Die Gesundheitspolitiker der großen Koalition korrigieren den Kurs des PEPP-Systems

Gestern gab es ein Treffen der Gesundheitspolitiker der großen Koalition, die über den weiteren Weg des PEPP-Systems entschieden haben. Das Ergebnis des Treffens ist dieses sehr lesenswerte Eckpunktepapier.

Das PEPP-System ist ein System fest definierter Tagesentgelte, die je nach Diagnose, Behandlungsintensität, Behandlungsdauer und einigen weiteren Rahmenbedingungen eine bundeseinheitliche Vergütung für die jeweiligen Behandlungsfälle festlegt. Dieses System befindet sich nun schon seit einigen Jahren in der Entwicklung und auch in der kontroversen Diskussion. Insbesondere wurde von Vertretern der Psychiatrischen Kliniken immer wieder eingebracht, dass die dem PEPP-System zugrunde liegenden mathematischen Modelle zwar nachvollziehbar sind, letztlich aber nicht geeignet sind, die Gesamtaufwendungen, die eine Klinik pro Fall hat, und mehr noch die Gesamtaufwendungen, die eine Klinik insgesamt hat und von den Krankenkassen erstattet bekommen sollte, abzubilden.

Ein Zusammenschluss aller relevanten Fachgesellschaften hat dann gemeinsam einen Verbesserungsvorschlag entwickelt, der die Möglichkeit betont, dass die Krankenkassen weiterhin, wie in der Vergangenheit, mit den einzelnen Kliniken  individuelle Krankenhausbudgets vereinbaren. Allerdings sollten diesen Vereinbarungen auf der Grundlage einer objektiveren und nachvollziehbaren Grundlage geschehen.

Und tatsächlich haben die Gesundheitspolitiker gestern genau dies entschieden: Die Krankenkassen sollen auch in Zukunft ein jährliches Budget mit jedem einzelnen psychiatrischen Krankenhaus vereinbaren. Grundlage dieses Budgets sollen die nach dem PEPP-System ermittelten Leistungen sein. Aber es können auch andere Faktoren eingehen, wie etwa die Frage, ob ein Krankenhaus an der regionalen Pflichtversorgung teilnimmt, oder welche Zusatzaufgaben das Krankenhaus in der Region sonst noch übernimmt. Das ist ein (Achtung: Jetzt kommt ein Leitartikel-buzzword): Paradigmenwechsel!

Und zwar zum Guten hin! Diese Option kann sehr wohl in Einzelfällen einen begründeten Mehraufwand dann auch wieder abbilden. Ich gehe davon aus, dass die Steuerungswirkung hin auf eine einheitliche Vergütung bei gleicher PEPP-Leistung dennoch recht stark bleiben wird, aber auch das kann gut sein. Gleiches Geld für gleiche Leistung hilft schließlich denen, die viel leisten, und bislang aus historisch gewachsenen Gründen ein niedrigeres Budget hatten.

Das Eckpunktepapier bezieht aber auch zu weiteren wichtigen Fragen Stellung, und zwar durchweg eine erfreuliche:

  • Es bekennt sich zu einer personellen Mindestausstattung psychiatrischer Kliniken (im Prinzip nach der PsychPV). Das ist eine äußerst wichtige und erfreuliche Festlegung.
  • Es beschreibt die Möglichkeit von Hometreatment. Hometreatment ist eine intensive ambulante Behandlung im Krisenfall, die eine stationäre Behandlung ersetzt. Und dies solle ermöglicht werden, ohne die Budgets der Psychiatrischen Institutsambulanzen oder des Ambulanten Sektors zu reduzieren.
  • Es bekennt sich zu ein leitlinienorientierten, qualitätsgesicherten Behandlungen. Und dies soll auch vergütungsrelevant werden.

Meine persönliche Einschätzung:

Ich finde das Eckpunktepapier sehr klug und erfreulich. Die konkrete Ausgestaltung wird noch einige Entscheidungen erfordern, die relevant sind. Aber die grundsätzliche Richtung halte ich für richtig und wünschenswert.
Auch zeigt diese Einigung, dass die starke Einbringung der Fachverbände und deren inhaltlich richtige Argumentation berücksichtigt worden ist.

Wie denkt ihr darüber?

9 Gedanken zu “Die Gesundheitspolitiker der großen Koalition korrigieren den Kurs des PEPP-Systems

  1. grmblfx 19. Februar 2016 / 10:54

    Ich finde es einen Fortschritt gegenüber dem „originalen“ PEPP, sehe es aber nach wie vor kritisch. Nach meiner Einchätzung werden die Folgen die ähnlichen sein wie bei EInführung der DRGs in der Somatik:
    – die Verweildauer wird verkürzt werden (wegen degressiver Tagessätze), was den nachgewiesenen Therapiefaktor „Zeit“ weiter verknappt und zum Nachteil der Patienten ist
    – zur Erlössteigerung werden die Patienten „kränker“ werden, d.h. mehr Diagnosen bekommen. Im Zweifel hat der Pat. dann halt nicht nur eine Persönlichkeitsakzentuierung (Z73), sondern eine Persönlichkeitsstörung. Auch das ist definitiv zum Nachteil der Patienten, vor allem junger Patienten.

    Zum Thema „qualitätsgesicherte Behandlungen“ und „Vergütungsrelevanz“: Es gibt bisher weltweit kein System, das so funktioniert, weil keiner bisher die Frage beantworten konnte, wie diese Qualität gemessen werden soll. Deshalb werden bisher immer nur „Qualitätsindikatoren“ herangezogen, die indirekt Rückschlüsse auf die Behandlungsqualität liefern sollen. Dabei geht es aber immer nur um formale Kriterien und Prozesse, nie um Validität. Die einzige Möglichkeit, Qualität zu messen, wäre ja eine Katamnese aller Patienten über mehrere Monate oder Jahre und dann rückwirkend eine Vergütung des Krankenhauses, wenn die Patienten gesund bleiben. Das halte ich aber für utopisch.

  2. psychiatrietogo 23. Februar 2016 / 12:44

    Danke für die Aufklärung, ich hing diesem Mythos auch bislang treugläubig an…

  3. Susanne_Meyer 3. März 2016 / 02:47

    Gibt es eigentlich die Möglichkeit, darauf hinzuwirken, dass die Krankenkasse die Zahlung für mich in Frage stellt? Das führt nämlich ziemlich oft zu einer baldigen Entlassung, wenn die Krankenkasse das tut. Psychiatrisch-ärztliche Meinung über die Notwendigkeit von Klinikaufenthalt ist da nämlich erfahrungsgemäß flexibel, sogar bei Vorliegen eines Beschlusses. Das lassen die PsychKG/UBG ja zu, dass der Patient beurlaubt wird und die Anstaltsleitung (so der Wortlaut meistens im PsychKG) die Aufhebung des Beschlusses beantragt, was dann auch gemacht wird. Und die ärztlichen Ansichten sind da schnell im Wechsel wenn die Krankenkasse (weitere) Zahlungen in Frage stellt….

    Ein Beispiel für die lobenswerte Weigerung einer Krankenkasse, weiter für Klinikbehandlung zu zahlen: http://www.klinikbewertungen.de/klinik-forum/erfahrung-mit-kinder-und-jugendpsychiatrie-hofheim-riedstadt/bericht-173524#bewertung-173524 Da wurde das sinnlose zum-Zombie-Machen einer Jugendlichen endlich beendet und die Erholung von den Medikamenten und vom Klinikaufenthalt konnte beginnen.

    Auch ich habe einen Fall in Göttingen miterlebt, da hat sich meine Freundin nicht getraut, sich auf eigenen Wunsch zu entlassen, weil ein Mitpatient das tun wollte („Mir reichts, ich gehe“) und dann der Alarm angemacht wurde und er wurde gegen seinen Willen von Krankenpflegern auf die Geschlossene geführt und ein neuer Beschluss eingeholt. (Göttinger Gerichte machen das mit. Wenn bis zu dem Zeitpunkt, wo jemand gehen will, kein Grund gesehen wurde für einen Beschluss, wieso dann wenn er gehen will? Merke: die Behauptung, wer freiwillig in einer Klinik sei könne sie auch freiwillig verlassen, das stimmt so nicht. Es funktioniert oft, aber nicht immer. Auch mir hat die Ärztin eine Zwangseinweisung angedroht, wie ich mich selber entlassen wollte. Ein halbes Jahr vorher hatte es in Riedstadt funktioniert, mich selber zu entlassen, aber wie ich das in Frankfurt wiederholen wollte, habe ich von der Ärztin Zwangseinweisung angedroht bekommen. Weiteres Beispiel im nächsten Kommentar, ein Zeitungsartikel aus der taz. )

    Na ja, auf jeden Fall hat meine Freundin ständig gesagt, dass sie entlassen werden will, die Ärzte haben das aber nicht gemacht. Und sich selber entlassen hat sie sich aus dem oben genannten Grund nicht getraut.

    Irgendwann hat sie wegen einem anderen Anlass mit ihrer Krankenkasse telefoniert und erwähnt, dass sie entlassen werden will. Da hat ihr dann der Arzt zwei Tage später mitgeteilt, dass die Krankenkasse nicht mehr zahlen will („Ist doch kein Ferienlager“) und sie wurde entlassen 🙂

    Also: wie erreicht man bei einer Krankenkasse, dass sie nicht (mehr) zahlen will?

    Kennt sich da jemand aus?

    • Susanne_Meyer 3. März 2016 / 02:48

      Aus dem Artikel: http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2005/02/22/a0032

      — Zuhause geht der Ehestreit weiter, sie fühlt sich nach wenigen Tagen genauso schlecht wie vorher. Freunde überreden sie, sich in eine psychiatrische Klinik – diesmal in Köln – einweisen zu lassen. Zu ihrer Überraschung ist ihre Diagnose längst dort. „Über die ärztliche Schweigepflicht hat man sich einfach hinweggesetzt“, sagt Katharina Künkele.

      Sie beginnt trotzdem mit einer Therapie, weil sie sich krank fühlt. Auf der geschlossenen Station. „Ich hatte keine Angst davor. Als Psychiaterin wusste ich, dass eine geschlossene Station eigentlich nichts Schlimmes ist.“
      Vier Tage später ist sie nicht mehr freiwillig dort. „Nach einem ausführlichen Gespräch mit meinem Mann sagte der Arzt zu mir: „Wenn Sie dieses Medikament jetzt nicht nehmen, mache ich ihnen eine PsychKG.“
      Diese Drohung mit der PsychKG – wie eine Zwangseinweisung nach Psychisch-Krankengesetz im Fachslang genannt wird – sind Alltag in der nordrhein-westfälischen Psychiatrie, sagt Matthias Seibt vom Landesverband Psychiatrieerfahrener. „Das glaubt einem aber kein Mensch, wenn man da mit seiner schwerwiegenden Diagnose vor dem Richter sitzt.“

      In der Begründung für Künkeles Einweisung steht sowieso etwas anders: „Drohende Verschlechterung durch Behandlungsverweigerung.“ Auch kein ausreichender Grund für eine Psych-KG. „Um einen derartigen Eingriff in die Menschenrechte zu rechtfertigen, müssen die Erkrankten schon akut gefährlich sein – körperlich aggressiv anderen gegenüber oder Selbstmord gefährdet zum Beispiel“, sagt Georg Bruns, Verfasser einer der wenigen psychiatrischen Studien zum Thema. „Selbst- oder fremdgefährdend“ heißt es im Gesetz – das bei einem Drittel aller Einweisungen unterschiedlich ausgelegt würde, so Bruns. „Tausende Menschen werden jährlich zu Unrecht eingewiesen.“

      Innerhalb von einem Tag überprüfen Amtsrichter den Einweisungsbeschluss. „Das Gutachten der Ärzte wird aber fast nie in Frage gestellt“, sagt Georg Bruns. —

  4. Susanne_Meyer 3. März 2016 / 03:08

    Ich habe vehement was dagegen, dass die Krankenkasse für mich auch nur einen € an eine Psycho-Klinik überweist. Klinikaufenthalt ist bei mir psychisch schädlich, wieso sollte eine Krankenkasse für eine schädliche kontraproduktive Therapie zahlen? (Ich profitiere nicht von stationären Setting, sondern es ist schädlich bei mir.)

    Und warum sollte sie zahlen damit ich im Knast hocke? (Freiwillig gehe ich da ja nicht hin weil Klinikaufenthalt sowohl für das aktuelle psychische Wohlergehen als auch für die Prognose schädlich ist, also wäre Psychiatrie bei mir halt einfach Knast.) Ich will Krankenkassenleistungen für mein Wohlergehen und dazu trägt ein Psychiatrieaufenthalt nicht bei, er schadet sogar. Meine Krankenkasse soll bitte nicht den Entzug meiner Grundrechte auch noch honorieren und damit befördern.

    Wie kann ich meine Krankenkasse dazu bringen, dass sie bitte Ärger mit der Bezahlung machen soll?

    Dann zieht es die Klinik dann schon vor, das Bett mit einem anderen Patienten zu belegen, wo die Zahlung nicht in Frage steht.

    (Hoffentlich ist das gleichzeitig einer, der den Klinikaufenthalt ausdrücklich will und für den dann ein Bett frei wird 🙂 )

  5. therapeutenseele 15. März 2016 / 17:37

    Dass die Einführung von PEPP erst einmal vom Tisch ist, sehe ich als positives Signal. Vom neuen Eckpunktepapier verspreche ich mir nun eine insgesamt bessere Qualität der stationären psychiatrischen Versorgung – und hier vor allem auch Verbesserungen für die Schwerkranken, die ja oft genug aus dem Raster fallen. Jetzt kommt es darauf an, wie sich die konkrete Umsetzung des Papiers gestalten wird und welche Lösung für die weiterhin kritischen Punkte gefunden wird. Ich bin gespannt! Und nachhaltig froh, dass es sich gelohnt hat, bei Wind und Wetter vor dem Gesundheitsministerium zu stehen und dabei mit vor Kälte zitternder Stimme „PEPP muss weg!“ zu rufen… 😉

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