Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Die Migrationskette

with 13 comments

Wieder mal.
Zustand nach Dienst, und Verarsche durch Verwaltung. Kalle und ich sitzen gefrustet in der Küche und dröhnen uns mit Krankenhauskaffeeplörre zu.
„Warum gehst Du eigentlich nicht ins Ausland?“ frage ich.
Kalle zuckt mit den Schultern.
„Wo kann man denn hingehen?“
„Schweiz. Schweden. Norwegen. USA…“
„Was soll ich dort?“
„Was Du dort sollst? Mehr Spaß im Leben haben! Mehr Geld, fairere Arbeitsbedingungen und überhaupt…“
„Ich weiß nicht, ob ich dort mehr Spaß hätte. Abgesehen davon wäre es unfair.“
„Unfair? Warum?“
„Unfair Euch gegenüber. Hier bleiben Stellen unbesetzt, alle reden vom drohenden Ärztemangel… und dann soll man sich einfach so aus dem Staub machen?“
„Da brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen! Die Verwaltung rekrutiert doch schon fleißig in Osteuropa…“
„Genau das ist ja das Unfaire an der Sache!“
„Warum?“
„Die Kollegen aus Polen, Rumänien und Russland…“
„Was hast Du gegen die?“
„Gar nichts habe ich gegen die. Aber warum kommen die wohl hierher?“
„Sie werden schon ihre Gründe haben, da weg zu gehen!“
„Genau. Und das sind dieselben Gründe, die Dich oder mich dazu bewegen, in die Schweiz oder nach Schweden zu gehen…“
„Das liebe Geld… und die Arbeitsbedingungen…“
„Genau. Und glaubst Du nicht, dass es in Rumänien oder Russland genauso viele kranke Menschen gibt wie hier? Und wer soll die versorgen?“
„Nun ja… vielleicht gibt’s ja irgendwo ein Land wo man noch weniger verdient…“
„Du sagst es. Es soll afrikanische Länder geben, aus denen die Hälfte aller Ärzte nach Amerika oder Europa abgewandert sind. Wer möchte es ihnen übel nehmen?“

Written by medizynicus

26. Oktober 2010 um 05:59

13 Antworten

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  1. Wo er Recht hat …

    Hesting

    26. Oktober 2010 at 07:47

  2. gute Sichtweise – aber … 😉

    lokielie

    26. Oktober 2010 at 09:51

  3. … hat er Recht.

    kaeks

    26. Oktober 2010 at 10:02

  4. Ist nett von Kalle, dann gehen die Kollegen aus afrikanischen Ländern eben direkt in die Schweiz, nach Schweden oder UK. Bzw. bleiben nach dem Studium gleich dort.

    Malte Diedrich

    26. Oktober 2010 at 11:42

  5. Das ist aber sehr kurzsichtig gedacht… es ist nicht die Aufgabe eines Arztes sich selbst zu Gunsten der Patienten oder des Systems zu opfern. Was hat man denn davon? Letztendlich geht man kaputt und schadet so nicht nur sich selbst, sondern langfristig gesehen vor allem den Patienten und dem System. Es ist die Aufgabe des Systems dafür zu sorgen, dass Menschen die arbeiten von dieser Arbeit leben können und sich nicht selbst aufreiben müssen. Müssen meine Kinder die Leidtragenden dafür sein, dass es in Deutschland nicht möglich ist ein vernünftiges Gesundheitssystem zu etablieren? Nein! Das System versteht keine sachte vorgetragenen Wünsche und Hoffnungen, das System versteht klare Ansagen und das ist nunmal eine Abstimmung mit den Füssen!

    Patrick

    26. Oktober 2010 at 13:44

  6. Da ist es wieder, das ärztliche Gefühl für alles und jeden verantwortlich zu sein. Am besten gleich für die gesamte Globalisierung.
    Ich hätte da kein schlechtes Gewissen. Irgendwann muss man an sich denken, sonst geht man in diesem Job kaputt.

    Stefan

    26. Oktober 2010 at 13:44

  7. Hm… ich würde sagen, lose-lose Situation, – oder gar Teufelskreis, oder?!
    Wird uns das nicht, wenn hier alle so weiter geht irgendwann treffen?!

    schneckenhaeuschen

    26. Oktober 2010 at 19:31

  8. […] mag Kalle, wirklich… der ist grade heraus, der kennt die Tricks und lässt sich nichts vormachen. Aber […]

  9. … die Frage ist doch; Wer sich was wie lange gefallen lässt! Das hier zitierte SYSTEM, wer ist das, wenn nicht wir als Volk. Erstaunlich ist, wie sich eine breite Mehrheit gebildeter und man sollte meinen, kluger Menschen von einem kleinen Kreis völlig abgehobener Versager gängeln lässt. Dabei belegt die Geschichte von Zeit zu Zeit, wie es funktioniert, solche Versager aus „Amt und Würden“ zu verjagen. Wovor habt ihr eigentlich Angst? Wenn ihr euch wirklich EINIG seid, seid ihr stärker als diese Versager und könnt eure (hoffentlich dann berechtigten) Forderungen durchsetzen. Wir zahlen ständig die Zeche der korrupten und unfähigen Poltiker und Bonzen. Wann hört das auf? Wie lange lassen wir uns das noch gefallen. In 40 Jahren gingen die Menschen in der ehemaligen DDR 3 x „richtig auf die „Straße“. Beim dritten Mal hat es dann funktioniert und eine Diktatur wurde beendet.

    DocConsult

    27. Oktober 2010 at 06:31

  10. Mhm, mal eine sehr interessante Sichtweise, die man wirklich nicht oft betrachtet. Hab es selber bisher nicht von hier betrachtet.

    Aber wenn nicht „wir“ ins Ausland gehen, gehen die anderen Ärzte dann anstatt nach D dann in die Schweiz, etc…weil dort eben auch Ärzte gesucht werden.

    rettungsdienstblog

    27. Oktober 2010 at 19:19

  11. wer aus der DDR wegging, ist heute mindestens ein Freiheitskämpfer/Held (nicht nur ein Wirtschaftsflüchtling) und wer trotzdem blieb um es besser zu machen – der ist heute der Blöde…..

    unbekannter

    27. Oktober 2010 at 20:06

  12. Vielleicht bin ich ein Gutmensch, aber ich habe direkt nach dem Studium ein Angebot aus dem Ausland u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass meine Ausbildung den Staat eine Menge Geld gekostet hat, und ich das irgendwie nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, nach dem Studium gleich abzuhauen. Und ganz ehrlich: ich nage nicht am Hungertuch, und wenn ich meine Arbeitszeiten mit denen einer Freundin in der Staaten vergleiche, so muss ich sagen: paradiesisch.

    anna

    29. Oktober 2010 at 20:37

  13. […] Beitrag über die Migrationskette hat eine interessante Diskussion in Gang gebracht. Fassen wir […]


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