Neustart in der Intensiv- und Notfallmedizin

Sie wird kommen, die post-pandemische Phase . Nicht heute, wahrscheinlich auch nicht nächste Woche.

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Heute werden deutschlandweit über 2000 Covid-Patienten intensivmedizinisch betreut. Der allergrößte Teil müsste nicht intensivmedizinisch betreut werden, wären diese Patienten nicht SARS-CoV-2 positiv. Es ist eine große Zusatzbelastung zum ohnehin sehr fordernden Alltag, und die Pandemie ist noch nicht vorbei.

Wenn aber Corona irgendwann einmal Geschichte ist, wird es einen Neustart geben müssen in der Intensivmedizin. Allerspätestens dann. Denn die Lage ist ernst.

Was brauchen wir dann?

 

1. Kassensturz. Schonungslose Bestandsaufnahme:

Wer ist eigentlich noch da? Wer bleibt?

Schon jetzt haben in einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts 72 Prozent der befragten Krankenhäuser angegeben, weniger Intensivpflegepersonal zur Verfügung zu haben, als noch Ende 2020. Ich fürchte, dass noch mehr gehen werden.

Ein großer Teil hat aus Loyalität zu Patient, Kollegium und Gesellschaft gesagt: „Ich halte durch. Aber: Wenn die Pandemie vorbei ist, suche ich mir etwas anderes. Too much.“ Ich hoffe, es bleiben möglichst viele in diesem tollen Beruf. Aber verdenken werde ich es niemandem, der sagt: „So long, farewell, auf Wiedersehen. Goodbye.“

Ich hoffe, wir können möglichst viele zum Bleiben bewegen, denn der Arbeitsbereich Intensivstation ist faszinierend.

 

2. Barmherzigkeit mit dem Gegenüber

Wir sind alle total durch. Wir haben mehr gearbeitet denn je. Wir haben viel Leid gesehen und Sterben bezeugt. Wir haben plötzliche Todesfälle von jungen Menschen miterlebt. Bei jeder Auseinandersetzung mit Kollegen, Angehörigen, Patienten und MitarbeiterInnen anderer  Professionen müssen wir das im Kopf behalten. Wir alle tragen ein schweres Bündel dieser Last, unverarbeiteter Erlebnisse. Ich merke an meinem eigenen Nervenkostüm, das bei vielen Reaktionen und auch dieses Päckchen eine große Rolle spielt. Bei jeder „merkwürdigen“ Reaktion des Gegenübers sollten wir vor einer Reaktion dies bedenken: Er oder sie hat zwei Jahre Pandemie in den Knochen und sicher einen harten Tag. Wir brauchen nun -mehr denn je- Nachsicht miteinander. Nicht alles ist erlaubt, aber manches muss man vielleicht erst am Folgetag besprechen, wenn die Wogen etwas geglättet sind. „Versöhnen statt spalten“ hat Johannes Rau das genannt.

 

3. Leadership und Aufbruch

Wir brauchen jetzt keine Unternehmensberater, die uns erzählen, wie wir die Liegezeit verkürzen oder mehr Income generieren können (Hab solche Menschen noch nicht kennengelernt, aber bin auch nicht heiß drauf).

Wir brauchen die Menschen auf den Stationen, den Wachen und den Notaufnahmen, die bereit sind, zu analysieren, was jetzt dran ist. Was wir besser machen können. Auf welche Tätigkeiten wir vielleicht auch verzichten können, um die angestiegene Workload bei immer weniger Intensivkräften zu beherrschen.

Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen wir um jeden Preis motiviert halten. Wir müssen sie von sinnbefreiten Tätigkeiten, übermäßigen Dokumentationspflichten und unnötigen Lasten, die sie tragen müssen, befreien. Wir sollten sie so befähigen, dass so zu tun, was sie am besten können: Intensivmedizin. Patientenversorgung. Notfallversorgung.

Sie werden uns sagen, was sie brauchen, um ordentlich zu arbeiten. Wir sollten auf sie hören und sie machen lassen. Diese Menschen haben die Pandemie gewuppt in den Krankenhäusern. Sie haben gezeigt, dass sie es können. Es geht aber immer besser. Dafür braucht es bessere Bedingungen.

Wir haben so vieles erreicht und gelernt in der Zeit. Wir haben Abläufe verändert und Neues geschaffen. Wir brauchen nun die, die bereit sind, die Ärmel hochzukrempeln und den Laden in Schwung zu bringen.

Freue mich über jeden, der nun bereit ist, es gemeinsam besser zu machen. Es ist ein toller Beruf. Packen wir es an.