, die Tendenz, die Inhalte zu kontrollieren. Das gilt beispielsweise für den Zukunftsblog und auch aundere Blogs der ETH Zürich. Dort werden Kommentare moderiert und im Zukunftsblog kann man maximal 1500 Zeichen pro Kommentar schreiben. Im Vergleich zu den ersten Blogversuchen der ETH ist der Kommentar nun auch viel weniger prominent sichtbar, füllt er doch nicht mehr die ganze Seitenbreite sondern ist an den rechten Rand gequetscht. Einen völlig offenen Blog wollen gewisse Institutionen also nicht und die Tendenz geht zu mehr Kontrolle der Inhalte.

  3. Danke für diesen Klasse-Beitrag und die Kommentare!
    Mich stört der immer mal wieder gern konstruierte Gegensatz von “Wissenschaftsjournalismus versus Science-Blogs” beträchtlich.
    Er ist sachlich nicht fundiert.
    Die undifferenziert vorgetragene Kritik an Science-Blogs hinterfragt nämlich nicht ihr inhaltliches und sprachliches Niveau, sondern wird allgemein am Medium „Blog“ aufgehängt. Das geht an einer Diskussion der Qualität vorbei.
    Wissenschaftsjournalismus ist ja auch nicht pauschal zu beurteilen, sondern abhängig von der Qualität der einzelnen Autoren.
    Die Schlagworte “Lückenfüller”, Qualitätskontrolle und Differenzierung sprechen die wesentlichen Punkte an. Ein wichtiger Aspekt ist für mich noch, dass Science-Blogger der großen renommierten Science-Blog-Plattformen ohnehin schon eine Vorauswahl durchlaufen haben und i. d. R. ihre thematische und sprachliche Expertise bereits vorab nachgewiesen haben. Gleichzeitig findet durch die Kommunikation mit den SB-Kollegen und den oft sehr qualifizierten Kommentatoren sehr wohl eine gewisse Qualitätskontrolle statt.
    Für mich ist es etwa die Autorisierung von Zitaten selbstverständlich – ich bin selbst so oft falsch zitiert worden, dass ich derartige Fehler in eigenen Beitragen vermeiden möchte. Es schadet meiner journalistischen Unabhängigkeit keinesfalls, sondern respektiert meine Gesprächspartner und macht meine Beiträge (in Blog und Print) zuverlässig.
    Die Angst vor dem Medium “Blog” ist die Angst vor Kontrollverlust. Teilweise berechtigt, gerade bei offiziellen Institutsblogs. Da brauchen Science-Blogger Fingerspitzengefühl und einen langen Atem, um auch konservative Kräfte an den Institutionen von ihrer Arbeit positiv zu überzeugen.
    Ich sehe Blogs auch als Ergänzung, keinesfalls als Ersatz zur bestehenden Wissenschaftskommunikation, aus den gleichen im Beitrag bereits genannten Gründen.
    Übrigens: Zu Blogs der Max-Planck-Gesellschaft kann ich nichts sagen. Aber ihre Facebook-Dependance ist ausgezeichnet : )