Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Ärztliche Aufgabe

with 16 comments

Es ist fünf Minuten vor zwei und ich versuche gerade, mich still und heimlich von der Station zu verdrücken um mir in der Kantine noch ein paar kullinarische Köstlichkeiten hinter die Kiemen schieben zu können. Fast habe ich es geschaft, unauffällig die Ecke in Richtung Treppenhaus zu passieren, als…
„Herr Doktor!“
Wie bitte? Bin ich das?
„Sie können noch nicht gehen!“
„Äh… warum nicht?“
„Da ist noch Blut abzunehmen!“
Langsam und mit gesenktem Kopf komme ich zurück in Richtung Schwesternstützpunkt. Da steht Schwester Paula, die Hände in die Hüften gestemmt und deutet auf ein Tablett mit fünf Blutröhrchen, sorgfältig in Plastikbecher sortiert.
„Die müssen bis vierzehn Uhr dreißig im Labor sein! Das wissen Sie doch!“
Klar weiß ich das… und ich weiß auch, dass mein Magen mir knurrenderweise unmissverständlich zu verstehen gibt, dass jetzt unbedingt ein paar Kalorien fällig sind, aber zack-zack!
„Äh… Schwester Paula?“
Sie schaut mich argwöhnisch an.
„Könnten Sie das nicht vielleicht ausnahmsweise mal abnehmen?“
Schwester Paula schüttelt unerbittlich den Kopf.
„Warum denn nicht?“
„Ist doch ärztliche Aufgabe!“
„Warum eigentlich?“
„Alles, was mit Venen zu tun hat, ist ärztliche Aufgabe. Das war schon immer so!“
„Warum war das denn schon immer so?“
„Weil… ja…. was denken Sie denn, was da alles passieren kann?“
Ja, was denn eigentlich?
Seit geraumer Zeit nämlich wird Schwester Paulas Meinung vom Management der Klinik nicht mehr geteilt. Blut abnehmen ist längst auch Aufgabe der Pflege. Und damit ist der obenstehende Dialog heutzutage höchst unwahrscheinlich geworden. Warum bloß?

Written by medizynicus

20. Oktober 2011 um 20:25

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

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16 Antworten

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  1. Ist in der Schweiz schon lange so, bin aber froh, dass mein deutscher Arzt das oft vergisst und es selbst macht, denn meine Venen sind schon sehr verstochen von den Schwesternübungen … Die lassen gern die Lehrlinge ran.

    Eine Patientin aus der Schweiz

    20. Oktober 2011 at 22:59

  2. In der Schweiz ist „alles mit Venen“ schon immer Schwesternsache. Mit der Konsequenz, dass die Medizinstudis bei den Pflegenden betteln müssen um mal eine Blutentnahme machen zu dürfen… Deshalb sind PJ-Monate in Deutschland auch so beliebt – da lernt man stechen 🙂

    Studi

    20. Oktober 2011 at 23:19

  3. Wieso…?
    Weil es verschiedene Haltungen bei verschiedenen ärztlichen Kollegen gibt?
    Weil die Kollegen aus der Pflege teilweise das gemopper in Bezug auf die Delegation ärztlicher Aufgaben gern auch als Machtmittel missbrauchen… Weil, ja weil.
    Manch Pflegedirektor, der uns pflegende Krankenhausmitarbeiter nicht mal mehr mit ner s.c. Spritze sehen mag, manche Chefarzt, der seine Macht schwinden sieht?
    In jedem Fall ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit längst nicht in jedem Krankenhaus möglich, multiprofessionelle Teams sind nicht wirklich weitereilend üblich.

    chaotiker

    20. Oktober 2011 at 23:50

  4. Ich habe es bereits mehrfach schon in der Pflege mitbekommen, dass Pat. bspw. recht spät abends gekommen sind, brauchten noch einen Zugang, aber kein Assi in Sicht. Der durfte nämlich alleine in der Ambulanz rumpöngeln und gucken wie er da zurecht kam. Da wurde von der Pflege mehrfach wiederholt „Aber der Pat braucht doch eine Infusion!!“. Der Assi wurde volltelefoniert, konnte aber immernoch nicht kommen. Und auf die Frage, warum das nicht die Pflege macht, kamen Ausflüchte wie „nie gelernt“, „das ist ärztliche Sache!!!“, „sonst müssten wir das ja immer machen!!“.
    Das Ende vom Lied ist dann, dass die studentische Hilfskraft oder wie in jenem Fall eine Ambulanzschwester kommt.
    Verstehen muss man da die Qualifikationen oder Zustandigkeitsbereiche aber auch nicht…

    DD

    21. Oktober 2011 at 05:30

  5. Mal ne Frage als Laie: Ich dachte immer, dass Blutabnehmen nur durch Ärzte gemacht werden darf, da der Stich mit der Nadel ja per se eine Körperverletzung ist.
    Täusche ich mich jetzt da?

    McCloud

    21. Oktober 2011 at 14:34

  6. Die Nummer ist eigentlich ganz einfach…
    rechtlich gesehen sind sowohl s.c., als auch i.m Injektionen ebenso wie das Legen von peripher – venösen Zugängen ärztliche Aufgabe, die allerdings unter der Voraussetzung delegierbar sind, dass der anordnende Arzt sich der Fach- und Sachkunde der beauftragten Kraft versichert hat. der so genannte Spritzenschein reicht dazu übrigens nicht aus, Medicus muss schon selbst mal gesehen haben, wie Pfleger Chaos das macht.
    Auf der anderen Seite gilt: Zumindest das Anhängen von Infusionen (ausser einer Erstgabe eines Medikamenttes) ist pflegerische Aufgabe. Bei Erstgabe bin ich mir nicht ganz sicher, meine aber mal gelernt zuu haben, dass da auch immer ein Arzt ran muss.
    Um das Chaos zu komplettieren:
    In der pflegerischen Ausbildng wird – zumimdest an einigen Schulen noch sowohl Blutabnehmen, als auch PVK legen, als auch s.c. und i.m injizieren unterrichtet, teils auch in der praktischen Übung am Kollegen. Kommmt man dann auf Station im Externkrankenhaus (wo man mal reihenweise Blut abnehmen müsste) wird gesagt: Unsere Schüler machen das nicht, dann musst Du das auch nicht.
    Man ist dann ein Stück weit drauf angewiesen, dass ein wohlwollender junger Assistenzarzt einen ranlässt, damit man einfach mal Routine kriegt. (so ist s jedenfalls bei mir gelaufen…)
    Ach ja : Blutentnahmen fallen auch in den Bereich der ärztlichen Aufgabe – und ob die überhaupt noch delegierbar sind, darüber herrscht zur Zeit alles andere als Einigkeit… Am einen Haus ist es ein absolutes NoGo, woanders eher Regel als Ausnahme.
    p.s.: Rechtschreibfehler sind dem Schreiben auf einer ungewohnten, weil neuen Bluetoothtasta für mein Ipad geschuldet…

    chaotiker

    21. Oktober 2011 at 17:32

  7. Also s.c. spritzen kann jeder und nach einer ambulanten OP musst du das auch als Patient…
    Mir ist schleierhaft, warum das eine Krankenschwester nicht können sollte.

    Aber so ungewöhnlich finde ich den obengenannten Dialog wirklich nicht….Ist wohl in einigen Krankenhäusern mit antiquierten Standessystem noch so…Die Pflege ist doch im Allgemeinen eh fähiger, wenn es um manuelle Dinge geht..Kathteterisierung können die ja schließlich auch…Was an einer Spritze oder einem Zugang so schlimm sein soll???

    Wobei: Einen ZVK legen, würde ich vielleicht der Anästhesie überlassen wollen…

    blogwesen

    21. Oktober 2011 at 22:06

  8. PVK Periphere Verweil Kanüle, das, was man allgemein so als „Nadel“ bezeichnet.
    Ein ZVK wird ausschliesslich vom Arzt und unter Röntgenkontrolle in die Vena Cava sup. gelegt… sorry, da wird niemand auch nur ansatzweise ne Pflegekraft ranlassen.
    Die Ais haben die Paramedics, ob die so was können, weiss ich nicht.
    s.c. Spritzen ist wie jede andere Spritze auch erst mal Arztsache. Hier gilt aber: Es ist insgesamt delegierbar, nicht rein ad personam. Das heisst: Jeder der mit ner Spritze angeleitet wurde kann… Krankenpflegeazubis machen das in der Ausbildung mehrere Tausend Male… aber rein rechtlch gesehen ist das jedes Mal ebenso dünnes Eis, wie wenn wir in der Ausbildung eine Infusionsflasche fertigmachen oder gar anhängen.
    Rechtlich gesehen gibt s da übrigens so weit bekannt (auch an Krankenpflegeschulen) nicht mal wirklich ein Gesetz zu, sondern nur die Rechtsprechung.

    chaotiker

    22. Oktober 2011 at 00:29

  9. Hat sich da im Laufe der Jahrzehnte wirklich so viel geändert, oder schaut man heutzutage einfach genauer hin? Während meiner Ausbildung Anfang der 80er Jahre habe ich selbstverständlich Blutabnehmen, sowie s.c./i.m. injizieren gelernt (i.v.-Injektionen nur in der Theorie) und natürlich auch in der Praxis ausgeübt. Da hat sich kein Arzt daneben gestellt und sich von der Fähigkeit (Injektionen durchzuführen) überzeugt – ebenso wenig bei Blutentnahmen, oder dem Richten und Anhängen von Infusionen mit Zusätzen. Ich weiß grad gar nicht, wie das überhaupt in der Praxis hätte funktionieren können und sollen, resp. wie das heute in der Praxis funktioniert (?)
    Da würde mich jetzt schon ein Statement von Medizynicus oder einem anderen Mediziener interessieren.

    anima

    22. Oktober 2011 at 11:39

  10. Warum nicht jeweils den Patienten enscheiden lassen? Die langjährigen Schwestern machen es meist sehr gut, aber ständig Ubungsobjekt von Lehrlingen zu sein, nervt mich gewaltig. Hatte schon oft blaue Flecken dadurch. Besonders weil meine Venen nicht gut zu finden sind. Ich finde, das sollte man berücksichtigen. Letzlich ist doch allein das Wohl des Patienten entscheidend und ein Machtkampf zwischen Pflege und Ärzten mehr als unreif. Jedenfalls wird der zuständige Arzt letzten Endes zur Verantwortung gezogen, wenn es hart auf hart kommt für den Patienten, denn er trägt die Gesamtverantwortung.

    Enia

    22. Oktober 2011 at 17:29

  11. @ Enia: Auch Ärzte, die schon altgedient sind, schaffen es ihre Patienten bei einer Blutentnahme mit Hämatomen zu versorgen. Habe ich schon mehr als einmal erlebt – zuletzt im vergangenen Sommer, als ich nach einer Blutentnahme über eine Woche mit einem äußerst schmerzhaften blauen Flatschen rumgelaufen bin. Eine Wahlmöglichkeit, wie du sie vorschlägst, würde nur dann Sinn machen, wenn sich der Patient zumindest schon einmal vorher vom „Können“ des Arztes überzeugen konnte, was aber in der Paxis wohl auch nicht immer zu realisieren wäre.

    anima

    23. Oktober 2011 at 10:46

  12. Dazu müssten auch Ärzte das Blutabnehmen und injizieren im Studium lernen, was nicht passiert. Der approbierte darf. In der Pflege muss man hingegen erstmal zeigen dass man kann, bevor man darf.

    Chaotiker

    23. Oktober 2011 at 14:14

  13. Glückwunsch, auch in Deutschlands Spitälern beginnt anscheinend der Gesunde Menschenverstand einzuziehen.

    Und für alle, die gern mit dem Schlagwort „ärztliche Aufgabe“ herumbröseln: Im Prinzip ist fast alles delegierbar, man muss es nur wollen und je nach Tätigkeit haftet der Arzt für die Verrichtungen anderer eben mal mehr, mal weniger.

    Und noch ein Schmankerl aus dem Gelobten Land: In der Schweiz gibt es viele Notfallstationen, auf denen MPA arbeiten. Die sind topfit und machen von Triage über Blutentnahme, Kanülen legen, Infusionen, EKG-Schreiben, bis Gipsen fast alles. Das funktioniert super und sie sind oft fitter als manche Pflegende.

    Dienstarzt

    25. Oktober 2011 at 14:15

  14. Also ich hab in meiner Ausbildung zum Krankenpfleger auch noch die komplette Palette gelernt vom ZVK mal abgesehen.
    Bei uns wurde das immer so begründet, warum Ärzte das machten, weil dies eine Krankenhausinterne Vereinbarung wäre und deswegen die Ärzte einen höheren Personalschlüssel bekommen hätten. Deswegen durften wir es zwar in Ausnahmefällen, aber die Regel war, dass die Ärzte Blut abnahmen. Das hat sich aber im Laufe der Zeit auch geändert und es wurde extra eine Pflegekraft/Arzthelferin eingestellt, die zumindest die regulären Blutentnahmen am morgen auf den kompletten Stationen gemacht hat. (War ein recht kleines Krankenhaus, da war das für eine Person schaffbar).
    Also hatte es nichts mit der Kompetenz, sondern eher was mit der Verwaltung zu tun, dass Ärzte iv Eingriffe erledigten.

    HpYoungster

    27. Oktober 2011 at 21:34

  15. […] uns irgendwie wieder zu der Diskussion über die Kompetenz der Angehörigen von nicht-ärztlichen Gesundeheitsberufen führt. Weitersagen:Gefällt mir:LikeEinem Blogger gefällt das […]

  16. naja in meinem Krankenhaus werden gerade alle Pflegekräfte in i.v.-Zeugs geschult so mit Prüfung und so am Ende und sollen auch in Zukunft Blut abnehmen und Flexülen legen. Das Problem ist dabei, dass die zusätzliche Zeit dafür zwar vom Ärztestellenschlüssel abgezogen wird, also ne halbe Stelle weniger oder so. Es wird aber definitiv keine Pflegekraft zusätzlich eingestellt. Also gleich mal schön Geld gespart und die Schwestern müssen eben ein bisschen mehr rennen.

    Im übrigen arbeite ich auf einer ITS und wir nehmen Blut nur aus Zugängen ab(Arterie,ZVK und wenns geht Viggo) Wenn gestochen werden muss, machen das die Ärzte. Komischerweise wird bei den Pat. die gestochen werden müssen viel weniger Labor gemacht und eine BGA am Tag reicht auch völlig aus.
    Ich denke wenn alle Pflegekräfte i.v.Punktionen machen wird plötzlich viel mehr Blut ins Labor geschickt als vorher.

    Mit Kompetenz hat das meiner Meinung nach wenig zu tun, sondern eher mit Stellenschlüsseln und Zeitaufwand.

    Sylvia

    30. Oktober 2011 at 13:10


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