Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Lieber Krank Feiern als Gesund schuften… oder: wie man in den Achtzigern subversiven Krieg gegen den Kapitalismus führte

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Wenn ich mir so anschaue, mit welchen Suchbegriffen es die geneigten Leser auf mein Blog verschlägt, dann muss ich doch immer wieder schmunzeln.
Ungeschlagener Spitzenreiter ist dieser Beitrag, der schon über drei Jahre alt ist und immer wieder Anlass zu neuen Kommentaren gibt.
Also, krankfeiern wollt Ihr, Leute!
Und im Internet wollt Ihr Euch Tipps holen. Natürlich gibt’s solche Tipps.
Klassiker ist übrigens ein skurilles zwanzig bis dreißig Jahre (so genau weiß das wohl keiner) altes Pamphlet aus den achtziger Jahren. Irgendwann Anfang der achtziger Jahre war das Ding plötzlich da und verbreitete sich mit der Geschwindigkeit einer Norovirus-Infektion in Szene-Buchläden sowie auf Veranstaltungen und Büchertischen in der damaligen linksalternativ-anarchistischen Szene.
„Lieber Krank feiern als Gesund schuften“ war der Titel und die Autoren gaben sich phantasievolle Namen wie Dr. A Narcho, Dr. Marie Huana und Dr. Kiff-Turner (witzig, witzig… aber wie gesagt, dreißig Jahre her!). Ob die Identität der Doktores jemals aufgeklärt wurde, ist mir nicht bekannt.
Was stand drin?
In schönstem Szene-Jargon wurde beschrieben, welche Lügen man seinem Arzt auftischen sollte, um den begehrten gelben Schein zu bekommen.
Den Lesern wurde suggeriert, auf diese Weise an einer Art subversivem Kampf gegen das böse kapitalistische System teilzunehmen:

Aus allen Ecken und Enden tönt uns das Krisengeschrei der Kapitalisten und ihrer Politiker in den Ohren.

heißt es gleich zu Beginn, wobei man dann kurz darauf allerdings einsieht, dass der Kapitalismus mit Krankfeiern alleine nicht zu besiegen ist:

Das Krankfeiern selbst ändert jedoch nichts am Fabriksystem oder der Bürohierarchie. Das geht bloß durch gegenseitiges Vertrauen, gemeinsam langsamer arbeiten, Sabotage und wilde Streiks.

Und zwei, drei Sätze später war dann der Bogen gespannt zu der Nazi-Parole „Arbeit macht frei“.
Nun ja.
Das Imperium schlug zurück.
Krankenkassen erstatteten Anzeige wegen Anstiftung und Aufforderung zum Betrug.
Szene-Buchhandlungen erhielten Besuch von Polizeibeamten und ab und zu wurden diese auch fündig. Hier und dort wurden ein paar hundert Exemplare beschlagnahmt, aber die waren schnell nachgedruckt.
Die Herren Kollegen A. Narcho, Kiff-Turner und co. hatten nämlich großzügigerweise auf ihre Uhrheberrechte verzichtet und zur massenhaften Verbreitung aufgefordert:

Vertreibt diese Broschüre! Überall, vor den Betriebs- und Behördentoren, Berufsschulen, auf Veranstaltungen, auf Büchertischen, einfach überall, und gebt sie euren Freundinnen und Freunden. Druckt die Broschüre nach! Wir erheben keinen Anspruch auf Urheberrechte! Wenn ihr sie nicht kriegen könnt, druckt oder kopiert sie ruhig nach, auch in großer Auflage, ist uns alles Recht, finden wir prima!
Aber verkauft sie billig! Krank machen ist gut. Nie mehr krank werden ist besser Es lebe die Revolution

Die Revolution ist bekanntlich bislang nicht eingetreten.
Auch dreißig Jahre später ist der Kapitalismus immer noch ungeschlagen. Und im Zeitalter des Internets ist der Text der Broschüre inzwischen auf zahllosen Seiten im Volltext zu lesen und kann bei Bedarf auch leicht heruntergeladen werden (ich verzichte an dieser Stelle bewußt auf Links – aber wer googeln kann braucht nicht lange zu suchen).
Über die inhaltliche Qualität möchte ich hier gar nicht reden.
Aber Tatsache ist, dass innerhalb der letzten dreißig Jahre wohl kaum ein zweites Buch zu der Thematik eine derartige Verbreitung gewonnen hat.

Written by medizynicus

5. August 2013 um 23:24

Veröffentlicht in Gehört und gelesen

5 Antworten

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  1. Krank feiern wäre jetzt wirklich eine gute Idee – nur mein Lieblings-Hausarzt-Kollege hat sich für drei Wochen in den Urlaub verabschiedet… 😉
    Habe heute mal wieder gelernt, dass der Herr Geschäftsführer zwar keine Ahnung von nix hat, aber trotzdem sagt, wie es zu laufen hat (nach teurer externer Unternehmensberatung von genauso schnöseligen und unfähigen Typen) und das auch gegen allen Widerstand durchdrückt. Bin gespannt, wie lange unser kleines Krankenhaus in der Provinz diesen Irrsinn noch überlebt… 😦
    Wie läuft das in Bad Dingeskirchen?

    Antje

    6. August 2013 at 19:47

  2. Mein Hausarzt hat auch gerade Urlaub und ich endlich wieder Arbeit. Also kein Bedarf nach Krankfeiern. Jedenfalls solange, wie keine weiteren umfangreichen Arztbesuche anstehen.

    Hesting

    7. August 2013 at 07:33

  3. @Antje: Das kenn ich doch aus dem Krankenhaus aus meiner Zivildienstzeit. Wie war das nochmal? Die sicherste Art etwas herunterzuwirtschaften, ist eine Administratorenkaste mit möglichst wenig Bezug zum „Kerngeschäft“ zu installieren…

    Murifex

    7. August 2013 at 11:06

  4. …. Erinnert mich an so knuffige (erwachsene) Leute, die mit „Arbeit ist doof!“-Ansteckern rumrennen. Allerdings nur ihrer Freizeit, pünktlich zum Arbeitsbeginn wandern die Dinger hübsch brav in den Spind. Viva la, äh, revolution light! 😉

    Jeb

    7. August 2013 at 19:41

  5. […] Bloggen https://medizynicus.wordpress.com/ gefällt mir persönlich sehr gut. Wirkt teilweise etwas lustig, tolle Artikel. Das dieser Blog fluriert, sieht man anhand der Kommentare. Da tut sich was. . […]


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