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Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

„So, dann machen Sie sich schon mal frei…“ – über das Ausziehen beim Arzt

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„…So, und dann machen Sie sich mal frei…“
Der Satz gehört zu den Standardfloskeln, mit denen man beim Arzt- oder Krankenhausbesuch rechnet.
Ein Arzt muss, wenn er seinen Job anständig machen will, den Patienten untersuchen. Nicht unbedingt immer, aber halt imme wieder mal.
Nun liegt es in der Natur der meisten Menschen, daß man sich nicht gerne auszieht im Beisein eines fremden Menschen – von bestimmten Berufsgruppen einmal ausgenommen, auf die ich aber hier nicht näher eingehen will.
Die Frage ist also: Wie frei muss und sollte man sich eigentlich machen? Wo liegt die Grenze? Muss man als Frau den BH ausziehen?
Das kommt natürlich auf die Krankheit – oder vielmehr auf den Untersuchungsanlass an.
Wenn es um Husten, Bronchitis oder Asthma geht, dann möchte ich natürlich die Lunge abhören.
„Dazu braucht man sich doch nicht auszuziehen!“ meinte ein Kollege, „Gerade bei etwas tüddeligen älteren Damen… die sollen ihre Bluse von mir aus an behalten…“ meinte ein Kollege.
Das Problem ist: Durch eine Bluse oder im Winter womöglich noch verschiedene Schichten Kleidung kann man mit dem Stethoskop nicht viel hören. Dann kann man die Untersuchung auch gleich sein lassen.
„Bei mir muss sich jeder Patient ausziehen!“ sagte ein anderer Kollege, „…und dazu gehört auch, daß jede Frau den BH ablegt. Kann bei jungen Frauen ja auch ein ganz hübscher Anblick sein…“
Nun ja, dieser Kollege sollte sich sehr genau überlegen, ob er sein Vorgehen medizinisch rechtfertigen kann. Und er kann von Glück sagen, dass ihn noch niemand angezeigt hat.
Der Kollege wurde ein wenig rot.
„…immer wieder kommt es vor, dass Frauen an Brustkrebs sterben, weil sie sich nie getraut hat, ihre Brust untersuchen zu lassen!“ fügte er schnell hinzu.
Womit er allerdings Recht hat.

Written by medizynicus

26. Juni 2009 um 07:30

14 Antworten

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  1. früher hieß das bei den älteren, nicht mehr so attraktiven Damen “ der Kassenschlitz“ = die obersten 2 Knöpfe der Bluse

    der Landarsch

    26. Juni 2009 at 09:15

  2. Okay… das heißt wenn man sich beim Arzt bei ner Erkältung nich mehr ausziehen muss sondern nur noch in den Hals geschaut wird …. dann sollte man sich Gedanken über Antifaltencreme machen ? 😉

    krankeschwester

    26. Juni 2009 at 09:22

  3. Leider gibt es genug Gynäkologen, die es nicht für wichtig erachten Brüste abzutasten, auuußer natürlich man zahlt kräftig selbst dafür. Soviel zur Früherkennung …

    schwestertrauma

    26. Juni 2009 at 14:23

  4. Was für BHs tragen die, wenn man die zum abhören ausziehen muss? Mieder aus dem vorletzen Jahrhundert?
    Das Riemchen im Rücken und die Cups vorne stören doch nicht beim abhören. Ich hab den noch nie ausziehen müssen, und ich hab breite Riemen und grosse Cups.
    Und Pulli anlupfen reicht meinem Dr auch, der hört auf der Haut ab, aber ohne nackich machen.

    hellebora

    26. Juni 2009 at 15:28

  5. Das Argument – was nicht so ganz aus der Luft gegriffen ist – heißt ja: Zu einer vollständigen körperlichen Untersuchung (z.B. eben die Krankenhaus-Aufnahmeuntersuchung) gehört auch die Untersuchung der Brüste auf Knoten, da auf diese Weise eben schon der eine oder andere Brustkrebs im Frühstadium entdeckt werden kann.
    Allerdings gehen hierzulande die meisten Frauen ja zu diesem Zweck regelmäßig zur Vorsorge zum Frauenarzt…

    Natürlich, wenn es nur ums Lunge Abhören bei einer fraglichen Bronchitis geht… da kann man wirklich den BH anlassen. Und wenn ein Arzt trotzdem darum bittet, den BH auszuziehen, dann ruhig nachfragen, ob bzw. warum das medizinisch notwendig ist!

    medizynicus

    26. Juni 2009 at 16:03

  6. Wenn ich wegen bspw. ner Tonsillektomie im Krankenhaus stationär aufgenommen werde, muss ich auch auf eventuelle Tumore und/oder Krebserkrankungen untersucht werden? Ist das wirklich gängige Praxis oder Wunschdenken?

    Susanne

    26. Juni 2009 at 22:28

  7. Das A und O ist wie immer die Anamnese- wenn die Patientin erst vor 2 Wochen beim Gyni war, muss ich die Brust nicht mehr untersuchen. Genauso, wie man sich, wenn die letzte Darmspiegelung erst vier Wochen her ist und in der Zwischenzeit nicht gerade eine peranale Blutung aufgetreten ist, die digital-rektale Untersuchung sparen kann (sich und dem Patienten!).

    @susanne: schön wärs…ist aber unrealistisch. Dazu hab ich grad im Dienst oft gar keine Zeit. Ich kann ja keine halbe Stunde ne Brust abtasten- wofür ich auch nur insofern Experte bin, als ich das bei mir selbst regelmäßig mache- wenn schon zwei Patienten mit Atemnot warten und einer mit Blutungen und einem geschätzten Hb von 6…(„Mama, der Mann ist aber blass!“) Als Patient hat man nämlich auch eine Eigenverantwortung- eben selbst auf den Körper zu achten, zur Vorsorge zu gehen usw… wenn nat die Patientin sagt, sie hätte da so nen Knoten- schau ich mir den selbstverständlich an- und schicke sie nachher trotzdem zum Gynäkologen!

    chilara

    28. Juni 2009 at 09:05

  8. Ich glaube gar nicht mal, dass so viele Menschen grundsätzliche Scheu haben, sich (halb)nackt zu präsentieren, laufen doch etliche in der Öffentlichkeit/ Badesee etc. freiwillig so rum. (Ausserdem ist man ja beim Arzt und problemorientiert und nicht zu anderen Zwecken da.)

    Vielleicht eher der geschlossene Raum einer Praxis und das eventuelle Machtverhältnis Arzt/Patientin, was da Probleme macht. (interessant ist übrigens dass hier die männlichen Patienten ausgeschlossen werden, oder habe ich etwas überlesen?)

    Ich hatte einmal ein Negativerlebnis mit einem Arzt, bei einer Einstellungsuntersuchung. Nicht wirklich weltbewegend aber so, dass man(ich) s(m)ich schlecht dagegen wehren konnte, falls Sie verstehen..
    Nach ein bisschen Wut habe ich im Nachhinein einen armen Tropf belächelt.

    Grundsätzlich glaube ich aber, dass die meisten Patienten mit einer gehörigen Portion Grundvertrauen in das Sachverständnis eines Arztes, selbigen aufsuchen, sowie aus irgendeinem Grund (50er Jahre Schnulzfilme??) jedem Arzt einen psychologisch versierten Umgang auf den Kittel schreiben.

    Und wird dieser Vertrauensvorsprung enttäuscht, narbt das tief.

    Soviel Küchenpsychologie von mir für heute (keine Drohung ;-P )

    LG

    muckeltiger

    30. Juni 2009 at 23:46

  9. Muss ich mich beim abhören ausziehen???

    pati

    16. Februar 2013 at 14:01

  10. Wie läuft eine allgemeinuntersuchung ab

    pati

    16. Februar 2013 at 14:03

  11. Also auch wenn es etwas spät kommt ich bin 16 und ich musste gestern wegen eines Bienenstichs abgehört werden um eine Allergie auszuschließen und meine Ärztin hat bei der Lunge nur mein Shirt hoch geschoben hinten und beim Herz überm T-Shirt abgehört heißt also dass ich persönlich glaube dass das jeder Arzt selbst entscheidet weil bei meinem vorherigen Arzt musste ich auch immer das Shirt ausziehen.

    Steffi

    3. September 2013 at 14:37

  12. Meine 45-jährige Frau mußte nach einer Erkrankung regelmäßig zur Untersuchung zu Ihrem Arzt und hatte sich angewöhnt, dort immer ohne BH hinzugeghen. Ich bat Sie , in Zukunft doch den Bh anzuziehen, weil mich das störte, daß Sie barbusig zu den Untersuchungen ging. Sie folgte meiner Bitte und stellte sich bei der folgenden Untersuchung beim Arzt mit BH vor. Worauf dieser ihr sagte, nur ältere Frauen würden einen BH brauchen, aber doch nicht sie.
    Worauf meine Frau zu den nachfolgenden Untersuchungen wieder ohne BH ging und ich das Nachsehen hatte.

    Jürgen Janzen

    3. September 2014 at 21:53

  13. Also beim Arzt oder Ärztin ist es wohl egal ob man nackt oder halb nackt ob Mann oder Frau.

    Dietmar Wirth

    13. Januar 2018 at 20:36

  14. Interessant die Geschichte mit dem übergriffigen Arzt bei einer Einstellungsuntersuchung! Ich hatte dort eine widerliche Begegnung mit einer übergriffigen Betriebs-Ärztin. Die Täterin ist nach meinen Beschwerden beim Arbeitgeber, ihrem Dienstherren und der Landeärztekammer „abgezogen“ worden. Noch mal ganz klar: die weibliche Brust ist niemals Gegenstand einer arbeitsmedizinischen Untersuchung, und keine Frau muss so etwas dulden! Am besten nicht nur verweigern, sondern melden (s.o., oder auch beim VDBW etc.), damit solche ein strukturelles Machtgefälle ausnutzenden Personen – egal ob Mann oder Frau – gestoppt werden!

    Barbarella

    21. März 2019 at 02:10


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