Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Was soll ich hier im Krankenhaus?

with 5 comments

Da ist sie also.
Wieder einmal. Ganz verängstigt schaut sie in die Wäsche.
Die Rotgewandeten Herren vom Rettungsdienst haben sie vor zehn Minuten abgeladen und sind längst wieder zur Tür heraus. Und jetzt liegt sie da auf ihrer Trage in der Notaufnahme, bedeckt von einem dünnen Tuch, zitternd und völlig verstört.
Krause, Emilie, zweiundneunzig Jahre alt, Diagnose: Verdacht auf akutes Koronarsyndrom.
„Ich wollte doch gar nicht ins Krankenhaus!“ murmelt sie, aber niemand hört es. Oder niemand will es hören.
„Schönen guten Abend, was führt Sie zu uns?“ fragt der diensthabende Kollege.
Frau Krause schaut ihn an und schüttelt den Kopf.
„Lassen Sie mich heim!“
„Das geht leider nicht. Sie sind krank. Wir wollen Ihnen doch helfen!“
Frau Krause hat eine ziemlich dicke Akte bei uns. Bekannte KHK, mehrere Infarkte, der letzte liegt gerade mal ein knappes Jahr zurück. Und heute Nachmittag, so gegen fünf Uhr hatte sie wieder einmal Schmerzen in der linken Brust, die auch nicht weggingen nachdem sie ein Glas kaltes Wasser getrunken hatte. Also rief sie die Nachbarin. Die Nachbarin rief den Doktor, und der Doktor sagte, sie solle sofort einen Krankenwagen rufen. Aber Frau Krause wollte doch nicht ins Krankenhaus. Sie wollte nur eine Herztablette. Also ist der Herr Doktor doch rausgekommen, ohne Blaulicht und Tatütata, aber eine Herztablette hat er ihr nicht mitgebracht. Stattdessen hat er ein ernstes Gesicht gemacht und gesagt, sie solle schleunigst ins Krankenhaus, am besten sofort, mit Blaulicht und Tatütata. Aber sie wollte nicht. Der Doktor musste wieder zurück in die Praxis, aber die Herzschmerzen gingen nicht weg. Die Nachbarin hat Frau Krauses Sohn angerufen, aber der hatte Nachtschicht und konnte nicht vorbeikommen. Also hat sie nochmal beim Doktor angerufen, aber inzwischen war es sieben Uhr und die Praxis war zu und die Leute vom Notdienst haben nicht lange herumdiskutiert und einfach einen Krankenwagen geschickt anstatt einen Doktor mit Herztablette.
Und so ist Frau Krause dann doch hier gelandet, obwohl sie eigentlich gar nicht wollte.
„Schickt mich doch heim sagt sie!“
Der Kollege überhört das.
„So, ich hänge Ihnen jetzt eine Infusion an,“ sagt er, „dann geht es Ihnen gleich besser. Wir wollen Ihnen doch helfen, Frau Krause, damit Sie gesund werden!“

Written by medizynicus

4. November 2009 um 06:57

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

5 Antworten

Subscribe to comments with RSS.

  1. ich dachte, daß man, solange man nicht unmündig ist, gehen darf, falls man möchte?…

    rebhuhn

    4. November 2009 at 16:15

  2. Ab 60 bist du immer krank und darfst aus der Notaufnahme nicht gehen…

    Stichwort Garantenstellung. Der Arzt müsste dich über alle Risiken und Nebenwirkungen Rechtswriksam aufklären wenn du jetzt gehst und selbst damit ist es nicht 100% ausgeschlossen, dass ein Gericht dich freisprechen würde.

    gr3if

    4. November 2009 at 18:04

  3. Ich hab einmal erlebt, dass eine Omi, die mir auf der Toilette kollabiert war, die Feuerwehrmänner (wirklich! richtig mit Helm und so!) überreden konnte, sie nicht mitzunehmen. Das war eine heisse Kiste denk ich mal. Als ich die Notrufnummer gewählt habe, war die Patientin nicht ansprechbar.
    So, nun wollte sie nicht mit und ich hätte weiter gemuss, zur nächsten Patientin. Kollabiert sie mir wieder!
    Der Feuerwehrmann – der da den Boss markierte- war nun sauer auf MICH. Was konnte ich denn dafür? Und SIE wollte wieder nicht mit, aber nun half bettel, nett gucken, Augenklimpern, weinen, zetern, herzzerreißend schluchzen nicht… sie musste mit.
    War dann auch wochenlang weg, war wohl ein Diabetes und Bluthochdruck.
    Und war dann wohl in dem Fall richtig.

    Miki

    4. November 2009 at 19:08

  4. Ich schätze da haben Arzt und Rettungsdienst angesichts der Risiken die Grenzen der Erlaubten etwas gedehnt?

    Ich kann’s verstehen. „Akutes Koronarsyndrom“ ist ja auch kein Verdacht, bei dem man als Rettungsdienst einfach sagt „Okay, dann halt nicht, schönen Abend noch! :)“ und wieder geht.

    Den Pat. dann direkt zu ignorieren ist dann eine andere Sache. Ich schätze mal, wenn der Arzt die Pat gehört hätte, hätte er sie wohl gehen lassen müssen. Also dann doch lieber ignorieren.(?)

    Sicher ein Thema, das in den nächsten Jahren/Jahrzehnten an Bedeutung gewinnen wird.

    pskurs

    4. November 2009 at 23:42

  5. […] Aroma bei uns in der Notaufnahme zu beschreiben, wenn so ein bemittleidenswertes Geschöpf wie Oma Krause gerade hereingebracht worden ist. Nehmen wir an, Oma Krause wohnt allein. Oh ja, sie kann sich noch […]


Hinterlasse einen Kommentar