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Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Geben Sie mir doch die Spritze!

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Neulich irgendwo in Spelunkistan: Es ist Montag Morgen und die Praxis unseres ungenannt bleibenden Hausarztkollegen brummt. Der Herr Doktor drückt von seinem Schreibtisch aus die Taste der Wechselsprechanlage

„Der Nächste bitte!“
Ein schmächtiges Männlein fortgeschrittenen Alters schlurft mühsam am Gehstock hinein ins Sprechzimmer.
„Was kann ich für Sie tun?“ fragt der Doktor in gelangweiltem Ton.
Der Patient seufzt, setzt sich, seufzt noch einmal.
„Doktor, geben Sie mir die Spritze!“
„Äh…“
„Sie wissen schon, damit ich einschlafe!“
„Sie wollen ein Schlafmittel?“
„Zum Schlafen und nie wieder aufwachen!“
„Ah so… gut, jetzt weiß ich, was Sie meinen. Drücken Sie sich doch am besten gleich von Anfang an klar aus, das erspart uns dann lästige Kommunikationsprobleme. Ich darf annehmen, Sie haben die notwendigen Bescheinigungen dabei?“
„Sie meinen diesen Schrieb vom Psychologen?“
„Vom Psychiater, nicht Psychologe! Sie brauchen ein Attest, dass Sie im Vollbesitz Ihrer geistigen Kräfte und in der Lage sind, eine derart endgültige Entscheidung zu treffen. Und dann bräuchte ich noch die von Ihnen unterschriebene Erklärung, dass Sie diese Entscheidung aus freiem Willen treffen…“
Der Patient zieht ein paar zusammengefaltete Papiere aus seiner Brusttasche und legt sich vor dem Arzt auf den Schreibtisch. Der fasst die Formulare mit spitzen Fingern an, überfliegt sie kurz und runzelt die Stirn.
„Halt, Sie haben keinen Grund angekreuzt!“
„Ach, diese Schmerzen, Herr Doktor…“
Der Doktor nickt zufrieden.
„Sehr gut. Schmerzen sind immer gut. Damit werden wir schon keine Scherereien bekommen. Dann ist ja alles in Ordnung!“
Er macht das Kreuzchen an der entsprechenden Stelle und schaut auf.
„Sie haben alles Notwendige organisiert?“
„Sie meinen…. Testament und so?“
„Genau. Testament erstellt, Bestattungstermin vereinbart, Schulden beglichen, Verträge gekündigt…. ich weiß, es ist nicht meine Aufgabe, Sie darauf hinzuweisen und es geht mich auch gar nichts an, aber Sie würden Ihren Hinterbliebenen eine Menge Ärger ersparen!“
„Aber ich habe doch niemanden…“
„Noch besser. Sehr schön. Kein Problem also. Sie können dann gleich nebenan Platz nehmen, die Schwester kommt sofort. Aber jetzt müssen Sie mich kurz entschuldigen, ich muss dringend aufs Klo…. dauert zwar nicht lange, aber wenn ich fertig bin, dann sind Sie ja wahrscheinlich nicht mehr da. Also, dann ich verabschiede mich schonmal: machen Sie’s gut! Guten Abgang und… äh, ja, viel Erfolg im Jenseits, bei… hmm, also an was auch immer Sie glauben!“
Der Arzt springt auf und öffnet die Tür zum Nebenzimmer.
Bevor er zur Toilette entschwindet, drückt er den Knopf auf dem Schreibtisch.
„Der Nächste bitte!“

Written by medizynicus

26. Oktober 2014 um 23:03

Veröffentlicht in Nachdenkereien

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4 Antworten

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  1. Eine grauenhafte Vorstellung!
    Ich finde, dass die derzeitigen gesetzlichen Regelungen völlig ausreichen. Passive Sterbehilfe finde ich o.k. (und praktiziere sie auch immer mal wieder auf Wunsch des Patienten), aktive nicht.
    Auf keinen Fall, und da könnten die Patienten und Kassen mir noch so viel Geld bieten, würde ich so etwas in meiner Praxis anbieten.

    Die Menschen sollen sich halt frühzeitig Gedanken machen und eine brauchbare Patientenverfügung verfassen.
    Ich hab ja meine mal gepostet:
    http://doktorohnedoktor.wordpress.com/2014/09/04/patientenverfugung-1/

    Old_Surehand

    27. Oktober 2014 at 09:09

  2. Kein Mensch, weder Arzt noch sonstjemand, sollte gezwungen werden, aktive Sterbehilfe zu leisten; diese Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen dürfen!
    Sonst: Wir haben so viele Rechte, die uns die Freiheit garantieren sollen – warum soll diese Freiheit enden, wenn es um MEIN Leben an sich geht? Wenn ich todkrank wäre, nur noch Schmerzen hätte… Dann hätte ich gerne die Wahl, mich für einen „würdigen“, schmerzfreien und selbstgewählten Tod zu entscheiden. Tiere dürfen doch auch eingeschläfert werden, wenn nichts mehr zu machen ist und sie nur noch leiden. Warum soll der Mensch da weniger wert sein?
    Das Leben ist kostbar und heilig. Aber unötiges langes Leiden ist nichts, das ich für mich in Betracht ziehen würde.

    Molly L.

    27. Oktober 2014 at 10:02

  3. Zum Punkt aktiven Sterbehilfe generell fällt mir ein Interview mit dem Arzt Dr. Sven Gottschling ein, der als Palliativ- und Schmerzmediziner schwerkanke Kinder betreut:
    „An der Diskussion rund um die Sterbehilfe stört mich, dass wir über Menschen diskutieren, die man durch eine Spritze von unendlichem Leid erlösen will, das sie vermutlich gar nicht hätten, wenn wir nur die Möglichkeiten der Palliativversorgung richtig nutzen und sie vor allem flächendeckend anbieten würden. Die Palliativmedizin nicht auszubauen, aber dafür über aktive Sterbehilfe nachzudenken, ist geradezu zynisch.“ Interview vom 5.3.2014 bei faz.net: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/palliativmedizin-bei-kindern-heisst-das-ich-muss-sterben-12827512.html

    Im Hinblick auf die Selbstbestimmung wiederum wäre nicht nur die eigene Freiheit zu bedenken?
    Was ist zum Beispiel mit den Angehörigen? Die Artikelserie „Chronik eines angekündigten Freitodes“ (zwischen 30 Dez. 2009 und 25. Jan. 2010) im Blog von Der andere Hausarzt fand ich sehr eindrücklich. Im Fazit spricht er über „die riesige Kluft zwischen Theorie und Praxis, gerade wenn es um das Thema „Selbstbestimmtes Sterben“ geht.“. http://www.der-andere-hausarzt.de/page/13/
    Und es bleibt ja immer die bekannte Frage: Wenn man aktive Sterbehilfe erlauben würde, so dass jeder die Freiheit besäße, sich für einen selbstbestimmten Tod zu entscheiden – werden die, die sich dagegen entscheiden, nicht unter einen Rechtfertigungszwang gesetzt und sind weiterhin ausreichend „geschützt“?

    Beanie

    27. Oktober 2014 at 15:24

  4. @Beanie: danke für die Links. Die Geschichte von dem anderen Hausarzt kannte ich schon, das Interview des Palliativmediziners noch nicht. Aber da ist etwas dran: „Palliativmedizin ist das Gegenteil von Sterbehilfe!“

    medizynicus

    29. Oktober 2014 at 06:51


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