Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Christkinder (Teil 3)

with 3 comments

Die Nacht vor dem Heiligen Abend, da liegen die Kinder im Traum,
sie träumen von schönen Sachen, und von dem Weihnachtsbaum….
oder so ähnlich. War doch so? jedenfalls gingen mir diese beiden Zeilen ohrwurmartig im Kopf herum, als ich vom Glühweinstand nach Hause wankte, mich in mein Bettchen legte und süß träumte, bis…. äh… warum wird es da draußen schon hell? Warum ist mein Wecker nicht losgegangen?
Raketenartig schieße ich in die Höhe, minimale Katzenwäsche, Klamotten an und nix wie rüber. Wenn der Chef nicht wüsste, dass ich gleich nebenan wohne, könnte ich es aufs Glatteis schieben oder darauf dass mein Auto nicht angesprungen ist… ich schaffe es noch zur Frühbesprechung, mit mimimaler Verspätung.
Und dann die Visite.
Warum ist Opa Wagner doch noch da? Ich habe den Brief fertig geschrieben, mit dem Hausarzt telefoniert, noch ein Echokardiogramm organisiert, Blut abgenommen und notfallmässig zum Labor geschickt…
„Hat Ihre Tochter Sie nicht abgeholt?“
Opa Wagner schüttelt den Kopf. Er sieht blass aus.
„Mir geht’s gar nicht gut!“ sagt er mit schwacher Stimme. Jetzt hat er auch noch Fieber. Also Blutkulturen, Röntgen-Thorax und das Übliche…
Und jetzt fängt sein Bettnachbar an zu quengeln: „Darf ich heim?“
Der ist erst gestern gekommen, siebenundachtzig Jahre, Herzinsuffizienz, Luftnot und AZ-Verschlechterung, alles nicht erst seit gestern, eigentlich ein typisches Christkind, so hatte ich ihn jedenfalls eingeschätzt.
„Wie sind Sie denn versorgt?“
„Ich komme schon zurecht!“
Das halte ich für eine Übertreibung. Aber um viertel vor zwölf taucht nicht nur die Blaskapelle der Heilsarmee auf sondern auch ein Trupp gutgelaunter Angehöriger, welche den Opa unbedingt mit nach Hause nehmen möchten.
Opa freut sich. Und ich darf noch schnell einen Brief schreiben, ein paar Floskeln, ein paar Textbausteine, geht schon.
„Und die Tabletten?“
„Die nehmen Sie einfach so wie vorher!“
„Wir haben aber keine mehr!“
„Dann lassen Sie sich welche verschreiben.“
„Der Hausarzt hat aber schon zu…“
Wie wär’s mal mit ein bißchen vorausschauender Planung in Zukunft? Aber gut, weil heute Weihnachten ist….

Written by medizynicus

24. Dezember 2010 um 05:42

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

3 Antworten

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  1. Bei allem Respekt, aber manchmal klingen Sie mir einfach zu zynisch. Wenn ich annehmen muss, dass jedes freundliche Wort im Krankenhaus entweder nur gespielt, oder lediglich ein Textbaustein ist, dann habe ich noch weniger Vertrauen in die weiße Wolke.

    Svenja-and-the-City

    24. Dezember 2010 at 08:40

  2. @Svenja-and-the-City

    Naja, ich bin ja auch Dienstleister, nichts anderes ist ja auch ein Medizynischer, und von daher kann ich dieses scheinbar ambivalente Verhalten schon verstehen. Wir sind professionell. Wir wünschen unseren Kunden nichts schlechtes, sofern sie anständig mit uns umgehen. Aber dennoch nervt die 500.000 Anfrage der selben Art ständig. Dafür kann der einzelne Kunde nichts, denn es ist für ihn eben ein wichtiges Anliegen und er kann auch nicht wissen, dass ich die Frage bereits heute zum 499.999 Mal höre.

    Und damit wir weiterhin auch beim 500.000 Mal freundlich bleiben können, ohne dem Kunden an die Gurgel zu gehen, für etwas, dass er eigentlich gar nicht verschuldet hat, sondern einfach nur zum falschen Zeitpunkt eben die für ihn wichtige Frage gestellt hat, genau aus diesem Grund suchen wir uns irgendwo ein geeignetes Ventil. Und das ist eben dieses Blog hier, im Falle des geschätzten Medizynicus.

    Für mich ist das eher ein Zeichen, dass ihm seine Patienten wichtig sind und für jeden die gleiche qualitative Behandlung und Betreuung sicherstellen will.

    Der Maskierte

    24. Dezember 2010 at 10:01

  3. Was ist daran zynisch, einen Arztbrief mit Textbausteinen zu erstellen? Je weniger Zeit man mit dem Bürokratiezeuchs wie Arztbriefe schreiben vergeuden muss, um so mehr Zeit für die Patienten…
    Ansonsten gehts nicht ohne eine gewisse professionelle Distanz (und Zynismus ist da auch ein Mittel zu)… wenn man mit jedem Patienten mitleiden würde, wie mit den eigenen Angehörigen wäre man selbst bald Patient- in der Psychiatrie

    chilara

    26. Dezember 2010 at 14:46


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