15 Juni 2007

Montag früh um neun

Montag früh um neun: "Nicht ansprechbare Person auf Baustelle!" Der Notarzt fand einen älteren Bau-Arbeiter am Boden einer Baugrube: Zitterig, verwirrt, verängstigt, offensichtlich postiktal. Was war passiert?

Der Mann war monatelang arbeitslos gewesen und hatte heute morgen endlich wieder einen Job auf der Baustelle begonnen. Nüchtern. Denn in den Monaten der Arbeitslosigkeit hatte er anscheinend durchgehend getrunken. Auch morgens.
Den neuen Job nüchtern angetreten, in den Alkoholentzug gerutscht, gekrampft. Alkohol-Entzugs-Krampf nennt man so was. Jetzt benommen aber unruhig nach dem Krampfanfall. Der Notarztwagen brachte den armen Kerl in die Neurologie.

Keine zwei Stunden später: PKW-Unfall im selben Stadtteil. PKW vor Laterne, auf gerader Strecke. Ursache nicht ersichtlich, Fahrer nicht ansprechbar. Aber bekannt. Und postiktal. Wieder. Die Braunüle steckte noch im Handrücken. Was war passiert?
Der Mann war schnurstracks aus der Neurologie entfleucht und hatte versucht, den Heimweg mit seinem Auto zu meistern. Zweiter Krampanfall. Diesmal Chirurgie.

Solche Dinge kommen vor, Montag früh um neun.

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2 Comments:

At 20 Juni, 2007 16:18, Anonymous Anonym said...

so gut beschrieben, dass mans förmlich vor sich sieht.
übrigens auch sehr tolles bild.
:-)

 
At 18 Juli, 2008 00:09, Blogger der Arzt said...

Viele Google-Suchanfragen, die zu diesem Blog führen, enthalten Begriffe wie

"Alkoholentzug, Alkoholentzugskrampf, Entgiftung, Delirium, Notarzt" etc...

Eine lautet sogar konkret: "Wann den Notarzt rufen bei Alkoholentzug?"

Die Antwort: Sofort!

Denn ein Alkoholentzug zu Hause, ohne ärztliche Unterstützung, hat wenig Aussicht auf Erfolg und ist gefährlich.

Der Arzt sagt: Alkoholentzugs-Erscheinungen beginnen oft innerhalb von 24 Stunden nach abrupter Beendigung einer längeren Trinkphase oder eines langjährigen Alkoholmissbrauchs. Oft ist diese Beendigung unfreiwillig, weil der Betroffene sich keinen Nachschub mehr besorgen kann. z.B. weil er erkrankt ist: Grippaler Infekt, ungeplante Operation oder dergleichen. Angehörige beobachten dann Unruhe, Zittern, Schweißausbrüche. Die Vitalparameter Puls und Blutdruck sind erhöht. Der Betroffene hat also einen schnellen Puls.

Später kann auch ein "Delirium" dazukommen. Früher sagte man scherzhaft: "Er sieht weisse Mäuse". Tatsächlich sieht und hört der Betroffene Dinge, die nicht wirklich vorhanden sind. Das sind sogenannte Halluzinationen. In seinem ersten Krankenpflege-Praktikum beispielsweise betreute der Arzt einen frisch Operierten, der Bohrlöcher für Sprengladungen überhalb des Heizkörpers seines Krankenzimmers sah, was ihn verständlicherweise sehr beunruhigte. Ein anderer fühlte sich an seine Baustelle zurückversetzt und gab den Arbeitern harsche Anweisungen.

Plötzlich auftretende Wahnwahrnehmungen (Halluzinationen) sind für den Notarzt immer verdächtig auf einen schweren Alkoholentzug. Meist beobachtet man dabei Unruhe, Aufgeregtheit, Getrieben-Sein bis hin zu richtig physischer Aggressivität. Solche Patienten sind gefährlich. Für sich selbst, die Angehörigen und den Notarzt.

Zuguterletzt kann der Betroffene krampfen. Ein Krampfanfall zeigt sich für die Umstehenden als rythmisches Zucken einzelner Körperteile oder des ganzen Körpers. Dabei ist der Betroffene bewußtlos. Er kann sich auf die Zunge beissen und ungewollt Urin oder Kot freisetzen. Konkret: Er macht sich in die Hose.

Nach dem Krampfanfall ist der Betroffene müde, schläfrig, träge, bewußtlos. Mediziner sprechen vom "postiktalen Dämmerzustand". Notärzte wissen: Wenn sie jemanden in diesem Zustand finden, wenn er zudem einen Zungenbiss und Urin oder Kot in der Hose hat, ist meist ein Krampfanfall vorangegangen.

Ein Alkohol-Entzugskrampf ist meist ein Zeichen für einen fortgeschrittenen Alkoholmissbrauch. Ein Jugendlicher wird nach einem durchgezechten Wochendende weder krampfen noch halluzinieren. Da muss schon eine längere Vorgeschichte bestehen.

Delirium und Krampfanfall, beides ist gefährlich. Lebensgefährlich sogar. Das Delirium (tremens) weil der Betroffene sich und seine Mitmenschen in aggressiver Weise falsch einschätzt. Der Krampfanfall weil der Betroffene dabei ersticken kann.

Fazit für alle Suchanfragensteller: "Wenn Sie die oben genannten Anzeichen und Symptome bei Ihrem Angehörigen beobachten, rufen Sie frühzeitig den Notarzt. Alleine werden Sie nicht damit fertig!"

 

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