Für Gunnar Schupelius ist die „Liebesleben“-Kampagne ein „Unding“. Weil Sex drin vorkommt. Das verletze sein Schamgefühl und gefährde Kinder. Wir schreiben ihm besser mal.

Sehr geehrter Herr Schupelius,

jetzt sind Sie wieder ärgerlich. Wir haben dafür Verständnis. Das ist ja Ihr Beruf.

Herr CDU-Minister Gröhe, warum hängen Sie diese Sex-Plakate auf?“, fragen Sie. Ihr Ärger richtet sich gegen „Liebesleben“, die neue Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Sie soll Menschen zum Schutz vor HIV und anderen Geschlechtskrankheiten motivieren.

Sie möchten wirklich wissen, warum der Minister die Plakate aufhängen lässt? Wir möchten Ihnen gerne Auskunft geben. Leider kann man Ihre Kolumne „Mein Ärger“ online nur mit vorbestimmten Stichworten kommentieren: „Wütend“, „unterhalten“, „traurig“, „erstaunt“, „informiert“. Man kann auch anklicken, dass Sie Recht oder Unrecht hätten. Wir möchten aber gerne etwas mehr sagen. Denn das ist unser Beruf.

Folgendes dient vielleicht Ihrem Verständnis: Weil sexuell übertragbare Infektionen beim Sex übertragen werden, zeigt die Kampagne sexuelle Situationen. Damit sich niemand erschrickt, werden sie ganz harmlos in Comic-Form dargestellt.

Ein bekleidet kopulierendes Paar im Aufzug. Botschaft: „Ob rauf. Oder runter. Benutzt Kondome!“ Ein Mann in Pantoffeln mit Häschen-Gesicht, eine Frau in langen schwarzen Stiefeln. Botschaft: „Egal worauf ihr steht. Benutzt Kondome.“ Ein Paar, das sich in Yoga-Pose gekonnt auf dem Nachtisch vereinigt. Botschaft: „Erstaunlich einfach. Benutzt Kondome.“

Dass sich jemand sexuell an den Motiven ergötzt, können wir uns kaum vorstellen. Sie schon.

Andere Motive zeigen auf humorvolle Weise, wie unangenehm Geschlechtskrankheiten sein können. Und zum Glück auch die Lösung. Da richtet zum Beispiel ein Feuerwehrmann seinen Schlauch auf die Genitalregion eines Mannes. Botschaft: „Wenn’s im Schritt brennt. Ab zum Arzt.“

Sowas.

Nur wenige Figuren sind nackt. Nie sieht man Geschlechtsteile. Dass sich jemand sexuell daran ergötzt, können wir uns kaum vorstellen. Sie offenbar schon. Denn für Sie ist das „Pornografie“.

„Sie verletzen das Schamgefühl“, schreiben Sie über diese Plakate.

Sie schreiben so etwas nicht zum ersten Mal. Als das letzte Mal die Plakate der „mach’s mit“-Kampagne hingen, waren Sie auch gleich zur Stelle. Und Sie mokieren sich darüber, dass die BZgA einst Kondome über Spargelstangen zog. Slogan: „Steht jedem!“. Das finden Sie nicht witzig. Bezüglich Sexualität scheinen Sie etwas dünnhäutig zu sein. Oder mögen Sie keinen Spargel?

Sie berufen sich auf 19.000 Bürgerinnen und Bürger, die eine Petition gegen die „Liebesleben“-Kampagne unterschrieben haben und verlinken darauf. Diese Petition stammt von der homophoben Initiative „Demo für alle“. Die wird von der christlichen Fundamentalistin Hedwig von Bevervoerde organisiert. Die Organisation ist eng verbunden mit der AfD-Politikerin Beatrix von Storch und ihrer Partei. Das erwähnen Sie nicht.

Es gibt immer mehr Anfeindungen gegen alles, was nicht heterosexuell monogam ist. Uns macht das Sorgen.

Anfeindungen gegen Schwule, Lesben, Bisexuelle, Trans-Menschen nehmen gerade zu. Es gibt eine regelrechte Bewegung gegen ihre Rechte. Gegen alles, was nicht heterosexuell verheiratet ist. Uns macht das Sorgen.

Sie machen da mit.

Kampagnenmotiv der BZgA zur Kampagne Liebesleben
© BZgA

Ihre Befürchtung: Die Plakate könnten Kinder verderben. Schlimmer noch: Eltern in Not bringen. „Aus vielen Familien habe ich bereits gehört, wie sich die Eltern ärgern, weil sie ihren Kindern die Comics erklären müssen“, schreiben Sie.

Wissen Sie was? Wir glauben, dass Eltern mit ein bisschen Phantasie das hinbekommen. Die kopulierenden Comic-Männchen sind viel leichter zu erklären als Alkohol und Tabakwerbung. Leichter auch als manche B.Z.-Titelseite am Kiosk.

Sie zitieren außerdem einen streitbaren Sexualforscher, der sagt, die Plakate würden Kinder zur Nachahmung motivieren. Glauben Sie im Ernst, die Kleinen würden demnächst in Yoga-Posen auf Nachttischen vögeln? Verstohlen in Aufzügen poppen? Wir glauben das nicht. Vielleicht wollen sie Häschenpantoffeln. Okay, das kann passieren.

Spaß beiseite: Sie fürchten um den Jugendschutz. Da haben wir was gemeinsam. Auch wir möchten, dass die Jugend sich schützt. Zum Beispiel vor HIV. Und das geht sehr gut mit Kondomen.

Wer über Schutz reden will, muss über Sex reden.

Dass die Plakate an Bushaltestellen und Hauptverkehrsstraßen hängen, hat gute Gründe: Wer HIV und andere Geschlechtskrankheiten verhindern will, muss über Schutz reden. Wer über Schutz reden will, muss über Sex reden. Dafür braucht es Anstöße. Und Anstöße gibt man mit Kampagnen.

Sie aber fragen: „Auf welchem Stern lebt Herr Gröhe? Ich kenne ihn als soliden Christdemokraten.“

Wissen Sie was? Wir auch.

Genauso kennen wir Rita Süssmuth als solide Christdemokratin. Sie war eine von Hermann Gröhes Vorgängerinnen. In den 80er Jahren hat sie dafür gesorgt, dass hierzulande offen über Sexualität und HIV gesprochen wurde. Das war gut für die Menschen und entsprach deshalb ihrem christlichen Glauben.

Wir glauben, dass Rita Süssmuth und Hermann Gröhe auf demselben Stern leben.

Sie hat sich mit ihrer Politik gegen große Widerstände durchgesetzt. Deswegen gehört Deutschland heute zu den Ländern mit den niedrigsten Neuinfektionszahlen.

Wir glauben, dass Rita Süssmuth und Hermann Gröhe auf demselben Stern leben. Es ist der Planet Erde. Und auf dem gibt es Sex. Ob Sie das schön finden oder nicht. Und es gibt HIV. Das findet niemand schön. Deswegen gibt es HIV-Prävention. Das bedeutet: Man redet darüber. Sonst infizieren sich wieder mehr Menschen. Eigentlich ganz einfach.

Sex wird in der Kampagne übrigens auch deswegen in Comicform dargestellt, um das Eis zu brechen. Reden über Sex fällt vielen Menschen immer noch schwer. Das liegt daran, dass man ihnen eingetrichtert hat: Sexualität muss Schamgefühle auslösen.

Sie machen das auch. Bitte hören Sie damit auf!

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Deutsche AIDS-Hilfe

PS  Sie schreiben ja selber: Der Minister hat Kinder. Es sind übrigens vier. Der Mann wird wissen, was er tut.

Zum Weiterlesen: Auch „Demo für alle will Aids-Aufklärung stoppen“ (queer.de)

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8 Kommentare

  1. Dankeschön!
    Diese künstliche Empörung ist sowas von verlogen! Wo äußert sich ein Schuppelius „besorgt“ darüber wenn die Zeitungen (evtl. seine eigene?!) dauernd Titten auf die Titten- ähm Titelseite bringen? Eben.
    Ich stand vor kurzem an einer Haltestelle mit einem solchen Plakat. Daneben stand eine Grundschulklasse, hat das Bild eventuell zu Kenntnis genommen, aber ansonsten keinen Anstoss genommen oder ist irgendwie darauf eingegangen. So einfach geht das.
    Herr Schuppelius kann sich seine Bigotterie sonstwo hinstecken. Aber aufpassen. Nicht, dass es sonst im Schritt brennt. Ups – war diese Warnung etwa pornografisch? Naja, dann verzichtet Herr Schuppelius selbstverständlich auf die Aufklärung und würde im Fall der Fälle auch nicht auf die Idee kommen zum Arzt zu gehen…

  2. ‚Es gibt immer mehr Anfeindungen gegen alles, was nicht heterosexuell monogam ist. Uns macht das Sorgen.‘

    Es darf und soll Ihre Aufgabe sein sich um Menschen mit HIV zu kümmern und Präventionsarbeit zu betreiben.
    Es ist aber nicht Ihre Aufgabe hier oder an anderer Stelle Position zum Thema Monogamie zu beziehen.

    Ihre Organisation mischt sich ständig in Bereiche ein, die Sie schlichtweg nichts angehen und betreibt damit eine Politik, die von Ihrem Auftrag nicht gedeckt ist.

    Was die von Ihnen erwähnten, in D niedrigen Infektionszahlen angeht, etwa 60 % von circa 3000 neuen Infektion pro Jahr gehen auf das Konto von Homosexuellen, dir gern von sich behaupten eben nicht monogam zu sein.
    Insofern wäre es nur fair dann auch zu erwähnen, dass Polygamie und HIV möglicherweise in irgendeinem Zusammenhang stehen könnten beziehungsweise Monogamie möglicherweise eine von mehreren möglichen Formen der Infektionsvermeidung sein kann!

  3. Hallo Fred, aus der Präventionsforschung und unserer langjährigen Erfahrung wissen wir, dass Diskriminierung und Abwertung von Menschen ihr HIV-Risiko steigert und vielfältige andere Gesundheitsrisiken nach sich ziehen kann (psychische Erkrankungen, Drogenkonsum etc.). Wenn z.B. homosexuelle Menschen oder bestimmte Lebensstile öffentlich abgewertet werden, geht uns das deswegen sehr wohl etwas an. Schwule Männer sind tatsächlich die am stärksten von HIV betroffene Gruppe. Daran kann man aber nichts ändern, indem man sie anprangert oder bestimmte Arten, Sexualität zu leben, abwertet. Ganz im Gegenteil: Menschen brauchen Unterstützung, um selbstbewusst mit ihrer Sexualität umzugehen und sich vor HIV schützen zu können. Gegen Monogamie haben wir natürlich nichts, wir haben nur kritisiert, dass sie von manchen zur Norm erhoben wird.

  4. Ich teile die Ansicht von Herrn Schupelius, da ich eine zunehmende Sexualisierung der Öffentlichkeit wahrnehme. Mittlerweile gibt es aber auch eine zunehmende Gegenbewegung und dazu gehören nicht nur die von Ihnen erwähnten Verrückten. Die angesprochene „Gemüsekampagne“ fand ich weitaus besser, da zurückhaltender – ohne jedoch das Ziel zu verfehlen. Wieso müssen solche (zumindest teilweise) unanständigen Comicbildchen sein, die Kindergarten- und Grundschulkinder irritieren (ich spreche aus Erfahrung)?

  5. So eine Engstirnigkeit auf beiden Seiten…
    Mal im Ernst wenn ihr wirklich Aufklären wolltet, dann malt keine Comics. Zeigt die Folgen von Aids in drastischen Bildern so wie es auch bei Zigaretten gemacht wird. Geht in die Schulen und zerstört das Märchen einer Heilung von AIDS, welches immer stärker in den Köpfen der Jugendlichen herumgeistert.
    Zeigt das es jeden treffen kann an Beispielen mit Prominenten Hintergrund.
    Aber unter uns, Comics da wird mal drüber gelacht aber nachgedacht….

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