Italien: Beim Kampf um den Titel könnte es knapp werden …

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Das gilt allerdings vermutlich nicht für die Squadra Azzurra, die – 2012 noch EM-Finalist – bei der EM 2016 nicht zu den großen Favoriten zählt. Im Fussball hat das Land derzeit nur durch eine starke Defensive und Torwart-Legende Buffon eine Chance. Aber seit Jahren ist es Europameister (und zugleich Weltmeister) in Hinblick auf die nationalen Stätten, die als schützenswerte Kulturdenkmale in die  Welterbeliste der UNESCO eingetragen sind.

 

UNESCO-Welterbe in Italien
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Erbe der Welt vor allem in Italien?

Ganze 44 (oder gar 46, wenn man den Vatikanstaat dazurechnet) Welterbestätten der Kategorie Kultur befinden sich auf italienischem Boden. Damit ist das Land in Europa absolute Spitze: Es  folgen im Rang mit deutlichem Abstand Spanien (38), Frankreich (35) und Deutschland (34) (die Zählung der Denkmale variiert mitunter, da es auch Mischformen mit Naturerbestätten gibt und außerdem zunehmend auch grenzüberschreitende Denkmale erfasst werden). Auf kleinstem Raum geballt verzeichnet Europa die weltweit höchste Anzahl UNESCO-geadelter Kulturstätten. Aber Italien sieht sich nicht von der europäischen Konkurrenz bedrängt, wenn demnächst im Juli die Welterbekomission der UNESCO in Istanbul tagt, um über die von den einzelnen Ländern vorgeschlagenen für die Aufnahme in die Welterbeliste zu entscheiden.

Als härtesten Rivalen sieht man in Italien China an: Zählt man nämlich die Gesamtheit aller Einträge in die Welterbeliste (Natur- wie Kulturdenkmale und deren Mischform, aber auch die grenzüberschreitenden Einträge), dann liegt Italien mit 51 Einträgen nicht weit vor China mit 48 Einträgen. Das asiatische Land reicht in diesem Jahr zwei neue Anträge ein – wird beiden zugestimmt, dann beträgt der Abstand zu Italien, das in diesem Jahr auf eine neue Kandidatur verzichtet, nur noch eine einzige Welterbestätte – eine Situation, die im Stiefel als bedrohlich empfunden wird.

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Wurde vom UNESCO-Komitee mangels überzeugender Schutzmaßnahmen 1987 nicht angenommen: Ostia antica

 

Die UNESCO fordert Zurückhaltung

Die italienische Zurückhaltung bei der Bewerbung ist keine neue Bescheidenheit: Um die als ungerecht empfundene Verteilung der Welterbestätten in der Welt auszugleichen, hat die UNESCO alle Länder mit schon sehr vielen Eintragungen zur Mäßigung bei den Bewerbungen aufgerufen und angekündigt, dass Anträge aus diesen Ländern nur noch Chancen auf Aufnahme haben, wenn sie bislang noch nicht oder wenig vertretene Sparten vertreten. So plant Italien für das Jahr 2018 die Beantragung für Ivrea. Die Stadt, die von der Firma Olivetti während des gesamten 20. Jahrhunderts als Industriestandort geprägt wurde, steht seit 2012 auf der italienischen Tentativliste.

Andere Kommunen warten seit Jahren sehnsüchtig auf eine Nominierung. In Italien wie in vielen anderen Ländern (nicht anders als in Deutschland auch) hat die Adelung einer Region durch die Aufnahme ins Welterbe oft große (nicht nur, aber meist positive) lokalpolitische Bedeutung. Und nicht nur das: Der bekanntermaßen für Kulturelles eigentlich nicht allzu empfängliche Silvio Berlusconi prahlte im Jahr 2011, dass 50 % aller europäischen Weltkulturerbestätten in Italien lägen. Eine krasse Übertreibung. Es sind aber immerhin doch um die 10 % .

 

Prestige gegen  Schutzversprechen

Die Aufnahme in die UNESCO-Liste ist mit einem Schutzauftrag verbunden. Damit hat man in Italien aber ein Problem. Jahrelang wurde wenig für den Erhalt und die Pflege der Kulturschätze getan. Das Welterbe-Komitee, das gefährdete Denkmale auf eine Rote Liste setzt und mit Aberkennung des Titels droht, drückte lang die Augen zu. Seit 2010 in Pompeij das „Haus der Gladiatoren“ zusammengebrochen war,  fordert das Welterbekomitee von der italienischen Regierung jedoch konkrete Maßnahmen.

Die ausgewählten italienischen Welterbestätten bestärken ein humanistisch geprägtes, eurozentriertes Weltbild. Die meisten Denkmale stammen aus der Renaissance, dicht gefolgt von den Zeugnissen der Antike. Die erste eingetragene italienische Stätte auf der 1978 eröffneten Liste waren jedoch die steinzeitlichen Felsbilder von Valcamonica. Erst dann folgten Kirche und Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie in Mailand mit dem Abendmahl von Leonardo da Vinci und das historische Zentrum Roms (1980), sodann Florenz (1982), Venedig und Pisa (1987). Insgesamt gab es aber bis 1995 in Italien mit 8 Nennungen nur vergleichsweise wenige eingetragene kulturelle Stätten, im Vergleich etwa zu Spanien (20), Frankreich (19) oder Deutschland (15).

Verteilung nach Epochen Aufnahmejahr
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Die Tentativlisten

Das lag nicht etwa daran, dass es in Italien keine Vorschläge gegeben hätte – im Gegenteil: 1984 brachte das Land 32 Orte auf die Tentativliste, für die meisten davon beantragte das Land jedoch niemals die Aufnahme in die Welterbeliste. Zur Tentativliste: Der Welterbekonvention beigetretene Staaten können bei der UNESCO Listen mit den in den folgenden fünf bis zehn Jahren vorgesehenen Vorschlägen für die Welterbeliste einreichen. Die Eintragung auf der Tentativliste ist Voraussetzung für die Beantragung der Aufnahme in die Welterbeliste.

1987 wurden zwei Anträge (Selinunt und Castel del Monte, inzwischen aufgenommen) zurückgestellt, weil das Welterbekomitee verbindlichere Zusagen für den Schutz des Areals forderte. Mitte der 1990er-Jahre stieg die Zahl der gestellten (und angenommenen) Anträge sprunghaft: Von 1995 bis 1998 wurden 21 neue Weltkulturerbestätten in Italien in die Liste aufgenommen. Die Zahl der italienischen Einträge wurde damit mehr als verdreifacht (im gleichen Zeitraum wurden aber auch mehr als dreißig Nominierungen vorgenommen, die später gestrichen wurden). Waren die Bewerbungen in den 1990er-Jahren besser vorbereitet als die in den Jahren zuvor oder trat Italien  einfach nur offensiver, sprich mit mehr Anträgen auf? Das wäre ein interessantes Thema für eine zeitaufwändige Recherche (alle Dokumente zu den UNESCO-Komitee-Sitzungen sind downloadbar).

Einen neuen italienischen Bewerbungsschub gab es mit 31 Vorschlägen im Jahr 2006: Die meisten davon stehen noch heute auf der derzeit 40 Stätten umfassenden Tentativliste.

Bleibt Italien also Weltmeister? Die italienische UNESCO-Kommission hält dafür ein Umdenken für nötig: Im Gegensatz zu der eher spontanen Auswahl der Vorschläge in der Vergangenheit will man nun auf sorgfältig geplante Auswahl setzen, um den Wert der heimischen Kulturgüter noch besser zur Geltung zu bringen.

Lust auf mehr Wissenschaft aus Italien? Der Nature Index, eine große Datenbank über Publikationen aus vielen Ländern und Instituten, gibt Ihnen einen Überblick über die dortige Forschungsszene.

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

1 Kommentar

  1. Ja, Italien glänzt in seiner Vergangenheit, sicher nicht in seiner Zukunft (Bevölkerungsrückgang, kein Wirtschaftswachstum seit 15 Jahren) und auch nicht in seiner Gegenwart (Reformunfähigkeit).
    Schon mehrmals reagierten italienische Politiker auf den Vorwurf des Stillstandes damit, auf die gloriose Vergangenheit Italiens und die Vielzahl der Kutlurgüter in Italien zu verweisen. Das tun sie zurecht, denn wenn es etwas Grosses gibt in Italien, dann liegt es in der Vergangenheit.
    Italien lebt von seiner Vergangenheit – sogar von der Nachkriegsvergangenheit, nicht nur von der altrömischen. So ist Italien selbst den Chinesen ein Inbegriff von Mode und Lebensstil. Doch für chinesiche Bedürfnisse geht alles zu langsam und ist zu teuer. Deshalb produzieren die Chinesen vor Ort italienisch-/chinesische Waren. Mit einem chinesischen Arbeitsheer zu chinesischen Preisen aber einem italienischen Aufpreis. Diese chinesiche Toskana-Fraktion zählt inzwischen zu den wenigen vorzeigbaren, sich positiv entwickelnden Industrien und Gewerben in Italien. Der Chinese ist quasi der bessere Italiener

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