Kicksat und “Femtosatelliten” – Was soll das?

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Gestern sollte eigentlich eine Falcon 9-Rakete mit einem Versorgungsschiff zur ISS starten, aber der Start ist erst einmal um bis zu drei Wochen verschoben, weil in Cape Canaveral aufgrund eines Kurzschlusses ein Tracking-Radar ausgefallen ist. Als Beipacknutzlast hat diese Rakete einen Cubesat (Kleinstsatelliten) namens Kicksat an Bord.

Kicksat entstammt einer Initiative des Luft- und Raumfahrtstudenten Zachary Manchester von der Cornell-Universität in Ithaca, NY. Es handelt sich dabei eigentlich nur um einen Sammelbehälter für mehr als einhundert “Femtosatelliten”, der neuesten Stufe in der Miniaturisierung, nach Mini-, mikro-, nano- und Picosats, die er nach seinem Aussetzen auf ein Funkkommando im Orbit aussetzen soll.

Diese “Femtosatelliten” namens Sprite sind “Satellites on a chip”, sie vereinen einige Funktionalität eines Satelliten auf einer nur 3.5 x 3.5 cm kleinen Platine. Die Finanzierung des Projekts erfolgte, wie es sich gehört, durch Crowdfunding. Für eine geringe Summe kann man seinen Namen auf einem Sprite verewigen, für mehr Geld sendet einer der Sprites (wenn er funktioniert), die Initialen des Sponsors, und ab 1000$ kriegt man ein Developer’s Kit, mit dem man seinen eigenen Sprite programmieren kann. Für noch mehr Geld ist man beim Start dabei und für richtig viel Geld darf man auf den roten Knopf drücken, der das Aussetzen durch den Kicksat auslöst.

Die Femtosatelliten werden eine orbitale Lebensdauer von nur einigen Tagen bis Wochen haben, sie tragen nicht zum Weltraummüll-Problem bei. Das ist schon mal eine gute Sache.

Jetzt stellt sich natürlich schon die Frage, was denn ein Femtosatellit (oder ein ganzer Schwarm davon, um mal das Modewort zu bemühen), in der Praxis bringen soll. Nennenswerte Sendeleistung oder Datenbandbreite kann etwas so kleines schon prinzipbedingt nicht haben. Wo soll die Leistung herkommen, wo eine bündelnde Antenne sitzen. Mit Glück wird man vom einen oder anderen ein paar bytes empfangen können, aber was weiter?

Schwarmintelligenz? Adaptive, selbst-organisierende Systeme? Ach was. Keiner von diesen Satelliten ist imstande, seine Bahn zu bestimmen oder gar zu verändern, und auch nicht seine inertiale Ausrichtung. Letzteres mag vielleicht noch mittels einer magnetischen Spule machbar sein. Aber ein Mikro-Antriebssystem? Im niedrigen Erdorbit werden die Dinger vom atmosphärischen Widerstand getrieben, in höheren (in die man so etwas tunlichst nicht starten sollte!) vom Solardruck. Dort werden zudem noch einfache Aufgaben wie das Senden und Empfangen von Funksignalen schon unüberwindliche Hürden darstellen.

Die British Interplanetary Society ist selbstverständlich ganz begeistert und tief engagiert (alles andere hätte mich bei denen auch gewundert). Auch AMSAT interessiert sich für dieses Projekt, das Amateurfunkern natürlich gefällt.

Natürlich ist es gut, wenn Amateure und begeisterte Laien für wenig Geld Zugang zu einem System haben, das tatsächlich einmal ins Orbit gestartet wird und dort funktionieren soll – unterstellen wir mal, dass zumindest einige Sprites zumindest eine Zeit lang durchhalten. Das allein wäre schon ein Grund, die Sache durchzuziehen, aber ehrlich gesagt, ein darüber hinausgehender Grund oder gar ein greifbarer Nutzwert ist mir da auch nach reiflicher Überlegung nicht ersichtlich.

Was kommt als nächstes? Attosatelliten auf Molekülgröße?

Weitere Information

Kosmologs-Artikel “Kleinvieh macht auch Mist vom 9.4.2010

“Kicksat – Your Personal Satellite in Space” von Zachary Manchester auf kickstarter.com

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

11 Kommentare

  1. In der Wikipedia liest man: “Sprites can be organized into fleets; one of them will be named for the British Interplanetary Society.[14] London Hackspace has begun work on its own ground station”

    Sprites werden als Beginn des “personal spaceflight” gefeiert. Die Euphorie mag vielleicht übertrieben sein, ich behaupte aber: Falls sich irgend ein Anwendungszweck für solche chipgrossen “Raumschiffe” finden lässt, so lohnt sich das sicher, denn die Kosten pro Sprite sind sehr gering. Schon 2011 gab es Berichte darüber. Ein Vorschlag dort war:

    We could, for instance, send tens of thousands of Sprites into orbits between Earth and the sun. These simple chips would have one task: to send a signal to Earth when the local magnetic field or the number of charged particles that hit the spacecraft exceeded some threshold. Taken alone, each chip would provide just one data point. But a network of these scattered chips could produce 3-D snapshots of space weather, something no traditional spacecraft, no matter how sophisticated, could ever do on its own.

    Einen Vorschlag, den ich für Sprites noch nicht gefunden habe, der mir aber plausibel erscheint, wäre der Einsatz als Smart Dust um Daten wie Temperatur, Sonneneinstrahlung, und so weiter au f einem grossen Mond- oder Marsgebiet zu messen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sprites den Wiedereintritt heil überstehen und dass man sie quasi auf den Mars herunterregnen lassen könnte. Jedes Sprite würde seine Messungen einige Kilometer weit senden (Interferenzen könntem mit spezieller Codierung und einer ID vermieden werden) und von einer auch auf dem Mars gelandeten Transmitterstation würden die Messungen schliesslich Richtung Erde weitergesendet werden. Dann könnte es schon bald sein, dass wir über das “Marswetter” (mindestens die lokalen Temperaturen) mehr wissen als über das Erdwetter.

    • Es stimmt, dass es jede Menge Vorschläge gibt, die schnell mal auf den Tisch geworfen werden. Aber wie viele dieser Vorschläge sind denn mit der harten Realität unter einen Hut zu bringen? Wie soll denn konkret der Funkverkehr von und nach solchen Minisonden erfolgen, wenn die auch noch im interplaneteren Raum unterwegs sind? Wie soll irgendeine nenenswerte Abschrimung gegen Kälte., Hitze und Strahlung vorgenommen werden? Wie sollen solche Platinen auf dem Boden eines Planeten die Nacht und den Tag überstehen? Selbst große Sonden tun sich damit nicht gerade leicht. Wie sollen die sich den konkret organisieren können, wenn sie ihre Bahn nicht kennen und sie auch nicht steuern können? OK, im interplanetaren Raum vielleicht durch Sonnensegeln – tun wir mal so, als könnten die bestimmen, wo sie selbst sind.

      Es gibt doch einen Grund, weswegen bei Satelliten so viel Aufwand in Abschirmung, Wärmehaushalt und Redundanz fließt. Wieso glauben denn immer alle, das könne man straflos ignorieren?

      • Es braucht halt Space-Hardened Chips. Und ein paar Werkstoffingenieure könnten sich mit einem Design profilieren, welches den Bedingungen des Raums oder der Marsoberfläche trotzt.

        Für einige Anwendungen braucht es überhaupt keine aktive Bahnsteuerung, sondern nur das 3D-Vermessen des Raumgebiets in dem die Sprites gerade treiben.
        Ein Vorschlag, den ich gelesen habe, wäre das Herunterregnen lassen von Sprites auf die Venus. Bis die Sprites von der Hitze der unteren Venusatmosphäre verbrüht wären könnten sie noch viele nützliche Daten zurücksenden.

        • Nun ja, also ich bin da ja auch eher Skeptisch. Ohne einen grösseren Begleiter in der Nähe dürften die Dinger relativ Nutzlos sein. Denn dieser grössere Begleiter muss die schwachen Signale der Sprites auffangen, und weiter leiten. Selbst die Materialspezialisten dürften damit nicht allzuviel Freude haben, weil die doch sicher gerne untersuchen würden, wie sich das Material in der Praxis verhalten hat, und wo noch Schwächen im Design sind. Das geht bei diesen Dingern aber nicht.
          Und für die Venusatmosphäre halte ich derzeit Ballonmissionen für wesentlich sinnvoller. Den Ballon kann man so bauen, das er eine bestimmte Minimalhöhe nicht unterschreitet und kann da, wo er schwebt, mehr Daten erfassen, als diese Sprites es je könnten. Aussdem kann er auch die notwendige Sendetechnik tragen, die die Daten dann weiter leitet. Das dürfte ein Satellit sein, der um die Venus kreist, und als Relaisstation fungiert. (Wahrscheinlich der Satellit, der den Ballon auch zur Venus hin brachte und aussetzte.)

          • Ein altes Projekt so ein Venusballon, aber viel aufwendiger als es zuerst aussieht. Zudem mit dem Risiko eines völligen Scheiterns behaftet. Sprites wären dagegen ein gutes Vorausprojekt. Die Daten, die sie an den Satelliten übermitteln, der sie ausgesetzt hat, könnten dann die Grundlagen für eine Ballonmission liefern.
            Standardisierte Sprites wären für viele Aufgaben einserzbar, wo man Daten über ein grosses Raumgebiet sammeln will, eben um beispielsweise eine komplexe Atmosphäre wie diejenige der Venus zu erforschen.

          • Na ja, Vega hat ja schon 2 Ballone ausgesetzt, die waren aber nicht sehr lange aktiv. Venus ist mit ihrer dichten Atmosphäre für eine Ballonmission wohl gut geeignet.

  2. Intelligenter Weltraumstaub wie es die Sprites sind, gehören für mich in den Bereich der universell einsetzbaren Weltraumtechnologie von der es bis jetzt viel zu wenig gibt. Heute dominieren hochspezialisierte Missionen, die zwar im Erfolgsfall beeindruckende Resultate hervorbringen, aber eine Vorbereitungszeit von Jahren bis Jahrzehnten haben. Standardplatformen, die für viele verschiedene Missionen eingesetzt werden können, versprechen dagegen mehrere Vorteile
    – Schrittweise Verbesserung motiviert von den Erfahren wiederholten Einsatzes
    – Schrittweise Kostensenkungen, indem die Technologie zum Massenfabrikat wird
    – Etablierung eines neuen Denkens in Technologiegenerationen

    Für mich gehören selbst die wiederverwendbaren Raketen von SpaceX in diesen Bereich. Sie etablieren im günstigsten Fall eine neue Generation von Raumvehikeln, die als neue Zielgrösse die Kosten für einen Transfer eines Kilogramms Nutzlast in den Orbit haben. Alles andere muss sich diesem Ziel fügen wie das in jeder standardisierten Technologie mit einem klaren Ziel der Fall ist. Bei einer Bürkoklammer entscheidet bloss die Funktion und das bedeutet automatisch, dass der Preis mit der Zeit kleiner wird.

  3. Nicht jeder Vorschlag, den irgendwer mal ins Web gestellt hat, ist auch gleich an der Realität geerdet. Die Abhärtung gegen kosmische Strahlung ist ja nicht alles (wobei das allein schon mal nicht so einfach ist). Die thermischen Probleme sind nicht einfach nur eine Frage des Werkstoffs, den mal eben jemand entwickeln soll. Und es sind nicht die thermischen Probleme allein. Man hat elektromagnetische Pulse durch statische Elektrizität, gegen die eine offen liegende Platine auch nicht unbedingt geschützt werden kann. Harte ultraviolette Strahlung. Atomarer Sauerstoff. Mikrofeiner Staub.

    Selbst angenommen, man könne die Bordelektronik so miniaturisieren und die Probleme der unzuträglichen Umwelteinflüsse lösen. Ich wüsste nicht wie, aber nehmen wir es mal an. Dann ist es immer noch so, dass Instrumente nicht einfach beliebig verkleinert werden können. Optische Systeme schon einmal nicht. Da gibt es einen festen Zusammenhang zwischen der erzielbaren Auflösung und der Apertur.

    Gleiches gilt für die Funkausrüstung. Richtige Raumsonden gehen zu immer höheren Frequenzen und verwenden immer größere Antennen, um die erforderliche Datenbandbreite zu gewährleisten. So ein Chipsatellit wäre an UHF gebunden. Vielleicht gerade noch so S-Band. Holwellenleiter wird man ja wohl nicht auch noch auf einem Chip implementieren wollen. Die Winz-Antenne dürfte Rundstrahlcharakteristik und nahezu 0 dB Gewinn haben. Wenn man da aus ein paar Hundert Kilometern noch das Trägersignal empfängt, darf man sich glücklich schätzen.

    Man kann doch nicht die harte physikalische Realität ignorieren und von allen möglichen imaginären Eigenschaften ausgehen. Wie soll denn das in der Realität aussehen?

    Wenn das alles so einfach wäre mit dem Winzigklein, warum fahren denn dann nicht Flotten von Winzrovern über Mond und Mars? Vielleicht auch deswegen, weil Winzigklein auch das bedeutet: Wenig Abschirmung, wenig Redundanz, wenig Solidität und wenig wissenschaftlicher Wert.

    • Sehe ich anders: Winzigklein bedeutet eben auch tausend- bis millionen-Mal. Mit Ausfällen muss von vornherein gerechnet werden, aber Ausfälle legen nicht das ganze System lahm. Ganz anders als bei einem teuren Marsrover, der durch den Ausfall eines vitalen Systems untauglich wird. Deshalb braucht es so viele Redundanzen bei solch teuren Geräten.

      Das einfachste Schwarmsystem mit Weltraumstaub würde so funktionieren: Jedes intelligente und autonome Partikel sendet die an seinem Aufenthaltsort gemessenen Sensorwerte ungerichtet zu seinen Nachbarn von denen einige darauf spezialisiert sind, die Nachricht an eine grössere Transmitterstation weiterzusenden.

      Die Space-Sprites Idee kann auch andere Formen annehmen als beim gerade gestarteten Kicksat-Projekt wie man im Artikel KickSat co-creator, team launches new ‘Pocket Spacecraft’ project on Kickstarter liest, wo Compact-Disk-ähnliche hosentaschengrosse Satelliten zum Einsatz kommen sollen.
      Noch zur Aussage: “Dann ist es immer noch so, dass Instrumente nicht einfach beliebig verkleinert werden können. Optische Systeme schon einmal nicht. Da gibt es einen festen Zusammenhang zwischen der erzielbaren Auflösung und der Apertur.”
      Doch gerade letzte Woche wurden linsenlose Kameras kleiner als ein Penny vorgestellt.
      Ich behaupte: Miniraumschiffe für 100 bis 1000 Dollar pro Stück sind machbar und sie können detaillerte Informationen über ein grösseres Raumgebiet einsammeln und zurücksenden.

    • Intelligenter Weltraumstaub ist natürlich kein Ersatz für grössere Missionen. Vielmehr wird damit eine neue Art von Mission überhaupt erst ermöglicht.

  4. In Self-Healing Transistors for Chip-Scale Starships liest man, dass KAIST (Korea) und NASA an Chip-grossen Raumschiffen arbeiten, also an nackten Chips, die weltraumgehärtet sind und direkt als Raumfähren eingesetzt werden können. Weltraumgehärtet bedeutet vor allem, dass diese Chips die erhöhten Strahlungswerte des Weltraums überstehen.
    Im obigen Beitrag “Kicksat und „Femtosatelliten“ – Was soll das?” geht es genau um solche „Satellites on a chip“, allerdings scheinen die in diesem Crowd-Funding-Projekt verwendeten Chips ungehärtet zu sein. Michael Khan glaubt allerdings, dass selbst für Weltraumverhältnisse gehärtete Chips, nicht sehr brauchbar sein werden. Ich bin jedoch nicht von vornherein so pessimistisch, denn Ideen wie intelligenter Staub (smart dust), welcher Sensoren, Rechenleistung und Kommunikationsmittel vereint, geistern schon längere Zeit herum. Und lassen sich mit einer Verbindung von heutiger Elektronik und MEMS (Micro-Electro-Mechanical Systems) wohl auch realisieren. Allerdings endet der Artikel mit dem Satz (von mir übersetzt):
    “Die Kosten von selbstheilender Technologie wird eine Schlüsselrolle spielen in der Bestimmung der Zukunft von chipgrossen Raumfähren, welche noch viele Jahre an Investments erfordern werden, bevor sie im Weltraum eingesetzt werden könnnen.”

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