Medizynicus Arzt Blog

Krankenhausalltag in der Provinz: Medizin und Satire, Ethik und Gesundheitspolitik

Stammkunden: wie zum Beispiel Fusel-Franze

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Die Kranke Schwester hat mich darauf gebracht: Jedes Krankenhaus hat so seine Stammkunden, die immer wieder kommen, aus den verschiedensten Gründen.
Einer unser treuesten Stammkunden in der Notaufnahme war Fusel-Franze.
Fusel-Franze war ein Berber. Ein Bankier von der Parkbank, ein Nichtsesshafter.
Im Sommer sehen wir ihn eher selten, im Winter dafür um so häufiger und eine zeitlang stand er echt jeden Abend bei uns auf der Matte.
Wegen irgendwelchen Kleinigkeiten, jeden Abend etwas Anderes, da war er schon recht erfinderisch. Aber er war nicht unfreundlich dabei, wurde niemals ausfallend, hat sich nie beklagt und niemanden belästigt. Okay, er roch halt nicht immer ganz frisch.
Wir brauchten eine Weile, bis wir kapiert haben, daß es ihm hauptsächlich darauf ankam, im Warzezimmer eine Runde pennen zu können, also je voller das Wartezimmer und je länger die Wartezeit um so wohler hat er sich gefühlt. Ein paar mal, wenn wir nett waren und es geregnet hat habe wir ihn auch die halbe (nicht die ganze) nacht einfach pennen lassen. Ab und zu, wenn wir genügend freie Betten hatten und es draußen wirklich bitterkalt war haben wir ihn auch stationär aufgenommen, zur Balneotherapie sozusagen. Will sagen: um ihm einmal ein Bad zu ermöglichen.
Aber meistens blieb es dabei: Hier und dort eine Platzwunde genäht oder einen Salbenverband um einen angeblich verstauchten Fuß gewickelt.
Ja, und einmal habe ich ihn dann wiedergetroffen.
Am Wochenende, draußen in der Stadt. Ich hatte frei und habe mit ein paar Freunden gefeiert, und das nicht zu knapp. Mit gefühlten dreieinhalb Promille bin ich schließlich nachts um halb vier heimwärts getorkelt, als mir in der Fußgängerzone ein Obdachloser einen Pappbecher entgegenstreckte.
Er hat mich nicht erkannt. Und ich hin anfangs auch nicht: Bis ich das Pflaster an seiner linken Schläfe bemerkte, welches ich ihm höchstpersönlich dorthin geklebt hatte, ziemlich genau vierundzwanzig Stunden zuvor.

Written by medizynicus

22. Juni 2009 um 08:02

Veröffentlicht in Uncategorized

9 Antworten

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  1. Oh ja… die gibts wohl auch überall…

    Hier gab es mal einen ganz krassen Kerl… der konnte perfekt Epis simulieren… ignorierte jegliche Schmerzreize und ließ sich sogar intubieren -so gut simulierte der… – und das alles für ein Bad, ein Bett und warmes Essen… *seufz*
    Aber auch hier gabs irgendwann ein Problem: Jeder kannte ihn, jeder war genervt und viele nahmen ihn halt nicht mehr ernst – geschweige denn mit ins Krankenhaus (wo man mit ihm ohnehin wieder rausflog!) –
    bis er irgendwann dann wirklich krank war… HI oder so… und er dann tatsächlich an seinem Erbrochenen erstickte *seufz* Traurig, traurig….
    Da finde ich es schön, dass ihr euch um ihn kümmert… mäßig und nicht immer – sonst zieht er bald in die Ambulanz ein – aber immer wieder mal *lächel* Find ich gut…

    Mayla

    22. Juni 2009 at 12:46

  2. Wie haben dafür hier eine Einrichtung die nennt sich Zab: Zentralambulanz für Bessoffene in unserer Sprache^^ Da gibt es Matrazen und Räumen in denen man sich nicht tun kann und man kann im warmen ausschlafen. Da kann man so hin. Seitdem sind die Touren ins Kh mit angeblichen Sachen weniger geworden, merklich.

    gr3if

    22. Juni 2009 at 12:53

  3. @Mayla: Ja, das ist traurig. Fusel-Franze hat auch schon so einige OPs hinter sich und bei seinem Lebenswandel ist es sicher eine Frage der Zeit, bis er mal wirklich ernsthaft was hat…
    Epis simulieren… na gut, das geht ja noch aber freiwillig intubieren lassen???? ist das denn überhaupt möglich im wachen Zustand?

    medizynicus

    22. Juni 2009 at 13:08

  4. Offensichtlich… das hat der Öfter durchgezogen… kein Witz!

    Mayla

    22. Juni 2009 at 13:57

  5. Heißt das, dass Du aus Hamburg kommst? Habe ich von gehört, coole Sache, dies ZAB! Ist es wirklich so, dass da morgens um sechs Zapfenstreich ist und die „Kunden“ dann die Rechnung mit auf den Weg kriegen?

    medizynicus

    22. Juni 2009 at 14:33

  6. Oho liegt Bad Dingeskirchen den in der Nähe der schönen Stadt an der Elbe?

    Oder auch ja ich bin in HH. Die Rechnung kriegen die mit aber meistens sind das Sozialhilfeempfänger insofern bringt das oft nix. Aber es ist eine super Erfindung fürs Kh.

    gr3if

    22. Juni 2009 at 16:41

  7. Der Leiter unserer Schule für Ra/Rs Ausbildung kann sich auch Güdeln lassen in einem absolut wachen Zustand und wie machen das die Schwertschlucker?^^

    gr3if

    22. Juni 2009 at 16:42

  8. Nee, die Obdachlosen zahlen nich. Aber die Bürgersöhnchen und die Kegelbrüder aus Bad Oldesloe, Wattenscheid und Hildesheim, die können zahlen! Und für die wird das richtig teuer, fast so teuer wie ein Besuch bei den Damen vom horizontalen Gewerbe… Also, merkt Euch was fürs Leben, Ihr Suffköppe aus Bad Hersfeld, Ludwigshafen und Ingolstadt: solltet Ihr in Hamburch unnerwegs sein und merken, dass Euch son büschen schummerig wird, dann nix wie ins nächste Taxi und zum Vier Jahreszeiten, da ne Suite bestellen und ne Flasche Sekt aufs Zimmer, das kommt immer noch billiger und man hat mehr davon!

    medizynicus

    22. Juni 2009 at 16:55

  9. Das gibt’s im schönen Süden, konkret in Stuttgart, auch, heißt dort ZAE (Zentrale Ausnüchterungs-Einheit) und wird von der Polizei in Kooperation mit der niedergelassenen Ärzteschaft betrieben. Die Räumlichkeiten sind an den Polizeigewahrsam angeschlossen.

    Das schafft Synergieeffekte in mehrerlei Hinsicht: der ohnehin anwesende Arzt kann die Blutentnahmen und Haftfähigkeitsuntersuchungen übernehmen, Inhaftierte mit zweifelhafter Haftfähigkeit können stattdessen in der ZAE überwacht werden, und das ärztliche und pflegerische Personal muß sich nicht mit randalierenden Betrunkenen herumplagen, weil diesbezüglich Unterstützung durch die im Polizeigewahrsam eingesetzten Beamten erfolgt.

    -thh

    22. Juni 2009 at 18:48


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