Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

„Hilfe, ich habe eine Zecke!“

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Ein wunderschöner milder Sommerabend.
Medizynicus hat das Fenster sperrangelweit geöffnet, schaut seufzend hinaus über das Bad Dingenskirchener Häusermeer und lässt seinen Blick dann über den beachtlichen Stapel Krankenakten auf seinem Schreibtisch wandern.
Ein bislangruhiger Dienst-Abend, wie geschaffen um endlich mal all die Briefe zu diktieren. Medizynicus seufzt nochmal und nimmt dann schweren Herzens das Diktiergerät zur Hand. Halt, erstmal noch rüber ins Schwesternzimmer, vielleicht gibts frischen Kaffee.
Gibts! Und sogar Kuchen dazu, von der Schülerin, die heute ihren letzten Tag hatte. Ob die Mädels sich damit eine gute Beurteilung erkaufen wollen? Egal. Die hier hätte eine Eins verdient. Medizynicus kaut gerade mit vollen Backen, als der Piepser geht. Die Ambulanz.
„Wir hätten einen Notfall für Sie, Herr Doktor!“
Schwestern, die mich siezen und mit Herr Doktor anreden, sind mir schonmal aus Prinzip unsympathisch. „Was denn?“
„Zeckenbiss!“
Das Herz rutscht mir in die Hose. Auf der Stelle würde ich jetzt gerne alle Gesundheitsredakteure von Bildzeitung und „Goldenem Blatt“ in einen Raum sperren und…. nee, das sag ich lieber nicht. „Und?“
„Die Zecke ist noch drin.“
„Dann mach sie doch raus.“
Zögern am anderen Ende.
„Ähem…. das darf ich nicht“
„W arum nicht?“
„Weil es ärztliche Aufgabe ist!“
Wie bitte?
Jede Mama sollte in der Lage sein, bei ihren Sprösslingen eine Zeck-Ektomie durchzuführen, sowas gehört zur Allgemeinbildung.
Und nein, man muss nicht bei jedem Zeckenbiss sofort in die Notaufnahme, und schon gar nicht sollte man den Notarzt rausklingeln.
Wenn man sich wirklich Sorgen macht, dann reicht es auch, am nächsten Morgen zum Hausarzt zu gehen.

Written by medizynicus

13. Juli 2009 um 19:53

Veröffentlicht in Alltagswahnsinn

20 Antworten

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  1. Zeck-Ektomie: das sollte sofort in den Pschyrembel aufgenommen werden:-)

    gesundheitsexpertin

    13. Juli 2009 at 19:55

  2. Das beste Erlebnis, das ich mit ner Zecke hatte war in der chirurgischen Ambulanz. Patient wartete 2,5h, weil Zecke in Hand. Ich Hand angeguckt: Keine Zecke, sondern Dreck. Abgewischt, fertig. Konnte keine Diagnose verschlüsseln …

    chefarzt

    13. Juli 2009 at 20:01

  3. Gibt es da nicht irgendwie so eine Zeitfrist, in der man die „Zeckektomie“ durchzuführen hat, damit keine Borreliose übertragen wird?

    berlinerweisse

    13. Juli 2009 at 20:29

  4. Chefarzt: wie wär’s mit F45.1?

    berlinerweisse

    13. Juli 2009 at 20:34

  5. Übrigens nützen die von netten Schülerinnen gebackenen Kuchen am letzten Tag nix für die Beurteilung, denn die ist eh schon vorher fertig… das gehört sich einfach so. Außer natürlich man wurde völlig unter aller Sau behandelt. Dann gibts nur ein „Auf Nimmerwiedersehn!“

    schwestertrauma

    13. Juli 2009 at 20:59

  6. Ich gestehe, ich war vor ner Weile auch wegen einer Zecke im Krankenhaus. Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, es war Mittwoch nachmittag und der darauffolgende Donnerstag ein Feiertag.
    Und normalerweise hätte ich damit keinen Arzt aufgesucht, wenn ich nicht versehentlich die halbe Zecke weggekratzt und der Rest nicht noch dringesteckt hätte.
    Peinlich war’s mir trotzdem…

    Squirrel

    13. Juli 2009 at 21:30

  7. „Zeck-Ektomie“ saved my day! 🙂

    Neri

    13. Juli 2009 at 22:17

  8. Wie, und du hast ihn nicht zum Augenarzt überwiesen, zwecks neuem Nasenfahrrad?

    *gg*

    Benedicta

    13. Juli 2009 at 22:37

  9. Ich hab tatsächlich irgendwann mal gelesen, dass man mit einer Zecke in die NA gehen soll. Wenn sich so ein Unsinn verbreitet …

    lupo

    13. Juli 2009 at 22:38

  10. Hach ja das gibt dem Wort Pisspottschwenker eine ganz neue Dimension ;D
    Gut das bei uns die meisten Schwestern auf der Na alles machen bis hin zur ersten Diagnose^^

    gr3if

    13. Juli 2009 at 23:46

  11. Ach neee! … und wieviel kostet das?
    Ehrlich, ich habe in der Apotheke schon ein paar Zecken entfernt, da könnte ich auch grad noch was dafür verlangen.
    Aber als Arzt in der Notaufnahme, ich glaube, als erstes würde ich einen Vortrag über die Wirtschaftlichkeit eines solchen Verhaltens halten … und dann darüber, wie wichtig es ist, dass man die Zecke (selbst) schnellstmöglichst entfernt -egal wie!

    Pharmama

    14. Juli 2009 at 10:17

  12. Meines Wissens soll man eine Zecke innerhalb der ersten 24h nach Stich entfernen. Und wenn ich mir selber das entfernen nicht zutraue oder sich die Zecke an einer Stelle befindet die ich nicht gut erreichen kann und ich niemanden kenne dem ich ne Zeckenentfernung zutraue geh ich damit zum Arzt. Nicht unbedingt mitten in der Nacht und nach Möglichkeit auch nicht gerade in die Ambulanz des nächsten Krankenhauses aber lieber die Schmach sich das Teil vom Arzt rausrupfen zu lassen, als es selber zu versuchen und dabei das Tierchen in seine nächste Daseinsebene zu überführen.

    Denis

    17. Juli 2009 at 11:00

  13. Pöh!
    Ich hatte mal versucht meinem Mann eine Zecke zu entfernen, morgens um 5, kurz vor seinem beruflichen Flug in die USA. Natürlich ging er zum Flughafendoc, wohin sonst? Ich hatte der Zecke den Körper abgerissen, Kopf war drin geblieben (kleine Zecke). (und hätte der Arzt so reagiert wie Sie hier, dann hätte ich gerne auch dessen Kopf abgerissen) Was soll das? Ist das Entfernen einer Zecke eine Art „niederer Dienst“, den das Pflegepersonal machen kann/soll?

    Und bzgl. der „Mädels“. Worauf bezog sich das „verdient“? Auf die Qualität des Kuchens?
    Ich hoffe, ich bin grad müde und dünnhäutig, denn wenn das ein Fünkchen ernst sein sollte, dann ist das wohl ein Blog eines Arztes, der v.a eins gut kann: Kuchen essen.

    muckeltiger

    21. Juli 2009 at 00:29

  14. Hallo Muckeltiger, Du siehtst dass dies vor allem das Blog eines Arztes ist, der gerne provoziert. Ich schätze meine Mitarbeiterinnen sehr, und ich glaube dass eine ausgebildete Krankenschwester sehr wohl in der Lage ist, eine Zecke lege artis zu entfernen und dass man ihr durchaus auch diese Verantwortung zumuten kann, wenn man sie vorher entsprechend angeleitet und ausgebildet hat. Diesen ganze Quatsch mit „Ärztlicher Aufgabe“ bzw. „bloß keine Verantwortung übernehmen“ halte ich für der Sache zumindest langfristig nicht förderlich. Ich bin auch der Ansicht, dass Patienten wieder selbst mehr Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen sollten. Zum Beispiel, indem sie wissen, was man bei einer Erkältung oder bei einem Zeckenbiss tun kann und es nicht – zumindest nicht immer – notwendig ist einen Arzt zu holen „einfach zur Sicherheit“.
    p.s.: Kuchen esse ich trotzdem gerne.

    medizynicus

    21. Juli 2009 at 07:59

  15. Hallo Muckeltiger! Ist zwar medizynicus‘ blog, aber ich hoffe, ich darf trotzdem (nochmal) was sagen zu den Zecken.
    Es ist gar nicht so schlimm, wenn der Kopf drin bleibt von der Zecke. Jedenfalls nicht schlimmer als ein Sprissen (sagt man das in Deutschland auch so? So ein kleiner Holssplitter den man sich einfängt) – beises ist organisches Material und entweder es kommt raus oder es zersetzt sich mit der Zeit. Mit Zugsalbe kann man nachhelfen dass es sicher raus kommt.
    nur falls es ein nächstes Mal gibt.

    Pharmama

    21. Juli 2009 at 08:24

  16. Ja, Danke. Ich hatte das neulich schon beim Kinderdoc gelesen. (wir haben aber mittlerweile diese Zeckenkarten, damit soll das Zeckenentfernen gut klappen)

    muckeltiger

    21. Juli 2009 at 08:42

  17. Mangelnde Gesundheitsbildung behebt man (kuchenessend) durch Provokation?
    Ist mir neu, dass Provokation irgendwie zielführend ist.
    Das Blog als Ventil sei Ihnen natürlich gegönnt, ebenso wie der Kuchen 😉

    Wen es stört kann ja weglesen, in dem Sinne..

    muckeltiger

    21. Juli 2009 at 08:53

  18. Also nochmal von vorn: Gesundheitsbildung? Genau darum geht es doch! Womit ich niemandem das Recht absprechen möchte, wegen eines Zeckenbisses zum Arzt zu gehen. Aber 1.) ist es (normalerweise) kein Notfall und hat daher in der Notaufnahme nichts zu suchen, sondern in der hausärztlichen Sprechstunde (Ausnahmen bestätigen die Regel) und 2.) besteht die Aufgabe des Behandlungs-Teams (in welchem Ärzte, Schwestern und/oder ggf. Medizinische Fachangestellte zusammenarbeiten) nicht allein darin, das Vieh rauszurupfen sondern die Patienten zu beraten und aufzuklären mit dem Ziel, die nächste Zecke vielleicht selbst entfernen zu können – damit ist der Patient besser versorgt (das Vieh ist schneller draußen) und dem Gesundheitssystem sind Kosten erspart worden (Das ist ein Tabu. Darüber darf man nicht reden. Aber ich will schließlich keine Wahl gewinnen).

    medizynicus

    21. Juli 2009 at 09:17

  19. Nicht über Tabus reden??

    Schade.
    Ich dachte wir streiten noch ein bisschen.
    😉

    muckeltiger

    21. Juli 2009 at 13:15

  20. Tabus? Aber Immer! Gehören doch zu den spannendsten Dingen der Welt! Also, wo waren wir stehen geblieben?

    medizynicus

    21. Juli 2009 at 14:00


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